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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

laut, die Amsel, noch ungeschickt, probiert unermüdlich dieselbe Strophe – das Landvolk versichert, sie rufe ganz deutlich: Bella mia, ti vedo, si – si – si! (Schätzel mein, ich seh’ dich, ja – ja – ja!) Auf den Feldern ist alles bunt, der ersten Blumengeneration folgen schon die wilden Tulpen nach, die zwischen dem grünen Weizen wachsen, die großen flammendroten an dicken strotzenden Stielen, die kleinen weiß- und rotgestreiften und die schmiegsamen gelben, die sich an langen schwanken Stengeln wiegen. Ebenso wie die Anemonen und Narzissen lassen sie sich im Glase über eine Woche frisch erhalten. In Massen wachsen die gewöhnlichen Wiesenblumen schon daneben, Erdrauch, Löwenzahn und die liebliche blaue Perlblume. Vor allen anderen aber leuchtet die Schwertlilie im dunkelblauen goldverbrämten Samtgewand, das Wahrzeichen von Florenz, denn sie ist es, deren stilisiertes Abbild die Stadt im Wappen führt.

In früheren Jahren konnte man von dieser Blumenpracht auf den Feldern pflücken, so viel das Herz begehrte. Der Landmann lächelte höchstens über die Sonderlinge, die ihm seine Aecker vom Unkraut säubern halfen. Aber seit der Blumenversand eine so ungeheure Ausdehnung angenommen hat, sind auch die wilden Blumen ein Handelsartikel geworden. Doch mit einem freundlichen Wort und einer kleinen Gabe läßt sich auch jetzt noch das Verbot brechen, wie die Tausende von Spaziergängerinnen beweisen, die jeden Abend mit Sträußen beladen zu den Thoren hereinströmen; die Britin kennt man von weitem an der Größe ihrer Beute und an der Energie, mit der sie Blütenzweige zur Zimmerdekoration heranschleppt, die oft länger sind als die Trägerin selbst – sie muß am Thor dem Fiaker winken, damit sie ihrer Last nicht erliegt.

Dies ist die Zeit, wo sich der große Menschenstrom von Nord nach Süden wälzt, er kommt mit der Gewalt einer Überschwemmung und wächst mit jedem Jahr, seitdem der Frühling in nordischen Landen eine Sage zu werden droht. Zwar ist Florenz nur eine Durchgangsstation; die große Masse schiebt sich nach kurzem Aufenthalt gegen Rom und Neapel weiter. Aber jeder Tag bringt neue Scharen nach, die Straßenadern schwellen, das Wagengerassel kommt Tag und Nacht nicht zur Ruhe, Gasthöfe, Restaurants, Theater, Läden sind überfüllt. Der Eingeborene erwartet von dieser jährlichen Fremdenüberschwemmung denselben Dienst, den der Austritt des Nils den Bewohnern seiner Ufer leistet: sie soll Wohlstand verbreiten, ohne den Fleiß der Hände in Anspruch zu nehmen, und soll in wenig Wochen den Bedarf des ganzen Jahres decken.

Die Natur übernimmt es, die Stadt zum Empfang der Gäste zu schmücken. Thorbogen und Laubgehänge überwölbt sie mit den lichtblauen Blütentrauben der Glycinen wie mit einem zartduftenden Baldachin, zwischen die dunklen Lorbeerwände sät sie eine wildwuchernde Fülle gelber und weißer Schlingröschen aus und bestreut den Boden mit Blütenschnee, der aus den Gärten niederregnet.

Und nicht nur Blumen spendet die Jahreszeit, auch Früchte sind schon da, die Orangenhändler durchziehen mit Karren und Körben die Stadt – ihre goldene Ware ist an allen Straßenecken ausgelegt – auch draußen vor den Thoren und in den umliegenden Ortschaften findet man sie als hochwillkommene Begegnung für den erhitzten durstigen Wanderer.

Noch haben die Blumen allein das Vorrecht, die Stadt zu schmücken, kein leichtes Frühlingskleid, kein heller Hut wagt sich heraus, denn eine unumstößliche Satzung will, daß erst bei den großen Pferderennen im Mai die bunten Stoffe und die Sommerhüte zum Vorschein kommen. Unterdessen mag die Sonne Gluten versenden, die Florentinerin lüftet höchstens den Pelzkragen, und die fremden Touristinnen im diskreten Reiseanzug tragen auch nichts zur Buntheit bei. Die Blumen aber sind überall: auf den Ständen der Blumenhändler und in den Händen der Vorübergehenden, Kinder bieten sie auf Brücken und Plätzen feil, sie leuchten aus den vorüberfahrenden Equipagen, und die breiten Steinbänke, die um die alten historischen Paläste herlaufen, sind durch die Auslagen der Gärtner in wahre Blumenkränze verwandelt, die balsamische Düfte durch die Straßen senden.

Der eigentliche Blumenmarkt ist eine Einrichtung der letzten Jahre und findet nur einmal wöchentlich, am Donnerstag Vormittag, unter den Loggien des Mercato nuovo statt. Was ihn vor den Blumenmärkten anderer Städte auszeichnet, ist die charakteristische Lokalität bei dem wasserspeienden antiken Bronzeeber, dem sogenannten porcellino (Schweinchen), und die überwiegende Menge von Feldblumen, die neben den Blütenreisern und den Gartenblumen verkauft werden. Die Ueberlieferung will, daß viele dieser Blumen, die sonst in Europa nicht wild wachsen, ursprünglich aus Palästina stammen; mit den Schiffsladungen heiliger Erde, welche die reichen Florentiner im Mittelalter für ihre Begräbnisstätten aus Jerusalem bezogen, sollen ihre Keime nach Florenz gekommen sein.

Zur Zeit des Himmelfahrtsfestes tritt noch eine weitere Besonderheit hinzu: die schwarze Grille, die alsdann in winzigen bunten Drahtkäfigen feilgeboten wird. Ein florentinisches Kind läßt sich um diese Zeit schwerlich vom Blumenmarkt heimführen, ohne daß die Mama ihm seinen grillo gekauft hat; man stellt die Tierchen zu Haus oder im Garten auf, wo sie sich hinter dem Gitter bald zu Tode zirpen, wenn nicht eine mitleidige Hand ihnen heimlich die Freiheit giebt. Es ist ein uralter florentinischer Brauch, daß am Himmelfahrtstage, der davon der Grillentag heißt, die jungen Leute zu Grillenfängern werden: frühmorgens zieht das Völkchen in Scharen nach den Cascinen hinaus, um seine Picknicks im Grünen abzuhalten, und der Liebhaber ist verpflichtet, seinem Mädchen eine schwarze, gelbgefleckte Grille von besonders musikalischer Gattung zu verehren – wenn sie zu Hause lustig musiciert, so gilt es für eine gute Vorbedeutung. – Außerhalb der Loggien, unter denen in bunter Pracht die Blumen aufgehäuft sind, drängt sich eine Reihe enger Buden, wo die bekannten Florentiner Strohhüte verkauft werden, auch künstliche Blumen giebt es hier, sowie Spitzen und Bänder und was sonst zum Aufputz eines Hutes gehört.

Blumen ganz anderer Art sind es, die drüben auf dem Trottoir unter der Häuserreihe verhandelt werden. Dort stehen die Tische der öffentlichen Schreiber, von denen Bauern, Dienstmädchen, Soldaten, und wer sonst im Alphabet nicht bewandert ist, sich ihre Korrespondenz besorgen lassen. Wie das Leben der Südländer sich überhaupt im Freien abspielt, so hat das Völkchen auch kein Arg dabei, seine Briefe vor der Oeffentlichkeit zu diktieren. Doch kann man die Abfassung ebensogut der Phantasie des Schreibers überlassen, der über einen blütenreichen, hochgeschwungenen Stil verfügt und, besonders wenn es sich um Liebessachen handelt, die Blumen der Rhetorik nicht sparsam einflicht.

Die letzten Jahre haben neben den großen Blumenausstellungen den Blumenkorso früherer Zeiten wieder eingeführt, bei dem die am schönsten geschmückten Wagen durch Preise ausgezeichnet werden. Es versteht sich, daß man mit Geschmack und Phantasie sehr Schönes leisten kann. Einen wundervollen Anblick gewährte z. B. ein mit tiefroten Rosen wie mit einem Teppich dicht belegter Landauer: die Speichen der Räder, die Pferde, alles war mit Rosen bekränzt und das Lederzeug so mit Blumen umwunden, daß es aussah, als wären die Tiere mit Guirlanden gezäumt und angeschirrt. Ein leichter Korbwagen, dessen Form unter einer abstehenden Umhüllung von Maiblümchen ganz verborgen war, nahm sich gleichfalls reizend und feeenhaft aus; die Insassen schienen in einem Korbe voll Maiblumen hinzugleiten, und wenn ein Flor junger Gesichter und duftiger Toiletten das Innere eines solchen Wagens schmückt, so ist das Bild vollkommen. Nur wird das Schauspiel durch die ungeheure Menschenmenge in den verhältnismäßig engen Straßen wesentlich beeinträchtigt. Dem Blumenkorso der Equipagen schließt sich als allerneuste Neuerung zuweilen auch noch ein solcher für Radfahrer an.

Mehr noch als der frühe Blumenflor und das blendende Licht, das am Tage über der Landschaft liegt, muß den nordischen Reisenden die blaue Tiefe der nächtlichen Himmelskuppel mit ihrem übermächtigen Sternenglanz in Staunen setzen. Der Deutsche hat selten Gelegenheit, sich am Himmel orientieren zu lernen, denn im Winter, wo die Luft klar ist und die hellsten Sternbilder über dem Horizont stehen, ist die Kälte der Beobachtung hinderlich, und die schwächeren Sommergestirne haben im Norden häufig gar nicht die Kraft, die dunstige Atmosphäre zu durchdringen. Und doch sollte heute noch ein jeder von uns

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0256.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2020)