verschiedene: Die Gartenlaube (1899) | |
|
Das Pfingstbier der Halloren.
Die Halloren sind jener alte in Halle ansässige Volksstamm,
dessen Herkunft man bisher trotz vieler Bemühungen nicht
mit Sicherheit hat bestimmen können. Die einen betrachten sie
als Abkömmlinge der alten wendischen Bevölkerung,
andere
wollen keltisches Blut
in ihnen konstatieren,
und eine dritte Meinung
geht dahin, daß
sie die Nachkommen
des unfreien Teiles
der ältesten fränkischen
Kolonie seien.
Sie bildeten in früherer
Zeit eine abgeschlossene
Gemeinde
für sich und sahen
mit Sorgfalt darauf,
daß sie sich nicht
durch Heirat mit den
anderen Bewohnern
Halles vermischten.
Auf die Dauer war
dies Prinzip jedoch
nicht gut durchführbar.
Welcher Abkunft
sie deshalb auch
immer sein mögen –
ungemischtes Blut
fließt wohl schwerlich
noch in einer
der heutigen Hallorenfamilien. – Die Halloren haben sich ihre
alte, eigentümliche Tracht und manche Besonderheit in ihrer
Lebensführung bewahrt. Früher waren sie ohne Ausnahme
Salzwirker von Beruf. Seitdem aber die Hallische Saline ihre
einstige Bedeutung zum größten Teil eingebüßt hat, ist
die Anzahl der Salinenarbeiter
eine ungleich geringere geworden.
Die Halloren sahen
sich genötigt, auch zu anderen
Berufsarten zu greifen. Sie
dienen jetzt in erster Linie bei
Begräbnisfeierlichkeiten als
Träger des Sarges, wozu
ihre stimmungsvolle Kleidung,
die dann natürlich ganz in
Schwarz gehalten ist, wie geschaffen
erscheint. Für gewöhnlich
ist diese Kleidung
allerdings eine überaus farbenfrohe.
Sie tragen langschößige
Röcke aus blauem, rotem, lila
oder rosa Tuch, das unten
an den Aermeln mit Pelz besetzt
ist; bunte Seidenwesten
mit großen Silberknöpfen und
auf dem Haupt schwarze Dreimaster
aus Filz. Ihre schwarzen
Sammethosen reichen ihnen
bis zum Knie, daran schließen
sich weiße Wadenstrümpfe. Die
Füße sind mit Schnallenschuhen
bekleidet.
Von den mannigfachen Sitten und Gewohnheiten, welche die Halloren aus alter Zeit bis auf den heutigen Tag bei behalten haben, ist wohl die Feier des sogenannten Pfingstbieres die bekannteste. Vierzehn Tage nach Pfingsten wird das fröhliche Fest von der Salzwirkerbrüderschaft begangen. Es hat seinen Ursprung in einem alten Abkommen, welches den nahe bei Halle gelegenen staatlichen Gutshof Giebichenstein verpflichtet, den Halloren alljährlich zu Pfingsten eine bestimmte Menge Bier zu spenden. Bis in die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein wurde das Bier auch pünktlich zu jedem Pfingstfest in natura. geliefert. Dann, als die Giebichensteiner Gutsbrauerei einging, wandelte man die Spende in eine entsprechende Geldsumme um, welche die Halloren noch heute beziehen und für welche sie sich im „Paradies“, dem ältesten Schanklokal der Stadt Halle, das zugleich einen der schönsten Restaurationsgärten sein eigen nennt, ihr Pfingstbier herrichten lassen.
Im heurigen Jahre wurde das Fest mit besonderem Pomp begangen. Es war am 3. Juni in den ersten Nachmittagsstunden, als sich die festlich gewandeten Nachkommen der Ureinwohner Halles in dem ehrwürdigen Hofe des alten Residenzgebäudes einfanden. Die jüngeren unter ihnen hatten sich statt der Dreimaster frische Kränze von Frühlingsblumen aufs Haar gelegt und trugen blütenumrankte Thyrsusstäbe. Viele unter den älteren waren mit den Abzeichen ihrer besonderen Würde versehen. Die schönen, wertvollen Silberbecher, welche die Brüderschaft ihr eigen nennt, wurden aus der Residenz, wo sie gewöhnlich aufbewahrt werden, hervorgeholt und mit den ersten kühlen Tropfen gefüllt, die bei der großen Hitze doppelt labend waren. Auf ihre silbernen Pokale sind die Halloren nicht wenig stolz. Sie haben sie bei den Huldigungen, welche sie jedem preußischen König persönlich darbringen dürfen, als Zeichen fürstlichen Wohlwollens empfangen, jedesmal zugleich mit einer kostbar gestickten Fahne.
Man reichte die Pokale, von denen der ausnehmend prächtige,
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0437.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2023)