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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Herrn erfüllen möchte – aber der verfrühte Bruch und solch ein Wind und Nebel dazu – da wußte er’s ganz gewiß: „Wir kriegen nix!“ Auf diese Enttäuschung mußte er seinen Herrn vorbereiten.

„Schön’ guten Morgen, Duhrlaucht!“

„Guten Morgen, Pepperl! Und kommen Sie nur gleich! Wir wollen keine Minute mehr verlieren und tüchtig ausgreifen!“

„No ja … d’ Füß’ mach’ ich gern so lang, wie’s geht … aber heut’ hab’ ich kein’ rechte Schneid’ auf d’ Jagd!“

„Ich auch nicht!“ erwiderte Ettingen lachend.

„Gott sei Dank, weil S’ Ihnen nur net z’viel derwarten. Und gelten S’, ich hab’ recht g’habt gestern … heut’ wird’s ein Hakerl haben mit der Sonn’!“

„Mir wird sie scheinen! Kommen Sie nur!“

„Ja, wär’ mir selber recht, wenn d’ Sonn’ grad’ Ihnen z’lieb ein’ Ausnahm’ machen thät!“

Sie schritten gegen den Wald hinunter. .

Da wurde im oberen Stock des Fremdenhauses ein Fenster geöffnet. „Guten Morgen, Heinz! Und Glück auf den Weg!“

Mit seinen „gottsfreudigen“ Augen grüßte Ettingen zu dem Freunde hinauf. „Ich danke dir, Goni! Das war lieb von dir!“

Pepperl aber schüttelte bedenklich den Kopf zu diesem Wunsch und dachte: „Glück hat er ihm auch noch g’wunschen … jetzt is’ erst recht g’fehlt!“ Und er wollte sich kaum fassen darüber, daß ein so fermer Jäger wie Graf Sternfeldt sich so schwer gegen den Weidmannsbrauch verfehlen konnte. Glück – was Schlimmeres als das kann einem Jäger gar nicht gewunschen werden!

Raschen Ganges wanderten die beiden durch das lange Thal hinauf; sie waren schon eine Stunde unterwegs, doch der Morgen wurde nicht Heller. Wohl klüftete sich manchmal der unruhig ziehende Nebel und gab einen dunklen Waldgrat oder ein Stück der düsteren Wände frei, doch alle Höhen schienen von dunklem Gewölk überlagert, und wenn sich der Nebel teilte, trieb ihn der Wind immer wieder zu dichten Massen zusammen, so daß man im Wald oft kaum auf zwanzig Schritte die Stämme unterscheiden konnte. Aus diesen wehenden Dünsten ging ein dünnes Geriesel nieder, bei dem sich alles wie mit feinem Tau beschlug, und alle Geräusche klangen trüb’ gedämpft: das Rauschen des Baches, die schreienden Stimmen, die man irgendwo in der Ferne von den Almen hörte, und das Geläut und Brüllen der Rinder, die heute mit solcher Unruhe ihre Aesuug zu suchen schienen wie nach einem Schneefall, der alles Grün bedeckte.

Immer sorgenvoller wurde das Gesicht des Jägers. Auf seinen Herren aber schien das unfreundliche Bild der Landschaft mit seinem trostlosen Grau keine Wirkung zu üben. Der wanderte zu und immer zu, mit so treibendem Gang, daß ihm der Jäger kaum zu folgen vermochte – versunken in stille Gedanken, immer mit diesem träumenden Lächeln, mit diesem Leuchten in den Augen, als wäre frühlingsblauer Himmel mit heller Sonne über ihm und um ihn her das lachende Grün im Duft der Blumen.

Schon ein paarmal hatte Praxmaler verwundert den Kopf geschüttelt. „Das is aber doch ein g’spaßiger Nebel! Der riecht ja schier wie der Dampf, der von der Kohlstatt kommt!“

Und was war denn das für ein Rauschen, fern in der Höhe? Sie hatten noch eine gute Wegstunde bis zum See – da konnte man doch den Wasserfall des Seebaches noch nicht hören? Und waren denn die Leute auf der Sebenalm verrückt geworden – sie schrieen ja, daß man’s auf eine halbe Stunde weit hören konnte! Was die nur haben mochten?

Während der Jäger sich diese Frage stellte, kamen ein paar Kühe in wilder Flucht durch den Wald heruntergerannt. Jetzt meinte er zu wissen, was auf der Sebenalm los war – den Leuten war das Milchvieh scheu geworden und durchgegangen. Aber da hörte er im Wald einen Laut, der ihn ganz verblüfft machte – den Pfiff einer Gemse. Und jetzt ein Jagen und Brechen, als würde ein ganzes Rudel flüchtig! Das begriff er nicht. Gemsen hier unten im Thalwald? So tief steigen sie nicht einmal herunter im schwersten Winter!

„Herr Fürst! Ich weiß net was … aber es muß was los sein heut’. Da saust ein Rudel Gams durch’n Wald … Wie kommen denn die Gams da ’runter?“

Ettingen schien nur halb zu hören. Und da er sah, daß der Jäger stehen blieb, drängte er mit Ungeduld: „So kommen Sie doch! Lassen Sie die Gemsen … ich will ja nicht jagen heute! Kommen Sie doch!“

„Net jagen?“ Das war für Praxmaler von allen Wundern dieses Morgens das größte. „Ja warum denn steigen wir nachher ’nauf zum See?“

Er bekam keine Antwort; aber da er in seiner Verblüffung mit diesem Schweigen nicht zufrieden war, begann er zu grübeln, während er mit langen Schritten hinter seinem Herrn einhermarschierte. Und da er den Maßstab seiner eigenen Natur an dieses dunkle Rätsel legte, fragte er sich: Wär’s nicht im Dienst oder der Jagd zuliebe – was könnte mich denn zwingen, bei solchem Wetter einen solchen Weg zu machen? „Ich wüßt’ net, was … oder es müßt’ mein Burgerl droben sein und warten!“ Da machte sein Scharfsinn einen jähen Gedankensprung, und verdutzt betrachtete er seinen Herrn, der es so eilig hatte. „Ah, da schau!“ Hatte nicht gestern der Förster erzählt, er hätte das Maler-Fräulein zum Sebensee hinaufreiten sehen? Und hatte der Fürst nicht gleich darauf gesagt: „Pepperl, morgen machen wir eine Birsche zum Sebensee?“ Er dachte an jenen Morgen, an dem er seinen Herrn im Blumengarten des kleinen Seehauses gefunden hatte – dachte an die drei Hirsche im Gaisthal, die ihr Leben dem Maler-Fräulein zu danken hatten – dachte an jene Gewitternacht in der traulichen Waldstube dort oben, und da ging ihm jählings ein Licht auf, bei dessen Schein er das Rätsel dieses Nebelmarsches flink und leicht gelöst hätte, auch wenn es noch viel dunkler gewesen wäre. „Ah, da schau!“ Schmunzelnd musterte er seinen Herrn – und jetzt verstand er auch das Wort von der Sonne, die heute scheinen würde. „Das glaubst! Die hat freilich Sonn’schein in die Aeugerln … da kann der Nebcl so dick sein, wie er mag!“

Dieses Mitwissen, das vor seinem Scharfsinn so plötzlich aufgedämmert war, konnte sich nicht verborgen halten und mußte aus ihm heraus mit einem Wort.

„Drei Viertelstünderln noch, Herr Fürst, und ich mein’, wir sitzen droben im Seehäusl! Und nachher haben wir d’ Sonn’! Werden S’ sehen … nachher haben wir’s!“

Da sah sich Ettingen nach dem Jäger um, schweigend wohl, doch lächelnd und mit einem Blick, der so deutlich redete, daß Pepperl vergnügt vor sich hinschmunzelte: „Hab’s schon ’troffen … ’s Richtige!“

Ein sausender Windstoß riß den Nebel entzwei, und man sah den steilen Tejakopf von einer schwarzen Wolke umlagert.

„Ja Duhrlaucht! Schauen S’ doch nur da ’naus! Was is denn jetzt das für ein G’wölk? So pechschwarz kann ja doch ums Himmelswillen kein Wetter net aufziehen?“

Doch ehe der Blick des Fürsten die Höhe fand, nach welcher der Jäger deutete, hatte der jagende Nebel die Bergspitze mit ihrer finsteren Haube schon wieder verhüllt.

Sie schritten aufwärts durch den steigenden Wald. Da hörten sie wieder von der Sebenalm die schreienden Stimmen. Jetzt blieb auch Ettingen stehen, wie von einer Sorge befallen.

„Praxmaler! Hören Sie doch! Was können die Leute nur haben?“

„Was da droben los sein muß … ich kann mir’s gar net denken! Und da müssen ja viel mehr Leut’ bei ’nander sein als wie d’ Sennleut’ und der Hüter! Und in der Luft… wie’s in der Luft liegt! Als ob’s in der Näh’ wo brennen thät’! Es wird doch ums Herrgottswillen d’ Almhütten net im Feuer stehn!“

Da hörten sie das Keuchen eines Menschen und ein Gerappel von Steinen, als käme einer wie in wahnsinnigem Lauf über den Steig heruntergerannt.

„Ja um Christiwillen,“ stammelte der Jäger, „was is denn?“

Ein Mensch tauchte im Nebel auf. Es war der Sebener Senn. Jetzt stand er vor den beiden, zitternd an allen Gliedern, nach Atem ringend, das fahle Gesicht wie mit Ruß bestrichen. Die Augen waren rot verquollen, wie verweint, und die Aermel seiner Joppe von kleinen Brandlöchern durchsiebt, als wäre er durch einen Regen glühender Funken gelaufen. Mit beiden Fäusten packte er den Jäger an der Brust und keuchte: „Der Förstner … wo is der Förstner? Ich muß den Förstner haben und d’ Holzerleut …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0375.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)