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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Kaffee gelegt werden mußten, sonst schmeckte der Kaffee nach dem Beutel.

Langsam ließ Sabine das kochende Wasser auf den mit Bläschen sich bedeckenden Kaffee tropfen. Das ist ein förmliches Stillleben, dachte sie dabei, wie der gestrickte Beutelrand, mit dem Aufhängsel daran, sich aus dem Blechtrichter erhebt.

Die ganze Stube war ein Stillleben, aber kein malerisches. Dazu standen alle Möbel zu gerade vor den Wänden aufmarschiert und dazu waren sie nicht alt genug. Sie waren bloß erst unmodern. Rechts und links vom Sofa noch ein Klavier und ein Sekretär, ersteres nach dem Fenster, letzterer nach dem Ofen zu. Drüben ein Cylinderbureau und Stühle, die Thüren mit braunen Damastportieren verziert, denen man ansah, daß sie nie aus ihren dicken Haltern von Posamentierarbeit gelöst wurden.

Gerade so hatten alle Sachen einst draußen auf Heinsdorf gestanden und gehangen.

Sabine hörte hinter sich Geräusch und wandte sich um.

Ihre Eltern kamen aus der nebenan gelegenen Schlafstube, wo Herr Oberamtmann im Ohrenlehnstuhl am Fenster und Frau Oberamtmann auf einer Chaiselongue eine Stunde zu schlummern pflegten. Sabinens Vater war ein großer, breiter Mann mit einem wohlwollenden Gesicht und hellen, klugen Augen. Sein graues, schon sehr spärliches Haar hatte er vom Nacken her über den kahlen Schädel gekämmt, den es so strähnig deckte, daß man doch die Kahlheit durchsah. Er trug immer ein schwarzes Halstuch um einen Vatermörderkragen und hatte einen unveränderlichen Geschmack für Gehröcke von braunem Tuch; aber er ließ sich nur alle drei Jahre einen neuen machen und trug die alten, fleckigen in der Familie auf.

Jetzt sah er verschlafen aus, und rot zeichnete sich auf seiner rechten Wange das Muster der gestickten Schlummerrolle, gegen die er sein Haupt gelegt hatte.

Frau Oberamtmann Deuben sah beinahe elegant aus. Ihr Gesicht mochte einst dem Sabinens geglichen haben. Ein Leberleiden hatte ihre Farben sehr gelblich gemacht. Das Haar fing an zu ergrauen, doch trug Frau Oberamtmann kein Häubchen, und es sah immer aus, als ob sie nicht fertig hergerichtet wäre, da das dürftige Flechtengesteck am Hinterkopf durchaus irgend einer Ergänzung bedürftig schien. Sie trug ein seidenes Kleid. Es war schwarz und hatte ein gelbes Treffasmuster.

Seit ihrer Hochzeit kannte Sabine dies Kleid. Es war dick und schwer wie Leder und wurde lange Jahre nur bei großen Gelegenheiten angezogen. Jetzt wollte ihre Mutter „es auftragen“. Aber das dauerte nun auch schon sehr lange, weil diese Absicht einigemal durch Familientrauer unterbrochen worden war.

Ihre Tochter sehr überrascht betrachtend, blieb Frau Deuben mitten im Zimmer stehen, indes der Alte mit etwas schweren, noch schlafmüden Schritten sich zu seiner Sofaecke begab.

„Du legst schon Trauer ab?“ fragte sie mißbilligend.

„Ich?“ fragte Sabine entgegen. Sie hatte zu ihrem schwarzen, überaus einfachen Blusenkleid einen weißen Klappkragen umgethan und trug eine Modekrawatte dazu, schwarz mit weißen Punkten.

„Als Witwe trauert man zwei Jahre ganz schwarz,“ sprach die Mutter.

„Ich werde in der kommenden Woche schon ein graues Kleid anziehen,“ sagte Sabine und goß ihrem Vater Kaffee ein.

„Nun, du bist dein eigener Herr und kannst machen, was du willst. Aber ich gebe dir zu bedenken, daß die Leute darüber sprechen werden,“ antwortete Frau Deuben und ließ sich neben ihrem Gatten nieder.

„Ich handle nach meiner Empfindung und will nicht länger einen Gram heucheln, den ich eben nicht empfinde.“

„Ah –“ machte der Alte, behaglich ausatmend, nachdem er laut die ersten Schlucke geschlürft, „man wird doch immer erst wieder Mensch, wenn man seinen Kaffee im Magen hat.“

„Das sagst du jeden Tag,“ bemerkte seine Frau und wiegte den Kopf, wie jemand, der mühsam unterdrückte Ungeduld markiert.

„Weil’s eben ’ne Wahrheit ist, die man alle Tage an sich merkt,“ schmunzelte der Mann und fragte: „Und die Kleinen? Wo bleiben die?“

„Lisbeth ist noch nicht mit ihnen zurück,“ sagte Sabine.

„Die bleibt alle Tage länger weg, wenn sie mit den Kleinen spazieren geht.“

„Küps hat sie schon mehrfach abends mit einem Unteroffizier drüben in der Crolpaschen Einfahrt stehen sehen,“ bemerkte Frau Deuben.

Sabine seufzte. Lisbeth war das Kindermädchen und erfreute sich der Ungunst und strengen Beobachtung der Frau Oberamtmann.

„Ich habe ihr schon oft genug Pünktlichkeit eingeschärft,“ sagte Sabine.

„Du mußt es ihr mal gründlich sagen. Denn so bei meinem Kaffee, da will ich die kleinen Deubels bei mir haben,“ sprach der Oberamtmann, der seine Enkel sehr liebte.

Man trank einige Minuten schweigend. Sabine strich vier Scheibchen für ihre Kinder und legte sie zierlich zurecht.

Es klopfte sehr hart, es war eigentlich nur ein Schlag gegen die Thür, und unmittelbar danach öffnete man schon. So befolgte und umging die Köchin Guste den Befehl, nie einzutreten, ohne vorher geklopft zu haben.

„Die Post“, sagte sie und blieb fast auf der Schwelle stehen. Denn sie war noch mitten beim Aufwaschen und trug eine graue, nasse Schürze.

Sabine sprang auf und nahm das Bündel von Zeitungen und Briefen der ihre Ungeduld sehr deutlich zeigenden Guste ab.

Es war ein Brief aus Heinsdorf vom Sohn und Bruder, dann ein Preiscourant, an Frau Oberamtmann Deuben adressiert, und Sabinens Zeitung nebst zwei Briefen an sie. Die Eltern fanden es thöricht und luxuriös, daß Sabine sich eine Berliner Zeitung hielt, noch dazu eine, die nicht agrarisch gesinnt war. Allein sie sagten nichts dazu, sie waren von sich überzeugt, der armen Tochter alles zu gönnen, und lebten des Glaubens, ihr ungemeine Freiheiten zu lassen.

„Was schreibt denn Reinald?“ fragte die Mutter.

Deuben nahm erst seinen Kneifer aus der Westentasche und setzte ihn sehr vorn auf seine fleischige Nase.

Schweigend, mit kritischer Miene, las er den Brief, bald beifällig in seine Lektüre hinein nickend, bald den Kopf wiegend. Er verfehlte nicht, auch laute Bemerkungen zu machen, und er sagte nacheinander: „Ja so“ – „na nu“ – „ach daher“ – „kann ich mir denken“ – „woll’n wir hoffen“.

Diese Manier ihres Gatten, Briefe zu lesen, die Frau Oberamtmann nun doch schon fünfunddreißig Jahre kannte, machte sie immer noch nervös und steigerte ihre Neugier bis zur Unerträglichkeit. „Wird man erfahren dürfen ...“ sagte sie ungeduldig.

„Lauter Wirtschaftsgeschichten,“ erklärte der Alte und gab seiner Frau den Brief. „Lies selbst. Zum Vorlesen ist es nicht. Sabine interessiert sich nicht für die Heinsdorfer Geschichten.“

„Aber das interessiert mich,“ sprach Sabine unbewußt ein wenig gereizt, „ob Reinald sich nach deinen Erwartungen und Wünschen einlebt.“

„Großartig!“ rief der Vater. „Er ist ein glänzender Landwirt. Heinsdorf wird unter ihm mindestens so prosperieren wie unter mir, wenn nicht besser – denn im ganzen ist man ja ’n gut Teil weiter als zu den Zeiten, wo ich lernte. Er hat ’ne andere Schule durchgemacht.“

„Ich denke immer, ihr hättet mich zu Reinald ziehen lassen sollen,“ meinte Sabine.

„Nein, nein, Tochter – das war nur so ’ne überspannte Idee von mir. Erstmal hast du keinen Dunst davon, was es heißt, Gutsherrin spielen und überall die Direktion geben können, ob’s nun Hühnerhof, Milchkammer oder Küche ist. Und zweitens: es wäre ja doch keine Sache von Dauer gewesen. Denn Reinald muß bald heiraten. Unverheirateter Landwirt – das geht nicht. Aber vorsichtig muß er sein, sehr vorsichtig. Es muß ein Mädchen sein mit Neigung und Befähigung für Landwirtschaft und mit den nötigen Batzen Geld dazu. Beinahe scheint es ja – er hat was in Sicht.“

„O schon? Wie schade,“ rief Sabine erschreckt. Sie liebte ihren Bruder sehr. Er war sechs Jahre älter als sie; als sie ein Kind war, brachte er seine Bildungsjahre fern vom Elternheim zu, dann heiratete sie jung. So kam man nur in Ferienwochen und auf Besuchstage zusammen und kannte sich im Grunde wenig. Aber allen schönen, guten Glauben, den eine Schwester von einem Bruder haben kann, hatte Sabine von dem ihren,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0295.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2020)