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Ingrimm, auf das Projekt verzichten. Als ihm dann kurz darauf die von den Hofkreisen geschickt benutzte „öffentliche Meinung“ Wagners völlige Entfernung gebot, da faßte er die Abneigung gegen München und seine Bewohner, die ihn zeitlebens nicht mehr verlassen hat.

Seiner Verlobung mit Herzogin Sophie in Bayern im Frühjahr 1865 (der nachmaligen, im Jahre 1897 in Paris so schrecklich verunglückten Herzogin v. Alençon) folgte bald als ein in fürstlichen Kreisen unerhörtes Ereignis die Entlobung, deren Gründe bis heute unbekannt sind. Von da an nahm die Vereinsamung des Königs immer stärker zu.

Hatte er früher noch in seinem Thronzimmer, als neuer Ludwig XIV, zwischen Hermelinvorhängen sitzend, mit seinen Ministern konferiert, so bekamen ihn diese bald gar nicht mehr zu sehen, es mußte alles schriftlich ihm nachgesendet werden in die Berge, deren tiefe Einsamkeit ihn schon als Knaben in Hohenschwangau mächtig angezogen hatte. Das Reiten war dort die einzige den Prinzen gestattete Erholung, sie hatten es beide darin zur Meisterschaft gebracht, und bald sollten die weltfremden Gebirgsbewohner den Anblick des im Flug vorübersausenden jungen Königs zu ihren täglichen Erlebnissen zählen.

Auf einer 1867 inkognito unternommenen Reise nach Paris hatte er die Bauten seines Idealkönigs Ludwig XIV eingehend studiert, auch Trianon, den Lieblingsaufenthalt der Marie Antoinette, besucht und dort die bestimmte Vorstellung seiner eigenen künftigen Schöpfungen gewonnen. Im gleichen Jahre reiste er mit seinem Bruder Otto nach Eisenach und versenkte sich in die mittelalterlichen Herrlichkeiten der Wartburg, auck hier mit dem stillen Vorsatz, einst Aehnliches im eigenen Lande erstehen zu lassen. Denn ebenso vertraut als die Zeit Ludwigs XIV waren seinem Gemüt die Sagen deutscher Vergangenheit, und zwar nicht erst durch Wagners Werke. Schon während er als Knabe in Hohenschwangau weilte, haben ihm die von Schwind, Lindenschmit u. a. herstammenden Fresken der Burggemächer, die Geschichte des Schwanenritters, Bertha in der Reismühle, der Abschied Konradins u. a. tiefen Eindruck gemacht, und man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß es vor allem Wagners Stoffe waren, die ihn unwiderstehlich anzogen. Er selbst war nicht musikalisch, sein ehemaliger Klavierlehrer hatte es als Erlösung gepriesen, als die Stunden des Kronprinzen aufhörten; dennoch mag Ludwig in den Wogen der „unendlichen Melodien“, die freilich stets bei Nacht im Opernhaus für ihn allein entfesselt werden mußten, ein tiefgehendes beseligendes Mitströmen seines Innersten empfunden haben. Als das Wagnertheater 1876 in Bayreuth statt in München eröffnet wurde, wohnte der junge König dort der „Trilogie“ an und gab seinem Entzücken durch reiche Geschenke an den Meister Ausdruck. Aber nach der Aufführung setzte er sich nicht, wie andere, zum Abendessen, sondern wandelte allein im Mondschein des Parkes, inmitten dessen die von ihm bewohnte Eremitage lag.

Die Leidenschaft fürs Bauen hat Ludwig II von dem Großvater Ludwig I geerbt, sie äußerte sich sehr bald in großem Stil. Im Jahre 1869 begann er den Bau des Schlosses Linderhof in der grünen Einsamkeit des Graswangthals. Von seinem Vater her stand dort ein Jagdhaus, einfach wie alles, was König Max II gebrauchte. Die Hofbeamten erachteten es auch für den jungen König ausreichend, wenn man es blau und weiß tapezierte und ein hübsches Gärtchen anlegte. Aber sie mußten bald erfahren, daß diese Mühe umsonst war; Ludwig wollte hier, in der stillen Bergwelt, ein neues Trianon erbauen, und bald dröhnte das Thal vom Lärm der Bauleute. 1878 war das Schloß vollendet und steht heute in der hohen Bergumgebung als Beweis, wie gut die Fürsten des vorigen Jahrhunderts daran thaten, ihre Schlösser in die Ebene zu stellen, welche den Bau zur vollen Geltung kommen ließ. Dieses hier wird von dunklen Waldbergen zur Unbedeutendheit herabgedrückt.

„Linderhof“ nannten es Bauleute und Thalbewohner; der König pflegte es im engeren Kreise: „Meicost-Ettal“ zu heißen, Anagramm von „1’état c’e8s moi“, dem bekannten Ausspruch Ludwigs XIV: „Der Staat bin ich.“

Im Inneren ist dieses so wenig in die deutsche Alpenlandschaft passende „Klein-Trianon“ ein Schmuckkästchen von reizender Innendekoration in vergoldeten Rokoko-Ornamenten, Stickereien, prachtvollen Wandbekleidungen, Lüstern und Malereien. Aber überall Kultus der französischen Könige Ludwig XIV und XV in Decken- und Wandgemälden, im Treppenhaus die Reiterfigur des ersteren als römischer Imperator! Nur der Gedanke, daß man hier, wie in Herrenchiemsee, sich im Bannkreis eines bereits geistig Erkrankten befindet, kann ein Gefühl der Entrüstung niederhalten über den Kultus mit diesem Ludwig XIV im Jahr 1870, wo die andern deutschen Fürsten sich um Wilhelm I scharten, und über des Königs hartnäckiges Fernbleiben vom deutschen Hauptquartier. Seine Phantasienwelt war ihm anziehender als jedes noch so große wirkliche Ereignis; Ludwig II lag offenbar wie der Verzauberte im Märchenwald, an dessen Ohr das Geräusch der Welt nur undeutlich dringt, und es brauchte, wie alle Eingeweihte wissen, die ganze Klugheit und Charakterstärke des durch und durch deutsch gesinnten Staatsrats von Eisenhart, den weltabgewandten, nur seinen Phantasien lebenden König, dessen nationale Gesinnung doch gelegentlich lebhaft aufflammen konnte, in die Stimmung zu versetzen, aus welcher dann sein hochsinniger Entschluß, König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone anzubieten, plötzlich geboren wurde. Dies Verdienst und der ewige Dank des deutschen Volkes dafür sind so groß, daß des Königs Fehlen bei der Kaiserproklamation in Versailles und sein gleichzeitiger Kultus der Bourbonen-Autokraten doch dagegen leicht ins Gewicht fällt.

Ganz so begeistert wie für den „großen Sonnenkönig“ war Ludwig übrigens nicht für dessen Nachfolger Ludwig XV, denn er las mit Vergnügen außer seinen Lobrednern auch Scherrs und anderer heftige Ausfälle gegen diesen innerlich verfaulten, elenden Monarchen. Aber die Dekoration seiner Zimmer machte er eifrig nach, ja sogar die Einrichtung der „versenkbaren Tische“, welche Ludwig XV aus guten Gründen bei seinen ausschweifenden Festen eingeführt hatte, „um eine unbescheidene und geschwätzige Dienerschaft zu vermeiden.“ Jeder Gast legte das Verzeichnis der von ihm gewünschten Speisen und Getränke auf das Tischchen, drückte auf eine Feder, und es verschwand, um sofort mit dem Gewünschten wieder aufzutauchen. An solchem Tischchen speiste der König recht unbequem und allein in seinem von Gold und Krystall funkelnden Speisezimmer. Auch die neugierigste Dienerschaft hätte dabei keinen Stoff für ihre Schwatzhaftigkeit gefunden, aber Ludwig wollte von ihrem Anblick befreit sein.

Der geringste seiner Unterthanen würde über ein so einsames, so ganz ohne Vergnügungen verlaufendes Leben außer sich gewesen sein. Reiten und Lesen, Erledigung der nötigen Unterschriften und Besprechungen über Staatsangelegenheiten mit seinem Kabinettschef, das waren seine Hauptthätigkeiten. Dem Spiel war er grundsätzlich und von Jugend an abgeneigt. Er mußte zwar früher den Spielpartien seiner Mutter anwohnen, hatte aber weder Sinn noch Freude dafür und rührte als König nie mehr eine Karte an. „Hierbei“, sagt Luise v. Kobell, „mag wohl der Gedanke nicht einflußlos gewesen sein, daß beim Spiel auch Könige verlieren und unterliegen können.“

Auch die Zerstreuung durch eigenes Musikmachen war ihm versagt. Ein prachtvolles vergoldetes Klavier in Linderhof hat er niemals geöffnet, es steht noch heute, ohne je einen Ton von sich gegeben zu haben. Regte sich doch einmal in dem jungen Herrscher das Bedürfnis nach lebendiger Umgebung, so ließ er seine vielen Wagen-, Reit- und Lastpferde auf einer großen Wiese sich frei umhertummeln und sah mit Vergnügen ihren Sprüngen zu.

Auf einem seiner abendlichen Spaziergänge im Graswangthal begegnete dem König ein Hüterbub, der, ohne ihn zu kennen, fragte: „Woaßt net, wieviel Uhr ’s is? I soll meine Küah heimtreiben!“

„Hast du denn keine Uhr?“

„Wie werd’ denn i a Uhr hab’n?“

Der König gab ihm lächelnd Bescheid und schickte ihm tags darauf eine silberne Uhr, die den Kleinen hoch entzückte.

Eine besondere Leidenschaft hatte Ludwig für künstlerisch geschmückte Standuhren in Bronze, Lapis Lazuli etc. und bestellte stets neue bei seinen Münchner Künstlern, die trotz aller Freude, für ihn zu arbeiten, doch das Verbot des Ausstellens und das spurlose Verschwinden ihrer Arbeit nach der Ablieferung schwer ertrugen. Es war nur Geld bei diesen Aufträgen zu erwerben, kein Ruhm, da niemand das Geschaffene sehen durfte. Sehr vieles von den Nachahmungen berühmter Vorbilder mußte auch in unedlem, sehr vergänglichem Material ausgeführt werden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0335.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2020)