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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


gleichzeitig setzte sich der Dampfer in Bewegung und glitt langsam aus dem Hafen.

„So, jetzt schwimmen wir!“ sagte Adlau, im Tone tiefster Befriedigung. „Nun will ich nach der Kajüte und Rücksprache wegen Ihres Platzes nehmen. Freuen Sie sich doch, Herr Geheimrat, jetzt geht es nach Hause!“

Damit ging er, aber der arme Geheimrat dachte nicht daran, sich zu freuen. Er war halb betäubt auf die Bank niedergesunken und überlegte sich jetzt erst die unerhörte Geschichte. Er konnte sich die Scene ausmalen, die dort im Hotel spielte, wenn Elfriede die Nachricht erhielt, mit der Adresse von Adlaus Hand. Das vergab sie ihm nie, er hatte ja auch selbst das vernichtende Bewußtsein, eine Art Rabenvater zu sein, der sein Kind allein im fremden Lande zurückließ! Ja, dieser Robert war ein Gewaltmensch! Je mehr der alte Herr zur Besinnung kam, desto heftiger grollte er mit seinem einstigen Liebling, der an allem schuld war. Aber mitten in diesem Groll schlug er auf einmal mit der Hand auf die Banklehne und sagte überzeugungsvoll:

„Aber wahr ist’s doch! Gerade ein solcher Mann hat dir gefehlt, Friede! – und mir ein solcher Schwiegersohn!“




Am Rhein war der Frühling eingezogen. Die Rebenhügel standen überall im zarten frischen Grün, im Walde sang und klang es von tausend neuerwachten Stimmen und die Wellen des Stromes blitzten im Sonnenschein. Es war ein Maientag von jener zarten, duftigen Schönheit, die nur der deutsche Frühling kennt.

Die Besitzung des Geheimrats Rottenstein war nur ein kleines Landgut, aber wie geschaffen zum behaglichen Ruhesitze des Alters. Das nicht große, aber sehr freundliche Haus lag im Schatten der alten Linden, die ihm den Namen gegeben hatten. An den ausgedehnten Garten schloß sich das Weingütchen, die höchste Freude des alten Herrn, der seinen Wein selbst zu keltern pflegte. Von der rebenumsponnenen Veranda, die an der Hauptseite des Hauses lag, hatte man einen schönen Blick auf den Rhein, zur Linken stiegen die sonnigen Weinberge des Ufers empor und zur Rechten ragte in einiger Entfernung, aus den dichten Laubmassen eines Parkes, ein mächtiges Gebäude auf, Schloß Brankenberg, das länger als ein Jahrhundert im Besitz einer alten Adelsfamilie gewesen war und jetzt einen neuen Herrn hatte.

Photographie im Verlage von Viktor Angerer in Wien.
Ferienfreuden.
Nach dem Gemälde von Emil Czech.


Auf der Veranda saßen der Geheimrat und sein Gutsnachbar und auf dem Tische funkelte in den Gläsern der Wein, „eigenes Gewächs“, auf das der alte Herr ungemein stolz war. Der heimische Winter schien ihm sehr gut bekommen zu sein, er sah weit wohler und frischer aus als im Herbst, er gehörte nun einmal zu den Naturen, die nur auf dem Heimatboden gedeihen. Robert Adlau hatte sich gar nicht verändert in seiner markigen, kraftvollen Erscheinung, nur etwas bleich sah er heute aus, und die breite schwarze Binde, die er um die Stirn trug, schien auf irgend eine Verletzung hinzudeuten.

„Also auf die glückliche Genesung!“ sagte Rottenstein, sein Glas erhebend. „Das ist freilich schnell genug bei Ihnen gegangen, Robert. Ein anderer hat wochenlang mit einer solchen Kopfwunde zu thun, und Sie laufen schon nach acht Tagen wieder umher, als ob gar nichts geschehen sei.“

„Es war ja nicht all des Aufhebens wert, das davon gemacht wurde,“ entgegnete Adlau mit einem Achselzucken. „Eine längere Betäubung, infolge des Sturzes, ein etwas starker Blutverlust – mir thut nur mein schöner Fuchs leid, der bei der Geschichte draufgegangen ist.“

„Nun besser doch der Fuchs als Sie! Uebrigens sah die Sache im Anfange recht gefährlich aus. Sie ahnen gar nicht, was das für ein Anblick war, als ich nach Brankenberg gerufen wurde und Sie anscheinend leblos und blutüberströmt daliegen sah. Der Doktor machte auch zuerst ein sehr bedenkliches Gesicht, und auch jetzt meint er, eine Natur wie die Ihrige sei ihm noch nicht vorgekommen.“

„Ja, meine Natur ist gut. Uebrigens habe ich dem Inspektor tüchtig den Kopf gewaschen, weil er nichts Gescheiteres wußte, als schleunigst zu Ihnen zu schicken und Sie zu erschrecken mit der Nachricht. Was ging denn das Sie an!“

„Was es mich anging?“ rief der Geheimrat unwillig. „Glauben Sie, daß mir Ihr Leben und Sterben gleichgültig ist?“

„Nun ja – Ihnen vielleicht nicht,“ sagte Robert langsam. „Andere freilich –“ er brach plötzlich ab, als habe er schon zu viel gesagt, der alte Herr aber fiel eifrig ein:

„Ja, andere Freunde haben Sie freilich nicht hier, aber das ist doch nur Ihre eigene Schuld. Ich wollte Ihnen längst schon eine Strafpredigt halten wegen dieses Einsiedlerlebens, das Sie nun bereits seit sechs Monaten führen. Sie haben keinen einzigen Besuch in der Nachbarschaft gemacht, verkehren mit niemand, ziehen sich hartnäckig von jeder Geselligkeit zurück. Wie halten Sie es denn nur aus in dem großen, öden Schlosse, so ganz allein?“

„Nun, im Sommer wird es ja Leben genug geben, wenn meine Schwester mit Mann und Kindern kommt,“ entgegnete Adlau ausweichend. „Für jetzt habe ich noch sehr viel zu thun, viel mehr, als ich anfangs glaubte. Ich habe bisher noch gar keine Zeit für die Geselligkeit gehabt.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0509.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)