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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

man durch die hellen Scheiben in den traulichen Raum mit seinen Bildern und Geräten, und sah, wie Frau Petri ruhig ab und zu ging, um den Tisch zu decken und die Tassen zu stellen.

Dunkler und dunkler sank die Dämmerung über Haus und Garten nieder. Da hörte man zwischen den Beeten die Stimme Lo’s: „Zwei Kannen noch, und dann wird’s genug sein.“

Am Brunnen klapperte der Schwengel, das Wasser plätscherte, im Kiese knirschten die schweren Schritte der Magd, und nun ließ sich das leise Brausen des über die Blumen fallenden Sprühregens vernehmen. Dann war’s still im Garten; nur noch das Gemurmel der Quelle im Wasserbecken.

Während die Magd das Gartengerät und die Kannen in der Tenne verwahrte, machte Lo’ noch einen Rundgang um alle Beete und durch den Obstgarten. Einen grünen Zweig in der Hand, den sie unter stillem Sinnen spielend durch die Finger streifte, wandelte sie ruhigen Ganges auf den weißen Wegen dahin. In einem Sommerhäuschen, welches dicht am Zaun auf einem kleinen Hügel stand, ließ sie sich nieder. Da konnte sie über die dunklen Gärten und Wiesen weit Hinausblicken gegen Westen, bis zur Waldscharte des Gaisthals, über dem der Himmel mit seinem letzten Gold noch zwischen den schattenblauen Bergen leuchtete.

Lind umwebte sie der schöne Frieden des Abends und trug ihre lächelnden Träume auf stillen Schwingen in die Ferne.

Da klang eine gepreßte Stimme über den Zaun her: „Guten Abend, Fräulein!“

Lo’ blickte auf und sah über der gestutzten Holunderhecke das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen. Sie erhob sich und verließ das Sommerhäuschen. „Guten Abend!“ sagte sie, wie man einen Fremden grüßt, und ging auf das Haus zu.

Der Pfad führte am Zaun entlang, und so konnte Mazegger über der Hecke draußen gleichen Schritt mit ihr halten.

„Aber eilig haben Sie’s heut!“ Der Jäger lachte. „Freilich, ich bin halt nur der Mazegger. Und nicht der ander’… der mit’m Krönl im Schnupftuch! Wenn’s der wär’, aaah, da thät’ sich’s freilich rentieren, daß man stehen bleibt. Da hätt' man Zeit eine ganze Nacht lang … wie draußen beim Sebensee! Gelt, ja?“

Schweigend, ohne das Gesicht zu wenden, folgte Lo’ihrem Weg.

„Aber ich komm’ von Tillfuß herein! Da sollten Sie doch ein bißl neugierig sein, was draußen los is … bei Ihrem hochgeborenen Courschneider! Es könnt’ ja sein, daß ich ’was zu erzählen hätt’, das Ihr Herzl interessieren muß … weil’s was von ihm ist! Na also, wirklich? Gar nicht neugierig?“

Er wartete auf Antwort. Vergebens.

Nun lachte er wieder, gallig und rauh. „Sie, Fräulein … so gar stolz sollten Sie doch nicht sein! Denn wenn Sie von mir nichts hören mögen … bis er Ihnen wieder ’was vorplauscht, mein’ ich, das kann lang’ dauern. Jetzt kommt er so bald wohl nimmer zum Sebensee! Jetzt hat er keine Zeit mehr … für Sie! Jetzt hat er Besuch bekommen! Heut’! Und Was für einen! Eine Baronin! Natürlich … billiger thut er’s nicht, wenn’s ernst wird. Ich hab’ mir allweil gedacht, es gäb’ nichts Schöneres auf der Welt, als Sie sind. Aber die! Aaah! Was die für ein Lachen hat! Da müßt’ der ägyptische Joseph d’rüber stolpern. Und Joseph ist der doch keiner! Gelt? Und wie sie ihn frißt mit ihren sündschönen Augen! Und er erst! Er!“ Mazegger lachte. „Freilich, die vornehmen Herren, die halten’s gern mit der Abwechslung. Heut’ Butterbrot und Sebenseeblüm’ln … und morgen wieder Salami mit Pfeffer …“

Lo’ hatte den Pfad verlassen, und quer durch die Wiese schritt sie auf das Haus zu. Was der Jäger ihr nachrief, verstand sie nicht mehr – nur noch sein Lachen hörte sie.

Als sie zur Hausthür kam, mußte sie sich an die Mauer stützen – so zitterten ihr die Kniee. Doch diese Schwäche währte nicht lang. Sie richtete sich auf, und ruhigen Schrittes trat sie ins Haus. Matter Lichtschein fiel aus der Küche in den Flur und über die Bilder hin, welche die Mauer bedeckten.

Während Lo’ zur Stube ging, berührte sie eines der Bilder mit der Hand – als gäb’ es ihr Trost und Kraft, die Leinwand zu fühlen, auf der ein reiner und schöner Gedanke ihres Vaters Form und Farbe gewonnen.

Nun trat sie in das helle, trauliche Zimmer, in dem Frau Petri noch mit dem Tisch beschäftigt war.

„Du, Lo’? Heute kommst du früher als sonst. Bist du draußen schon fertig?“

„Ja, Mutter … mit allem.“

Beim Klang dieser Stimme blickte Frau Petri betroffen auf. Da sah sie dieses weiße, vom Schmerz berührte Gesicht, diese verstörten Augen, und erschrocken fragte sie: „Kind? Was hast du?“

„Nichts!“

„Aber Lo’! Wenn du dich nur sehen könntest! Ich bitt’ dich, Kind, jage mir doch nicht solchen Schreck ein! Sag’ mir … was hast du? Bist du krank?“

„Nein, Mutter, gewiß nicht!“

„Das sagst du mir und kannst mich doch nicht ansehen dabei!“ Vor Sorge zitterte die Stimme der alten Frau. „Kind!“ Sie faßte die beiden Hände des Mädchens. „Und wie kalt du bist … deine Hände sind ja wie Eis!“

„Ich bin erschrocken … vor etwas Häßlichem. Draußen im Garten, dicht vor meinen Füßen, kroch eine Natter über den Weg …“

„Nein! Nein! Das hätte mich erschrecken können! Aber du! Vor einem Tier erschrecken, das nur unschön ist, aber nicht gefährlich … das ist doch sonst nicht deine Art! Sag mir, was du hast … und sieh mich doch an, Lo’!“

Ein Lächeln erzwingend, hob Lo’ die Augen. Aber stärker als ihr Wille, ruhig zu erscheinen, war der stumme Sorgenblick, der auf ihr ruhte. Sie zitterte und schlug die Augen nieder.

„Lo’! … Daß das vorhin, was du von der Natter sagtest, nur ein Gleichnis war, das fühl’ ich doch! Draußen im Garten ist etwas geschehen, was dich kränkte. Das war so abscheulich, daß du es deiner Mutter gar nicht sagen magst … und ich frag’ auch nicht mehr. Ich kann mir’s ja denken! Wie halt die Leute oft schwatzen: ein dummer oder böser Mensch wird dir was gesagt haben … ein Wort, das etwas in dir verletzte, was dir lieb und heilig ist.“

„Ja, Mutter! Lieb und heilig! Etwas, an das ich glaube, Wie ich an Papa glaube und an dich!“

„Gelt, ja? Ich hab’s erraten?“ Mit scheuem Blick an dem Gesicht ihres Kindes hängend, atmete Frau Petri, als läge ihr ein Stein auf der Brust. „Aber schau nur, wie ich mich sorge um dich! Und nicht nur, weil du so herein kamst … nein, Lo’! Schon die ganze Zeit her … seit ich den Buben heimbrachte, und … weißt du, wie du damals zu mir an den Wagen kamst, so ganz verändert! Und was mir gestern der Bub erzählte … vom Jagdhaus … schau, Kind, ich bitte dich, diese eine Sorge mußt du mir ausreden! Gelt, nein? Es ist nicht so, wie ich fürchte? Denn … schau, Lo’, wenn ich recht hätte mit meiner Sorge … das wäre ein Unglück, für dich und für uns alle! … Kind?“

Lo’ wollte sprechen, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Als könnte sie den erschrockenen Blick der Mutter nicht mehr ertragen, so löste sie ihre Hände und wandte sich ab. Sie wollte zum Tisch, doch ihre Kniee wankten, und auf die Holzbank niedersinkend, brach sie in strömendes Schluchzen aus.

Wortlos setzte sich Frau Petri an die Seite ihres Kindes, nahm die Weinende in den Arm, küßte ihr das Ohr und die Wange, streichelte ihr das Haar und suchte immer nach Worten, während ihr selbst die Thränen über die furchigen Wangen fielen.

Noch ehe Frau Petri sprechen konnte, hatte sich Lo’ schon wieder gefaßt. Sie trocknete die Augen, und nur noch ein schmerzliches Lächeln irrte um ihre Lippen, als sie ruhig sagte: „Mutter! Wir müssen fort von hier!“

„Fort? … Weil du ihn lieb hast?“

„Ja. Weil ich ihn liebe!“

„Ach, Gott! Ach du guter Gott!“ stammelte die alte Frau, Während sie die zitternden Hände ineinander schlang. Sie war von jenen Frauen eine, die ein schmerzvolles Leben müde gemacht und die nur stark sind, so lang’ eine ungewisse Sorge sie quält; erfahren sie, daß ihre Furcht begründet war, so werden sie schwach und ratlos, und es bleibt ihnen kein anderer Trost als Thränen, geduldiges Tragen und schüchterne Klage. „Ich hab’s gefürchtet! Ich hab’s ja gefürchtet! Was ist über mich schon alles gekommen! Und jetzt auch das noch! Mein Kind muß ich leiden sehen und kann ihm nicht helfen! Ach, Gott, ist das ein Unglück!“

„Ein Unglück? Nein, Mutter!“ Lolos Augen leuchteten in stillem Glanz. „Was ich fühle bei jedem Gedanken an ihn … es ist das Herrlichste, was über ein Menschenherz nur immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0312.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2019)