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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

und alle tiefen, warmen Gefühle, die zu empfinden und zu verschenken sie das heißeste Bedürfnis hatte, weihte sie dem Bruder.

Und sie hatte gehofft, ihn eines Tages mit ihrer Freundin und Cousine Susanna Osterroth vermählt zu sehen. Sie dachte, ihre Eltern zu bestimmen, Susanna im Sommer einzuladen, obschon ihre Eltern diese gar nicht kannten. Die Osterroths, von denen Frau Deuben abstammte, waren mit den Osterroths, die den Zeuthern verwandt geworden, nur durch eine gemeinsame Urgroßmutter verknüpft. Die Erblasserin und Patin Sabinens, das Fräulein Sabine Osterroth, war die Mittelsperson zwischen beiden Familien gewesen und wurde von beiden Zweigen als nächste Verwandte gefeiert. Sie hatte auch einst den Referendar von Zeuthern mit einem Gruß nach Heinsdorf geschickt, als der junge Jurist dem Mühlauer Landratsamte zugeteilt gewesen war.

Wenn Reinald schon eine Liebe hatte oder eine Wahl getroffen, dann fiel freilich Sabinens Hoffnung ins Wasser.

„Lies das mal, Alte,“ befahl der Oberamtmann. Er selbst hörte es wohlgefällig gern noch einmal.

Und die Mutter las, daß auf Wendessen, dem Nachbargut von Heinsdorf, bei den Voigtstedts, die älteste Tochter heimgekommen sei, nachdem sie ein Jahr auf einem ostpreußischen Gut gewesen war, die Wirtschaft zu lernen, und daß Reinald nur sagen müsse: jeder Mann könne sich gratulieren, der das frische, gesunde, tüchtige Mädchen mal erringe.

„Er soll selbst drauf los gehen. Schreib’ ihm gleich morgen, Alte!“ meinte der Vater.

Er sprach noch lange hin und her über die Voigtstedts.

„Na und da war ja noch mehr,“ sagte er dann, zu Sabinens Briefen hinüberschielend. Er mochte zu gern alles wissen und konnte nicht begreifen, daß es in seinem Hause Menschen gab, die ihre Briefe für sich behielten.

„Von meinem Schwager und von meiner Freundin,“ sprach Sabine und nahm ihre Briefe, um sie in die Tasche zu stecken.

Zugleich stand sie auf, um für einige Minuten in ihre eigenen Zimmer zu gehen. Es war ihr unmöglich, in Gegenwart der Eltern Briefe zu lesen. Ihr Vater hätte sagen können: „Na gieb mal her, wenn da keine Geheimnisse drin stehen.“ Das wollte sie vermeiden, obschon sie wirklich keine Geheimnisse hatte.

Man reißt doch auch nicht die Thüren fremder Wohnungen auf und sieht hinein. Gerade solch Beginnen erschien es ihr, wenn man Briefe an Personen herumzeigte, an die sie nicht gerichtet waren –

Sabine bewohnte in dem flügelartigen Anbau zwei Zimmer des ersten Stockes. Sowohl das Wohngemach als die dahinter folgende Schlafstube hatten je zwei Fenster nach dem Hofe. Hier war Sabinens Asyl, hier hatte sie soviel als möglich von ihren künstlerisch schönen, kostbaren Möbeln und Stoffen untergebracht, um sich ein trautes Nestchen zu schaffen. Aber die zwei engen Räume, von Sachen überfüllt, machten es ihr schwer, immer die zierliche Ordnung festzuhalten, die sie liebte. Die beiden lebhaften Kinder durften nicht immer vorn bei den Großeltern sein und konnten nicht immer auf dem großen Flur spielen, oft genug waren sie auf diese beiden Stuben angewiesen.

Am Fenster war mit Hilfe eines Wandschirmes, dessen obere Teile von fahler, faltig gezogener Seide gebildet wurden, ein reizendes Eckchen hergerichtet. Da stand ein englischer Lehnstuhl von bizarrer Form und davor ein leichtfüßiges Tischchen, in dessen blanker dunkler Platte sich das hohe Zierglas wiederspiegelte, in dem drei rotgelbe Tulpen blühten.

Sabine setzte sich in den Stuhl und nahm ihre Briefe aus der Tasche. Erst den von Susanna lesen, dachte sie, denn ihr Schwager hatte ihr eigentlich nie etwas zu schreiben. Pflicht und Anhänglichkeit trieben ihn ab und an, einen Brief zu verfassen, der dann doch immer den Charakter des Herausgequälten trug.

Susanna Osterroth schrieb:

„Meine geliebte Sabine! Immer wenn ich Dir schreibe, habe ich den Wunsch, Dir ein bißchen Sonnenschein in die Mühlauer Verbannung senden zu können. Allein diesmal wird mein Brief wohl zu ernst werden, um Dich zu erheitern; die Geschichte mit dem Gelde ist nämlich endlich, endlich abgewickelt. Es stellt sich heraus, daß uns soviel Kapital bleibt, um fünfzehnhundert Mark Zinsen zu erzielen – in preußischen Consols angelegt nämlich! Vor anderthalb Jahren wußte ich gar nicht, was das für Dinger sind. Aber nun weiß ich es; nachdem Dein Mann, mein Vetter, unser aller Geld in „Goldminen“ und „Philippinen“ verspekuliert hat, flößt uns jedes Papier Angst ein, außer den obenbenannten Consols. Solange unser guter Onkel Fritz lebt und Mama und mir fünftausend Mark dazu giebt, haben wir also recht auskömmlich zu leben. Stirbt er, wird es freilich anders. Wir wissen es ja, Onkel Fritz’ Vermögen geht mal in zweiundzwanzig Teile. Davon kommt ein Zweiundzwanzigstel auf Dich, meine arme Sabine, ein Zweiundzwanzigstel auf Deinen Schwager und eines dito auf mich. Er hat es mir genau vorgerechnet: das macht für jeden von uns 40000 Mark.

Onkel Fritz sagt, wenn er auch zu seinen Lebzeiten uns 5000, Dir 2500 und Deinem Schwager 2500 Mark, zukommen läßt und uns damit vor allen seinen Verwandten bevorzugt, so will er doch nach seinem Tod sein Vermögen gerecht und gleichmäßig verteilt wissen. Dagegen kann kein Mensch was sagen, und ich bin Onkel Fritz so dankbar, daß er mir gar keine Illusionen gelassen hat.

Mein Weg ist nun klar vorgezeichnet. Onkel Fritz kann noch zwanzig Jahre leben, er kann aber auch morgen sterben. Auf das Leben und das Geld eines anderen Menschen will ich nicht zählen, sondern allein auf meine eigene Kraft. Ich fange sofort an, mein Französisch und Englisch gründlich aufzubessern, lerne Italienisch und Russisch und Buchhalten dazu. Perfekt, Sabine – alles so wie geschmiert! Dumm bin ich ja Wohl gerade nicht, und so denke ich, bereits im Winter in einem großen Handelshaus eine Stellung erlangen zu können. Was ich dann verdiene, kann ich, solange eben Onkel Fritz lebt, alles zurücklegen. Onkel Fritz gab mir einen Kuß und besteht darauf, allen Unterricht extra zu bezahlen, und hofft, ein Jubelgreis zu werden. Zu niedlich ist er immer, der gute Alte.

Wenn Du wüßtest, wie mir so ist! Eigentlich riesig wohl! ‚Wenn der Mut in der Brust die Spannkraft übt.‘ – – Ja es ist wohl etwas Schönes, sich erproben zu dürfen. Hoffentlich bestehe ich die Probe.

Wie gern sähe ich Dich einmal wieder, meine Herzenssabine. Du willst nicht nach Berlin kommen, schreibst Du, Du fürchtest, es bräche Dir vollends das Herz? Ja, das verstehe ich nicht ganz. Ich meine, so ein rechter, stolzer Charakter läßt sich Sonnenschein und Regen, wie es gerade kommt, ins Gesicht weh’n und hält immer die Stirn hoch. Wenn Du schon so zerbrochen und so – mutlos bist, daß Du fürchtest, eine einfache Abwechselung und geistige Erfrischung, wie eine Reise nach Berlin wäre, mache Dir nachher Deine Mühlauer Existenz vollends unerträglich, dann ist Deine Seele krank.

Oder vielleicht verstehe ich’s bloß noch nicht. Dann vergieb meine Altklugheit. Ich kleines Hühnchen, sechs Jahre jünger als Du, will Dir Vernunft predigen! Unerhört!

Aber zu Dir kommen möchte ich. Und Dich riesig verziehen und erheitern! Im Augenblick natürlich kann ich nicht. Denn ich stürze mich in den Unterricht. Aber nach einigen Monaten, da kann ich mal bei den Lehrern pausieren. Es soll sehr gut sein, mal so vier Wochen sich alles im Gehirn setzen zu lassen. Dann melde ich mich mit der Botschaft: ‚Bitte mich gefälligst einzuladen.‘

Empfiehl mich Deinen verehrten Eltern und gieb Leo und Milly einen lauten Kuß. Es umarmt Dich
 Deine Susanna.“

Sabinens Augen standen in Thränen. Heimweh nach der Freundin, Heimweh nach der Welt, Sehnsucht nach Thaten, nach Erlebnissen überwältigte sie.

Ja, Susanna war glücklich, denn sie war ihr eigener Herr und konnte arbeiten, um voll Stolz zu fühlen, daß sie ein freier, unabhängiger Mensch sei. Aber sie selbst, Sabine, sie konnte nichts als stillhalten. Und gerade das war für ihr Temperament das fürchterlichste.

Nachdem der Nachlaß ihres Gatten geordnet worden war, fühlte sie sich als eine vollkommen verarmte Frau.

Der almosenartige Zuschuß, den der Onkel gab, reichte in ihren Augen wohl, sich und die Kinder zu kleiden, den Lohn des Kindermädchens zu bezahlen. Auch hatte Sabine die Absicht, einige hundert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0298.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2020)