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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Beziehung Feld- und Gartenarbeiten. Die regelmäßige Beschäftigung in der frischen Luft und die körperlichen Anstrengungen üben einen wohlthätigen Einfluß auf Körper und Geist aus, sie regen den Appetit an und fördern den Stoffwechsel, schaffen das schwammige Fett fort und stärken die Muskulatur, während der Geist mit wohligem Behagen und neuem Lebensmut erfüllt wird.

Im Winter, wo natürlich die Arbeiten im Freien beschränkt sind, kommen Arbeiten in den verschiedensten Werkstätten an deren Stelle. Zur Erholung dienen gemeinsame Spaziergänge, Ausflüge, körperliche Spiele aller Art, kleine Festlichkeiten, musikalische Unterhaltungen, Lektüre u. dgl. m. In den größeren und komfortabel eingerichteten Privatanstalten bieten zahlreiche Turnapparate in luftigen Räumen reichlichste Gelegenheit zu methodischer körperlicher Anstrengung, die täglich unter ärztlicher Leitung geübt wird; schwedische Gymnastik, Massage, Hydrotherapie bilden dann noch eine Unterstützung der Behandlung, welche natürlich auch die Heilung der mit der Trunksucht verbundenen Organerkrankungen erstrebt (besonders Herzerweiterung findet sich häufig bei Trinkern und scheint in manchen Fällen die Trunksucht zu befördern, resp. hervorzurufen).

Auf reichliche und zweckmäßige Ernährung wird in allen Anstalten ein um so größerer Wert gelegt, als die Trinker meist körperlich sehr heruntergekommen sind, die Kranken ein gewisses Maß von körperlicher Anstrengung leisten müssen, und der Mangel des gewohnten Reizmittels einen gewissen Ersatz in guten und sorgfältig zubereiteten Speisen finden muß.

Schließlich ist noch die strenge Disciplin zu erwähnen. Es wird auf Aufrechthaltung eines absolut guten Tones und genaue Befolgung der Hausordnung geachtet.

Als disciplinare Maßregeln kommen allerdings nur der Verweis und, wenn dieser nichts hilft, die Entlassung aus der Anstalt in Betracht.

Die Resultate, welche in den Trinkerheilanstalten erreicht werden, sind recht befriedigend. Nach einer Statistik, die sich über 3000 Fälle aus Amerika erstreckt, ergiebt sich eine vollständige Heilung von 40%. In Ellikon sind von den 1889 bis Ende 1896 Behandelten 43,6% abstinent geblieben.

Natürlich giebt es auch eine Reihe unheilbarer Fälle. Diese betreffen meist schwachsinnige, geistig und moralisch defekte, degenerierte, verkommene oder zu alte Personen, die von vornherein wenig Aussicht bieten und in manchen Anstalten erst gar nicht aufgenommen werden, zumal da sie die Statistiken verschlechtern. Diese gehören ihrer Gemeingefährlichkeit wegen in Trinkerbewahranstalten, welche leider noch nicht existieren, aber eine dringende Notwendigkeit sind.

Die Heilungen nehmen mit der Dauer der Anstaltsbehandlung zu. Ein halbes Jahr gilt an den meisten Anstalten als das niedrigste Zeitmaß, um eine vollständige Heilung zu sichern, manche halten eine Behandlung von einem Jahr für notwendig.

Damit die Entlassenen außerhalb der Anstalt einen Halt, einen Stützpunkt haben, hat sich der Zusammenschluß derselben zu Vereinen oder der Anschluß an bestehende Abstinentenvereine (Alkoholgegnerbund, Blaues Kreuz, Guttemplerorden)[1] als sehr zweckmäßig erwiesen. So hat sich durch die Bemühungen des Hausvaters des Asyls Ellikon, welches in vielen Beziehungen vorbildlich ist, ein Verein „Nüchternheit“ ehemaliger Pfleglinge dieses Asyls gebildet, der 1895 über 90 Mitglieder zählte. Derselbe stellt u. a. die Aufgabe, sich gegenseitig in der Abstinenz zu bestärken und zu kontrollieren, in Wort und That für den Abstinenzgrundsatz Propaganda zu machen, namentlich Trinkern nachzugehen und sich derselben anzunehmen, sodann solche zu veranlassen, in einer Trinkerheilstätte Heilung zu suchen.

Ich habe hier des längeren auseinandergesetzt, welche Mittel wir haben, die Trunksucht zu heilen. Ich würde jedoch fürchten, nicht vollständig zu sein, wenn ich nicht zum Schluß noch darauf hinweisen wollte, daß die wirksamste Art, die Trunksucht zu bekämpfen, ihre Verhütung ist. Eine Krankheit verhüten hat mehr Wert, als die entstandene heilen, diese Anschauung hat sich immer mehr und mehr Bahn gebrochen und zu dem mächtigen Aufblühen der modernen Wissenschaft der Hygieine geführt.

Und so ist denn auch bei der Trunksucht das Verhüten die erste und wichtigste Aufgabe. Der Kampf gegen die Trunksucht, gegen den immer mehr überhand nehmenden Alkoholmißbrauch bildet eins der Hauptkapitel der praktischen Hygieine. In diesem Kampfe müssen sich staatliche Maßnahmen, ärztliche Bemühungen und private Bestrebungen vereinigen, wenn derselbe zum Heile des Menschengeschlechts erfolgreich sein soll.


  1. Nach den Erfahrungen der Enthaltsamkeitsvereine, besonders des (auch in Deutschland) immer weitere Fortschritte machenden großen Guttemplerordens scheint es, daß eine große Zahl Trunksüchtiger auch ohne Anstaltsbehandlung geheilt werden kann, „dadurch, daß ihnen in rechter Weise das Gelübde lebenslänglicher Enthaltsamkeit abgenommen wird, und sie sich einem richtig arbeitenden Enthaltsamkeitsvereine eng anschließen, wo sie Aufklärung über den absoluten Unwert aller alkoholischen Getränke erhalten, wo sie Halt und Selbstgefühl wieder finden, und wo sie es lernen, dem Alkohol nun ihrerseits seine Opfer zu entreißen.“




Stillosigkeiten.

Von J. Braun.


Was Stil ist, darüber haben sich Gelehrte und Künstler in großen Büchern und kleinen Aufsätzen reichlich ausgesprochen, auf den Kunstgewerbeschulen wird es gelehrt, und verschiedene Zeitschriften für Liebhaber- und sonstige Künste suchen den Begriff in immer weiteren Kreisen zu verbreiten. Die meisten von uns wissen auch, was unter dem Stil einer Zeit oder eines Landes zu verstehen ist, und können einen gotischen Reliquienschrein von einer Renaissancetruhe unterscheiden, fühlen auch, daß etwas nicht in Ordnung ist, wenn sie über einem Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert eine leichtfertige Rokokobekrönung erblicken. Bei alledem nehmen wir uns, und mit Recht, eine gewisse Freiheit im Ausstatten unserer Räume, die so vieles beherbergen müssen, wofür noch keine vergangene Zeit eine Form geschaffen hat. Es stört auch den Rokokospiegelrahmen an der Wand nicht, daß der Teppich auf dem Boden ein Muster zeigt, das um zweihundert Jahre älter sein könnte, wenn der Teppich echt wäre. Formen und Farben, die sich vertragen, mögen getrost nebeneinander bestehen; wenn ein feines Auge und eine geschickte Hand sie anordnet, kann ein sehr erfreuliches Ganzes daraus werden.

Wer sich den Luxus der Einheit gestatten kann, wird zwar auf ein solch stilloses „Vertragen“ herabsehn; allein dies führt auf die zweite Seite des Stilbegriffs – stilvoll ist nicht nur eine Einrichtung, deren einzelne Bestandteile gemeinsam das Gepräge einer bestimmten Zeit oder Nation tragen: jeder einzelne Gegenstand kann in sich Stil haben, wenn er gewissen Gesetzen gehorcht, welche von Vorzeiten her auf uns gelangt sind und vielleicht am mächtigsten wirkten, ehe sie ausgesprochen und festgelegt waren.

Die pompejanischen Handwerker, welche die jetzt ausgegrabenen Küchengeräte verfertigten, hätten schwerlich Auskunft geben können über das, was den künstlerischen Reiz ihrer Arbeit ausmacht, und die oft so überraschend guten Webereien, Stickereien, Thon- und Metallarbeiten wenig kultivierter Völker entspringen einem naiven Kunstgefühl, das, wie alle Instinkte, durch wachsende Ueberlegung unsicher wird oder wohl ganz verloren geht.

Es existiert ein vielbändiger, illustrierter Katalog von der ersten Weltausstellung, welche im Jahre 1851 zu London abgehalten wurde. Die Ausstattung des Werkes läßt erraten, wie sehr man mit der damals erreichten Stufe des Kunstgewerbes zufrieden war, während sich dieses zu jener Zeit vielleicht auf dem tiefsten Punkt seines Niedergangs befand. Heute erscheint uns das Prachtwerk wie ein Lehrbuch dessen, was man nicht machen soll.

Daß ein Gegenstand bei aller schmückenden Ausgestaltung, „Idealisierung“ nennt sie J. v. Falke, vor allen Dingen so gebildet sein muß, daß er seinem natürlichen Zweck entspricht, scheint den Verfertigern jener technisch oft vollendeten Werke ein überwundener Standpunkt gewesen zu sein. Da zeigt z. B. ein Lehnstuhl als rechte Armlehne einen sitzenden Hund, als linke einen liegenden, lebensgroß und höchst naturwahr aus Holz geschnitzt; als Holzschnitzereien sind die Arbeiten vielleicht recht anerkennenswert – nur daß die Armlehnen zum zwanglos bequemen Aufstützen der Arme erfunden sind, war dabei vergessen.

Ein zweites Gesetz verbietet, den Gegenstand zum Träger einer Idee zu machen, welche mit seinem Zweck in Widerspruch steht. Hiergegen sündigte ein kleiner runder Tisch, dessen Fuß ein kauernder Gladiator bildete; der emporgehobene Schild stellte die Tischplatte vor. Eine der beständig wechselnden Stellungen des Kämpfers war festgehalten, um die Platte zu stützen, die nicht aus der wagerechten Lage kommen darf!

Eine dritte Regel bezieht sich auf die Uebereinstimmung des Materials, aus welchem ein Gegenstand gefertigt ist, mit seinem Zweck, und wieder auf den Einklang zwischen Material und Bearbeitungsweise. Gegen letzteren verstieß ein rechteckiger Tisch aus schönem Holz, dessen Beine der Länge nach durch eine Art Fußleiste verbunden waren; auf dieser Leiste zog sich eine wahre Filigranarbeit, eine aufs zierlichste in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0467.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)