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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Kinder hier hinauftrippelten, die Laternchen in der Hand, die gelbe zuckende Lichter über den bläulichen Schnee warfen. Ich mitten unter ihnen, andächtig und glückselig, umwogt von den Glockenklängen, und über uns die Sterne der heiligen Nacht. Und unter diesen Erinnerungen sind wir hinaufgekommen, ich weiß nicht wie, und stehen nun auf dem Schloßhof.

Das Grab Heinrichs I.
in der Schloßkirche.

Die Kanzel in der Schloßkirche.

„Zuerst in die Kirche, Kinder,“ sage ich, und da wartet auch schon der freundliche Küster und seine ebenso freundliche Frau, bereit, uns zu führen. – Durch ein schönes gotisches, aber stark verwittertes Portal, das eine spätere Aebtissin dem frühromanischen Bau einfügen ließ – laut Inschrift war es Jutta von Kranichfeld, etwa im Jahre 1324 – treten wir ein in die uralte Krypta, in der Kaiser Heinrich I schlummert. Er hatte Kirche und Stift gegründet als ein Zeichen seiner Dankbarkeit gegen Gott, nachdem es ihm gelungen war, die Ungarn niederzuwerfen; und hier, an dieser Stätte, hat man ihn begraben. Sie ist ein säulengetragenes frühromanisches Gewölbe, diese Krypta. Die Säulenkapitäle, obgleich von primitiver Technik, zeigen doch große Feinheit und Mannigfaltigkeit. Gegen Osten, unter einem Fenster in Rosettenform, befindet sich ein halbkreisförmiger Raum, zu dem einige Stufen hinaufführen, die Betkapelle Mathildens, der Witwe Kaiser Heinrichs I, von der die Sage berichtet, daß sie nach dem Tode ihres großen Gemahls die kaiserlichen Gewänder für immer abthat und in dieser Kapelle allnächtlich dem geschiedenen Gatten nachweinte in heißer unvergänglicher Witwentrauer, bis man sie an seine Seite bettete (968).

Den schlichten Holzsarg, der des großen Kaisers Ueberreste birgt, sieht man durch das in dem Fußboden befestigte Gitter schimmern. Seit einem Jahrtausend ruht er hier, von ganz Deutschland aufrichtig und tief betrauert, er, dessen Name nie verklingen wird. Bilder giebt es nicht von ihm, aber noch heute lebt Kaiser Heinrich in Liedern und Erzählungen des deutschen Volkes als ein schöner, stolzer und kluger Herr, dessen leidenschaftliches, leicht aufbrausendes Temperament gar mildiglich gezügelt wurde durch seine sanfte Gemahlin.

Sein Sohn war es, der die Burg zu dem bestimmte, was sie später Jahrhunderte hindurch war in aufsteigender und absteigender Linie, zu einem freien weltlichen Reichsstift, dessen erste Besetzung aus Nonnen bestand. Die erste Aebtissin soll eine Tochter Heinrichs gewesen sein, was sich aber urkundlich nicht beweisen läßt. Die Geschichte nennt vielmehr Ottos I Tochter Mathilde als erste Aebtissin, und ihr folgen noch einhundertundfünfunddreißig. Viele von ihnen waren vornehmste fürstliche Damen, unter denen das Stift glänzende Tage höfischen Lebens gesehen hat. Diese Äbtissinnen hatten später fürstliche Rechte, Sitz und Stimme in den Reichstagen, und zwar saßen sie bei solchen Gelegenheiten auf der rheinischen Prälatenbank.

Der Taufstein in der Schloßkirche.

Eingang zum Schloß.

Wir steigen hinunter in die Fürstengruft, rechts sehen wir die Bußkapelle, einen niedrigen Raum, in dem man nur knieend oder sitzend verweilen kann. Die rasch angezündeten Kerzen erfüllen das Gelaß mit Rembrandtschen Lichteffekten und zeigen uns deutlich die schönen kleinen Säulen der Eingangsseite. In dieser finsteren Kapelle saß einst Bischof Bernhard von Halberstadt, weil er Kaiser Ottos I Verlangen, in Magdeburg ein Erzbistum zu stiften, nicht gefügig war. Die Chronisten berichten: „Otto lud den Bischof einst nach Quedlinburg, bewirtete ihn aufs beste und verlangte, als jener heiter gestimmt war, von ihm, der beabsichtigten Stiftung zuzustimmen. Der Bischof weigerte sich mit den Worten: ‚Ich bin nicht Bischof, die Diöcese zu mindern, sondern zu mehren!‘ worauf ihn der Kaiser ins Gefängnis unter der Treppe der Schloßkirche setzen ließ. Am Gründonnerstag – fast ein Jahr saß er schon – ließ der Bischof dem Kaiser sagen, es thue wahrlich nicht gut, wenn Kaiser und Bischof am Osterfeste in Zank und Hader beharren würden; er wolle die Hand bieten, und der Kaiser möge seine Anerbietungen selbst anhören. Der Kaiser kam in das Münster, und mit Ring und Stab trat ihm der Bischof entgegen, sprach den Bann über ihn aus und zwang ihn dadurch, ihn seiner Haft zu entlassen. Beide feierten versöhnt dann das Osterfest in Halberstadt. Aber der Kaiser verzichtete, solange Bernhard lebte, in Magdeburg ein Erzbistum zu errichten.“

Von der Bußkapelle steigen wir noch tiefer hinab, vorüber an der schaurigen Folterkammer zur Fürstengruft. Stolze wappengeschmückte Särge erblickt unser Auge im Dämmerlicht des Gewölbes; der prunkvollste ist derjenige der Anna von Stolberg, welche die Reformation einführte; und hier schläft auch friedlich neben ihren beiden erbitterten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0402.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2024)