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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ettingen nickte, als hätte er nur halb gehört. Und wieder blickte er in jene Ferne hinaus.

Pepperl schwieg. Doch während aus den Augen seines Herrn ein frohes, glückliches Träumen redete, sprachen unruhvolle Sorge und grämliche Verdrossenheit aus dem Gesicht des Jägers. Für ihn lag der Fürstenstand auf einem recht unbequemen Platz. Denn wenn er mit langgestrecktem Hals sich vorneigte, konnte er draußen im Gaisthal den Tillfußer Almwald sehen, und ein Stücklein vom Dach der Sennhütte.

Immer und immer wieder beugte sich Pepperl vor, von der unbequemen Stellung begann ihn das Genick zu schmerzen, und immer schwerer seufzte er. Dann plötzlich sagte er, mit einem Ton, als ob es um Wohl und Weh eines Menschen ginge:

„Ja, Duhrlaucht, passen S’ auf, heut schießen S’ ein’ guten Hirsch!“

Ettingen hörte nicht.

Ein schweigsames Viertelstündlein verging. Da drückte Pepperl die Hand in den Nacken und stotterte:

„Ja, ja! Heut kommt schon was! … Ja, unser Jagdl is gut!“ Er seufzte, als wäre das eine sehr, sehr traurige Sache. „Aber kosten thut’s halt auch was! Das is ein sauberer Haufen Geld, der da … wie sag’ ich nur gleich … verwalt’t werden muß! Verwalt’t!“ Das Wort war dreimal unterstrichen – und immer weiter öffneten sich Pepperls Augen, während er mit heißer Spannung zu seinem Herrn hinauflugte. „Und Arbeit macht’s … Arbeit! So eine Jagd verwalten! Teufi, Teufi, Teufi … das macht g’hörig Arbeit! Und verstehn muß man’s! Das is d’Hauptsach! Aber der Förstner! Gelten S’… der versteht’s! Der macht alles allein! Der braucht kein’ andern! Ja, der versteht’s halt… gelten S’?“

„Ja, das ist ein tüchtiger Jäger,“ sagte Ettingen, als wäre er nur mit halben Gedanken bei dieser wichtigen Angelegenheit, „und ein Mann, auf den man sich verlassen kann… in allen Dingen!“

Aus Pepperls Augen blitzte die Freude, und in allen Tonarten begann er das Lob des Försters zu singen, um mit der diplomatischen Wendung zu schließen:

„Aber no, freilich … vom Land einer is er halt doch … und da kennt er sich halt diemal net so aus … mit die fürnehmen Sacherln, wissen S’… ja, und da hab’ ich mir schon diemal ’denkt: es kunnt’ schon sein, daß der Herr Fürst noch einmal ein’ anstellt, so ein’ Herrischen … ein’ Jagdverwalter, oder wie man’s heißt … so ein’, wie ’leicht der Herr Martin einer is?“

„Martin? Und Jagdverwalter?“ Das war eine Vorstellung, die den Fürsten lachen machte. „Nein! Wenn ein Jagdverwalter nötig wäre, wüßt’ ich mir einen anderen zu finden. Aber der Förster macht ja seine Sache so gut, daß ich mir das besser gar nicht wünschen kann!“

Pepperl grinste im Triumph seiner Schadenfreude wie ein Indianer, der den Skalp des Todfeindes eroberte. „Wart’, Frau Verwalterin, heut auf’m Abend kriegst was z’ hören!“ dachte er sich und streckte den Hals vor, daß ihm die Schultern fast aus der Joppe sprangen. Dann plötzlich, als hätte sich sein Herr durch höchst unweidmännische Schwatzhaftigkeit ausgezeichnet, flüsterte er mahnend: „Aber jetzt, Duhrlaucht, jetzt müssen S’ Ihnen fein stad halten! Die Zeit wird kritisch … allbot kann was daherspringen.“

Lautlos, ohne sich zu rühren, saßen sie eine halbe Stunde.

Da ließ sich aus dem Waldstreif hinter der Lawinengasse das leise Rollen von Steinen hören. Pepperl, der jetzt ganz bei der Sache war, spitzte die Ohren. Im gleichen Augenblick faßte Ettingen mit hastigem Griff den Feldstecher. Doch während der Jäger hinüberspähte zum Wald, hielt Ettingen das Glas nach dem Thal gerichtet.

Dort unten auf dem Pfad war Lolo Petri erschienen, den Basthut mit einem Kranz von Blumen geschmückt. Ihr folgte der Bruder, dessen Hütlein unter Almrosen ganz verschwand, und führte an losem Zügel den Esel, der mit dem Gepäck und einem riesigen Busch von Rosen und anderen Blumen beladen war.

„Obacht!“ flüsterte Pepperl, welcher drüben aus dem Waldsaum ein Alttier sichernd auf die Lichtung treten sah. Als aber Ettingen das Glas nicht sinken ließ und die Büchse nicht faßte, blickte der Jäger verwundert auf. Da sah er das Gesicht seines Herrn von heißer Röte übergossen, und sah, wie ihm das Glas in den Händen zitterte. „Mar’ und Josef,“ dachte sich Pepperl, „der kriegt mir ’s Hirschfieber!“ Den Atem verhaltend, zischelte er: „Net aufregen, Duhrlaucht! Nur net aufregen! Heut haben S’ Glück, passen S’ auf! Lassen S’ das Frauenzimmer nur schön vorbei …“ er meinte das Alttier, „und Obacht geben, da kommt schon was nach!“

Es wurde lebendig drüben im Wald, und dem Alttier folgte ein Rudel, bei dem ein paar schwache Hirsche waren.

„Es is nix G’scheids dabei! Nur warten!“ flüsterte Pepperl.

Doch Ettingen sah und hörte nicht, was um ihn vorging, sondern folgte mit dem Glas jedem Schritt des Mädchens dort unten.

Ruhig und sorglos trat das Rudel auf die Lichtung; nur das Alttier windete vorsichtig nach allen Seiten. Plötzlich wandten alle Tiere die Köpfe gegen den Wald zurück, und flüchtig in der Mulde und zwischen den hohen Erlenbüschen verschwindend, nahmen sie den Wechsel gegen das Thal.

„Der Hirsch kommt! Der Hirsch! Richten S’ Ihnen!“ zischelte Pepperl. „Der Hirsch! Mar’ und Josef, und was für einer!“

Deutlich konnte Ettingen durch das Glas das Gesicht des Mädchens sehen, ihr Lächeln, die Bewegung ihrer Lippen, wenn sie mit dem Bruder plauderte. Nun hatten die Geschwister den steilen Rain erreicht, über den sie niedersteigen mußten, um das Kiesbett zu überschreiten, und mit dem Bergstock zeigte Lo’ dem Bruder eine Stelle, über die er den Grauen leichter hinunter brächte.

Da plötzlich sah Ettingen im Glas ein flüchtendes Rudel Hochwild auftauchen. Links und rechts von den beiden Geschwistern jagten die Tiere vorüber, erschrocken wollte Lo’ nach dem Zügel des Esels greifen, aber da scheute der Graue schon und rannte mit bockenden Sprüngen über den Rain in das Kiesbett hinunter, den Knaben am Riemen mit sich schleifend.

Erblassend sprang Ettingen auf, und den Feldstecher wegschleudernd, stammelte er: „Ums Himmelswillen! Das giebt ein Unglück! Praxmaler! Kommen Sie! Schnell! Ich fürchte ...“

Er hatte den Bergstock gefaßt, schwang sich über die Mauer – und während er hinuntereilte über den steilen Hang, stand drüben auf der Lichtung ein Hirsch mit herrlichem Geweih, äugte dem springenden Menschen dort unten nach, trollte ein paar Schritte, äugte wieder und verschwand in den Latschen.

Jetzt ermunterte sich Pepperl aus seiner sprachlosen Verblüffung, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte: „Mar’ und Josef! Rennt mir der Fürst davon und fürcht’t sich vor ei’m Hirschen!“

Da klang aus dem Wald herauf die schreiende Stimme seines Herrn: „Praxmaler! Kommen Sie! Schnell!“ Es war in dieser Stimme ein Ton, der den Jäger ahnen ließ, daß hier doch wohl etwas anderes geschehen wäre als nur ein drolliges Jägerstücklein.

In Sorge begann er zu rennen und erreichte das Kiesbett in dem Augenblick, als Ettingen und Lolo Petri den Knaben fanden. Lo’ war bleich vor Schreck und Sorge, als sie den Kopf des Knaben aufhob an ihre Brust. Aber die Sache schien übler auszusehen, als sie war. Gustl zitterte wohl, doch er lächelte, um die Schwester zu trösten, und sagte: „Aber schau, Lo’, sorg’ dich doch wirklich nicht! Mir ist nichts geschehen! Gewiß nicht! Und Schmerzen hab’ ich gar keine!“ Im Gesicht und an den Händen hatte er ein paar leichte Schürfwunden, sonst schien er unverletzt. Doch als sie ihn aufrichteten, konnte er nicht stehen und wäre wieder zu Boden gesunken, hätte ihn Ettingen nicht in seinen Armen aufgefangen.

„Kind! Kind!“ stammelte Lo’, während ihr die Thränen aus den Augen brachen.

„Beruhigen Sie sich, Fräulein,“ sagte Ettingen, obwohl ihm selbst vor Erregung die Stimme kaum gehorchte, „es kann ja doch nicht so schlimm sein! Der Fuß ist nicht gebrochen … sehen Sie nur … und hier eine Untersuchung vorzunehmen und den armen Jungen zu quälen, das ist ja nutzlos. Kommen Sie … wir tragen ihn bis zum Jagdhaus ... da kann alles leichter und besser für ihn geschehen! Kommen Sie!“ Bei diesen Worten hatte er Gustl schon auf seine Arme gehoben und eilte mit ihm über das Kiesbett hinüber gegen den Weg.

Pepperl erbot sich, den Knaben zu tragen – denn auch bei raschem Gang war’s immerhin eine halbe Stunde bis zum Jagdhaus. Auch Lo’ mahnte mit scheuer Bitte, daß Ettingen den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0236.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2020)