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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

werden ja dann gewissermaßen mit der Witwe verwandt. Aber so nah’ ist die Verwandtschaft doch nicht, daß man sich nicht aus dem Weg gehen könnte. Aber wissen Sie – schließlich so’n bißchen Romantik und Heimlichkeit, ehe man zu seinem konzessionierten Glück kommt – das hat seinen Reiz.“

Achim sah es wohl: der andere glaubte steif und fest, daß er mit Susannen so gewissermaßen heimlich verlobt sei. Was sollte Bläser auch sonst denken? Achim mußte ihm noch dankbar sein für diesen Glauben, der doch wenigstens Susannen nicht beleidigte. Was hätte er machen sollen, wenn sein Kamerad auf frivole Gedanken gekommen wäre?

„Lieber Freund,“ sagte er mit allen Zeichen einer gewissen Aufregung, „ich stand und ich stehe allerdings in schweren Konflikten und diese sind in der That Folgen jenes unglücklichen Duellausganges. Mehr darf ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Aber ich bekomme Ihr Ehrenwort: Sie verschweigen, daß Sie Fräulein Susanne Osterroth bei mir gesehen haben. Was Frau Leermann betrifft, so hoffe ich, das Fräulein ist ihr unbekannt.“

Bläser schüttelte ihm herzlich die Hand. Diese allgemeinen Worte nahm er für Zustimmung und Eingeständnis.

„Das versteht sich. Mein Ehrenwort. Aber alle Wetter, Körlegg, wenn Sie’s durchsetzen: das Mädel neid’ ich Ihnen! Trotzdem: im voraus tausend gute Wünsche!“

Und Achim widersprach nicht.

Ich sollte sagen, dachte er, Susanne ist nicht meine Braut, wir lieben uns gar nicht. Ich darf ein solches Mißverständnis nicht dulden! Aber er schwieg.

Seine Zunge war ihm gebunden.

Allerlei Auswege für später sann er aus: ich werde nach einiger Zeit Bläser sagen, daß ich es doch nicht durchgesetzt habe; oder: ich werde der Form wegen um sie anhalten, einen Korb bekommen und dann Bläser sagen, daß es nichts wird; oder: ich werde gar nichts sagen, gar nichts thun, vielleicht vergißt er es.

Die beiden Frauen aber liefen wie Flüchtlinge heim. Sie spürten nicht die schneidende Kälte. Ihre Wangen brannten. Sabine bebte vor Verlangen, jedes Wort zu hören, sich das Zimmer beschreiben zu lassen, wie er selbst ausgesehen habe, wie seine Miene gewesen.

Aber erst als der Oberamtmann und seine Frau schlafen gegangen waren, konnten sie sich aussprechen.

Sabine hielt ihre Briefe auf dem Schoß. Nun hatte sie, was sie gewollt.

Und sie bereute, sie gefordert zu haben. Er hätte doch vielleicht eines Tages wieder darin gelesen – neu, zärtlich ihrer gedenkend.

„Ihr Besitz war ihm doch wert?!“ fragte sie zum zehnten Male, „sagte er so?“

„Ja, er drückte sich sehr edel und warm aus,“ bestätigte Susanne.

„Sah er aus wie jemand, der sehr gelitten hat?“

„Eigentlich nicht. Noch ernster freilich schien er als früher.“

Darüber, daß Bläser Susannen dort ertappt hatte, ging auch Sabine hin wie über eine bloße Unannehmlichkeit.

„Achim wird ihm schon etwas vorreden,“ meinte sie, „damit er auf keine dummen Gedanken kommt.“

Und zuletzt sagte sie dann:

„Nun brauchst du ja auch nicht auf den langweiligen alten Ressourceball zu gehen.“

„Weißt du,“ meinte Susanne eifrig, „es ist, glaube ich, doch besser; es fiele so auf, wenn ich zurückträte. Und um die Wahrheit zu sagen: er bat, ich solle doch hinkommen! Dann habe der sonst so öde Abend doch Inhalt.“

Sabine stutzte und sah die Freundin an. Dann sagte sie zerstreut:

„Ja, geh’ nur, geh’ nur!“

Ein seltsames, geheimnisvolles Lächeln spielte um ihren Mund, das Susanne sich gar nicht erklären konnte.

Sie ist ihm ein Teil der Vergangenheit, dachte Sabine; wenn er mit ihr spricht, erinnert ihn alles an mich, an die Tage von Venedig. Vielleicht liebt er mich doch noch und will es sich nur nicht eingestehen.

„Es ist gut, daß du ihn noch einmal siehst und sprichst. Du kannst ihm sagen, daß ich ihm für die Briefe danke und daß ich sie ihm nicht abgefordert haben würde, wenn ich gewußt hätte, daß sie ihm noch wert seien,“ sagte sie.

Und diese fast weiche Stimmung hielt bei ihr bis zu dem Balltage vor.


12.

Wenn im „Hotel zum Kronprinzen“ in Mühlau der Ressourcenball abgehalten wurde, herrschte in Mühlau schon am Vormittag großes Leben. Die Gutsbesitzer kamen mit ihren Familien schon früh herein, die Frauen und Töchter machten Besorgungen, die Herren fanden sich mit Mühlauer Persönlichkeiten zu einem Frühschoppen zusammen, wo dann ungeheuer viel getrunken und geklatscht wurde. Jede Familie hatte doch irgend ein befreundetes Haus in Mühlau, wo man absteigen und sich zum Ball umkleiden konnte. Auf dem Markt, vor dem „Kronprinzen“, stand dann eine ganze Wagen- und Schlittenburg.

Auch Herr und Frau Voigtstedt kamen von Wendessen mit Martha schon um elf Uhr morgens herein, und es verstand sich von selbst, daß sie bei Marthas Schwiegereltern aßen und tranken und sich umzogen.

Die Oberamtmännin lief seit dem frühesten Morgen zwischen Küche und Eßzimmer hin und her. Susanne half Butterbröte belegen. Lisbeth mußte fortwährend etwas vom Krämer holen und auch den Voigtstedtschen Damen zur Hand sein. Sabine spielte mit den Kindern.

Alle waren beinahe schon erschöpft, als der Besuch kam. Herr Voigtstedt erfüllte die ganze Wohnung mit seiner geräuschvollen Lebensfreudigkeit. Nachdem sie sich bei Butterbrot und Glühwein von der kalten Schlittenfahrt erholt hatten, gingen sie wieder: die Damen, um für das bevorstehende Weihnachtsfest Haushaltungsgegenstände und Dienstbotengeschenke zu kaufen, Herr Voigtstedt in den „Kronprinzen“. Der Oberamtmann ging nicht mit. Er vertrug seit Jahren schon das Trinken nicht mehr, besonders nicht vormittags.

Dann ging das Rennen und Jagen wieder an. Die Oberamtmännin war früher eine großartige und umsichtige Hausfrau gewesen, aber nun lebte sie schon zu lange still und klein, daß es sie im hohen Grade erregte, wenn sie Gäste hatte. Sie verlor den Kopf. Um Drei sollte gegessen werden. Dazu kam dann auch Reinald von Heinsdorf herein.

Pünktlich dampfte die Suppe auf dem Tisch und die Gäste saßen müde, die Wirte abgespannt beim Mahl; Reinald und Martha wieder Schulter an Schulter, Hand in Hand, wenn sie nicht gerade aßen. Herr Voigtstedt sah manchmal mit einem besonderen, lächelnd forschenden Blick zu Susanne hinüber. Frau Voigtstedt hatte schon ihre Migräne. Nach Tisch wollten alle schlafen. Oberamtmanns hatten ihre Schlafstube Voigtstedts überlassen und nickten in den Sofaecken im Wohnzimmer. Viel Zeit war auch nicht dazu, denn nachher, wenn alle im Ballstaat waren, sollte es noch Thee und Kaffee und Kuchen geben.

Susanne und Sabine seufzten zahllose Male in sich hinein und wechselten einen Blick. So viel Lärm und Strapazen eines „Vergnügens“ halber! Sie begriffen es nicht.

Endlich, halb Sieben, saß die Oberamtmännin, alle Kräfte wie zu einer letzten Schlacht sammelnd, auf dem Sofa hinter Thee- und Kaffeekannen. Tassen und zwei Teller mit Bergen von Kuchen standen vor ihr. Als erster, der ballbereit war, erschien Herr Voigtstedt. Der Frack und die weiße Weste standen ihm gut. Er war noch etwas verschlafen, auf seiner feisten Wange hatte das Kopfkissen Falten abgedrückt; er trank den Kaffee schwarz, dann taute er auf.

„Hör’ mal, Deuben, was ich dir noch erzählen wollte – ich habe da heute morgen eine unglaubliche Geschichte gehört. Die kleine Osterroth soll mit Herrn von Körlegg ein Techtel-Mechtel haben.“

Die Oberamtmännin sah in sittlicher Entrüstung den Plafond an und faltete dazu die Hände.

Was in Mühlau geklatscht wird! Es ist unglaublich! Nein so was! Susanne kennt Herrn von Körlegg gar nicht!“ rief sie mit Pathos.

„Nee,“ sprach der Oberamtmann, „das muß ich nun selbst sagen: das geht doch ’n bißchen weit.“

„Je – das sagt ihr wohl!“ bemerkte Voigtstedt zweifelnd.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0523.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2022)