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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

So stotterte die Magd, aber Frau Josefa unterbrach sie: „Das ist nicht wahr!“

„Und läßt der Gemeindevorstand fragen – wann das Begräbnis sein soll?“

„Laßt mich in Frieden, es ist ja nicht wahr, es kann doch nicht wahr sein, mein Gott!“ Damit brach sie wieder in Weinen aus. Die Magd zog sich zurück in die Küche, das Weib ging mit gerungenen Händen in der Stube auf und ab und schluchzte und schluchzte.

Der Meinhardt auf dem Preßschragen konnte es kaum mehr aushalten. Er sann nur nach, wie es anzufangen sei, daß der plötzliche Schreck ob seiner Erscheinung ihr nicht schade. Da wurde im Vorhause wieder etwas gehört. Ganz sachte ging die Thür auf und – der Kohlenschreiber war da. Er blieb an der Thür stehen und sah aus wie ein Gespenst, so totenblaß, so unheimlich verstört. „Ihr seid,“ flüsterte er, „an diesem Tag allein!“

„Und will es bleiben,“ gab sie derb zurück.

„Ich komme nur,“ stotterte er, „weil ich mir nimmer zu helfen weiß, nimmer anders. Hab’s ja schon gesagt, Frau Josefa, wie ergeben ich Euch bin ….“

„Und ich hab’ Ihm gesagt, daß Er mich in Ruh’ lassen soll!“

„Gewiß, ich hab’s respektiert. Solang’ er lebt, habt Ihr gesagt, keinen andern. Und das ist die Ursache gewesen ….“

„Sali!“ diesen grellen Schrei stieß das Weib nach der Magd aus.

Die herbeieilende Magd hielt gerade den Besen, mit dem sie zum Abend die Küche zu scheuern pflegte. Diesen riß ihr Frau Josefa aus der Hand und hieb ihn dem Schreiber um den Kopf. Der Geschlagene lief nicht davon, sondern fiel zu Boden. Mit beiden Händen umklammerte er ihren Fuß, wimmerte und stöhnte: „Ihr versteht mich nicht, Frau! Habt doch nur einen Augenblick lang Barmherzigkeit mit dem Elenden! Ich will ja nichts, als daß Ihr ein langes Messer nehmt und mir’s in den Hals steckt! Wißt Ihr’s denn nicht, daß ich schuld bin? Wahnsinnig um Eure Lieb’! Im Rausch einen Brief geschrieben – einen Mörder gedungen! Ich! Ja, ich! Diese Bestie da! Diese da!“ Gleich einem getretenen Hund winselte er es schrill heraus, und wie er vorher ihren Fuß umklammert hatte, so umklammerte er jetzt seinen Hals, um sich zu erwürgen.

In diesem Augenblick schon waren einige Leute da vom Nachbarhaus, die in Verwirrung umherrannten und nicht begriffen, was vorging. Vor der Hausthür stand die Magd und zeterte immer noch mehr Leute zusammen; mehrere kamen von den Häusern im Nachtgewand daher und alle drängten zur niedrigen Stubenthür hinein, wo Frau Josefa ratlos dastand und der Kohlenschreiber sich in wilden Krämpfen auf dem Platz wälzte.

Der rief jetzt flehend aus: „Betet für mich, ihr guten Leut’! Der Teufel ist schon da um mich!“

Sie schauten sich gegenseitig an und sagten untereinander: „Verrückt war er immer, endlich ist der volle Wahnsinn ausgebrochen!“ Der Schreiber aber rief in einem fort, er habe den Fergen umbringen lassen, und plötzlich hub er ein dumpfes Lachen an, stöhnte mit einer Stimme, die der Schreck gebrochen hatte: „Hab’ mir’s ja gedacht! Hab’ mir’s gedacht, daß er sich anmelden wird. Er will mich ja fragen, warum? Alle guten Geister, Meinhardt, frag’ mich doch! Ist’s dann gut, wenn man gehenkt ist? Sag’ mir’s, Meinhardt, ist’s dann gebüßt?“

Als er so schrie und wimmerte, wies er gegen die offene Thür, und als die Leute mit den Augen unwillkürlich dieser Richtung folgten, stöhnten sie auf vor Schreck. Denn was der Wahnsinnige sah, das sahen auch sie. In der halbdunklen Thür stand der Ferge Meinhardt. – Ein klingender Schrei und die Frau Josefa sprang an die Gestalt, die nicht wankte und nicht verschwand.




Am nächsten Morgen war unten bei der Rieselwehr ein großes Halloh! Einen alten Hut hatten sie aus dem Wasser gezogen und ein verknorpeltes Baumgewurzel, das wohl aus den oberen Waldgegenden herabgeschwemmt worden sein mochte. Und das war der tote Ferge gewesen. Der Totengräber beklagte sich sehr, daß er in der vergangenen Nacht ein hartes Tagewerk gethan habe und wer ihn dafür bezahlen würde?

Der Klacherl vergütete es. Der war nach dem Bekanntwerden der Rückkehr Meinhardts sofort freigelassen worden. Er nahm den Totengräber unter den Arm und wollte das Ereignis im Wirtshause feiern. Da kam ein Landwächter und nahm ihn neuerdings mit sich. Das Gericht, sagte der, hätte mit ihm, dem Klacherl, noch eine kleine Angelegenheit zu ordnen. Während der Vagabund unter sicherer Begleitung seinen Weg in die Kreisstadt zu Fuß machte, eine recht verdrießliche Wanderung! fuhr die Straße entlang auch ein Wagen. Darin saßen zwei handfeste Männer, die zwischen sich den Kohlenschreiber hatten. Was Liebestollheit und Wein an dem angerichtet, das sollte nun das Irrenhaus schlichten …

Der Ferge Meinhardt hatte schon in der Nacht seiner Frau Josefa ein umfassendes Bekenntnis abgelegt, worauf sie ihm in heftigem Zorn seine Dummheit und Erbärmlichkeit vorhielt. – Wie wohl that ihm jetzt die Herbheit seiner Frau, sie entzückte ihn. Ihre Untugenden trägt er fürder mit Geduld, denn er weiß, was jeder Ehemann wissen muß, um im Gleichgewichte zu bleiben.




Allerlei moderne Drachen.

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[ Da der Verfasser W. Berdrow erst 1954 verstorben ist, kann der Text hier erst ab 2025 transkribiert werden.]


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0251.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2020)