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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ihr eigener Herr und mündig genug. Und ich denke auch so: Ihre Eltern werden gut daran haben. Jetzt haben sie eine Tochter, die sich müde flattert wie ein Vogel an den Käfigstäben des dortigen Lebens, der Verhältnisse. Später werden sie eine haben, die mit frischer Anregung und neugestählten Kräften immer gern wiederkehrt, liebe Pflichten freudig zu erfüllen. Was meinen Sie?“

Mit einem melancholischen Lächeln sprach sie: „Wie gern. Wenn Sie glauben, daß ich je wieder frisch werden kann – je wieder mit Mut das Leben zu tragen vermöchte …“

„O ja. Mit dem stolzen Mut des Ueberwinders!“ rief er.

Sie schüttelte den Kopf, bitter zuckte es um ihren Mund.

Er sah sie herzlich an. Aber er schwieg.

Sie kamen über die Herkulesbrücke.

„Da sind wir gleich. Haben Sie Nachsicht mit meiner Wohnung und mit meiner alten Meyerwisch. Sie wissen, wir wohnen erst seit zwei Jahren in Berlin, und die gute Frau hat ein wenig die Manieren einer ländlichen Schloßverwalterin behalten. Für meinen schönen stolzen Gast paßt das wenig!“

„Aber ich bitte Sie,“ sagte Sabine verlegen, „Sie kennen doch die bescheidenen Formen, in denen meine Eltern zu leben lieben!“

„Ja, ja. Aber da wandeln Sie immer ein bißchen herum wie eine verkleidete Fürstin,“ scherzte er.

„Thue ich das?“ fragte sie bestürzt. In seinem Scherz schien ihr eine Mahnung zu stecken …

Der Wagen hielt vor einem kleinen eleganten Hause, das nur vier Fenster im ersten Stock aufwies und im Erdgeschoß deren drei neben einer Hausthür. Auch hatte das Haus nur zwei Stockwerke.

„Oben bin ich Alleinherrscher,“ erklärte er, „unten wohnt die Eigentümerin des Hauses, ein altes Fräulein, das mich für einen leichtsinnigen Jüngling hält, woraus Sie auf ihren Taufschein schließen mögen, Und da meine Meyerwisch auch schon längst ihre fünfzig mit Ehren trägt, bekommen wir mit Ihnen so viel Jugend ins Haus, wie diese Mauern lange nicht sahen.“

Oben empfing Frau Meyerwisch schon auf der Treppe den Gast mit freudigen Lamentationen.

„Nein, daß die liebe gnädige Frau endlich da sind! Den ganzen Winter haben wir von nichts anderem gesprochen. Meyerwisch, sagte der Herr, wenn die gnädige Frau da ist, machen wir dies, wenn die gnädige Frau kommt, thun wir das!“

„Wollen Sie wohl schweigen! Nach solchen Reden wird die gnädige Frau mehr von uns erwarten, als wir ihr bieten können,“ sagte der alte Herr. „Und nun, liebe Sabine, vertrauen Sie sich der Führung dieser, wie sie bemerken, etwas aufschneiderischen Dame Meyerwisch an!“

„Die Fremdenzimmer sind oben neben meiner Stube,“ sprach die Frau, „wenn ich also bitten darf …“

Sie ging voran und sah sich dabei manchmal nach Sabine um, wie man sonst wohl als Pfadfinder sich vergewissert, ob der Weggenosse auch folge.

Frau Meyerwisch war groß und alles in ihren Zügen war groß: die fleischigen Wangen, die breite Stirn, die runden, braunen Kirschenaugen. Nur das feine Falkennäschen stand so fremd in dem Gesicht.

Und so war es auch mit ihrem Anzug bestellt. Zu einem würdigen, schweren schwarzen Wollkleid, dessen Schnitt von jeder Mode unabhängig schien, trug sie eine kleine schwarze Atlasschürze, die mit einem schwarzen Kreppvolant verziert war, auf welchem sich Rosen und Vergißmeinnicht in frühlingsfrohen Farben rankten.

Oben fand Sabine ein Zimmer, das so reizvoll ausgestattet war, daß ihr der Verdacht kommen mußte, der alte Herr habe erst ihretwegen diese heiteren grün-weißen Stoffe, die weißen zierlichen Möbel angeschafft.

„In einer halben Stunde bitte ich zu Tische,“ sagte die Frau, nachdem sie sich in freundlich eifrigen Fragen erschöpft hatte, ob auch alles so recht sei.

Zum erstenmal seit Monaten zog Sabine sich mit dem Bemühen an, gefällig und vorteilhaft auszusehen. Sie wußte, der alte Herr hatte ein Auge dafür.

Eigentlich hatte sie gedacht, daß sie niemals wieder ein Interesse daran haben würde, sich im Spiegel zu betrachten, ob auch ihr Anzug wohl geraten sei. Bei Tische fand sie sich dem alten Herrn allein gegenüber; ein Diener servierte.

„Ißt Frau Meyerwisch nicht mit uns?“ fragte sie.

„Sonst ja, wenn es Ihnen genehm ist. Heute bestand sie darauf, uns allein zu lassen.“

Von den beiden großen Zimmern, die Onkel Fritz’ Wohnung darstellten, war Sabine entzückt. Beide gingen auf die Straße, das eine diente zum Speisen. Und beide waren mit Kunstwerken aller Art harmonisch ausgestattet.

Obgleich es erst halb Sechs sein konnte, herrschte schon beinahe Dämmerung. Die kahlen Lindenwipfel der Kanaluferallee mochten das Licht nehmen, auch hingen dunkelfarbige Gardinen an den Fenstern.

Sabine war froh, daß der alte Herr Beleuchtung befahl. So lange sich hinzögernde Dämmerstunden beklemmten ihr die Seele. Auch schien es ihr, als sei er wieder in seine gewohnte Schweigsamkeit zurückgefallen, die immer so etwas Bedeutungsvolles hatte.

Vielleicht liebt er es auch nicht, dachte sie, sich in Gegenwart des Dieners eingehend zu unterhalten.

Sabine bildete sich ein, daß er sie manchmal sorgenvoll ansähe. Er legte auch zuweilen die Finger der Linken gegen seine Schläfe. Das war bei ihm ein Zeichen innerer Unruhe.

Was mochte er haben?

Sie wurde sehr nervös. Ein qualvolles Vorgefühl bemächtigte sich ihrer. Sie bildete sich ein, es warte etwas auf sie. Das Schicksal sei im Begriff, einen neuen vernichtenden Schlag gegen sie zu führen – –

Vielleicht war auch alles nur Einbildung – Stimmung – –

Sie fühlte sich erlöst, als die Tischzeit zu Ende ging und der alte Herr sie bat, mit in den Salon zu treten.

„Wo aber nur Susanne bleibt?“ fragte Sabine beinahe ärgerlich.

„Sie wird kommen, gewiß,“ versicherte er. Er führte sie zu einem besonders gemütlichen Eckplatz, wo man in tiefen Lehnstühlen um ein rundes Tischchen sitzen konnte und gerade den Blick auf ein großes, altes Oelgemälde hatte, von dem man beim Lampenschein zwar wenig zu erkennen vermochte, das aber als wohlthuender ruhiger Farbenfleck schön wirkte.

Nur um etwas zu sprechen, fragte Sabine nach dem Meister und nach der Erwerbungsgeschichte. Onkel Fritz erzählte sonst gern, wie und wo er so nach und nach seine Schätze gesammelt hatte. Aber heute schien er doch sehr zerstreut, horchte nach draußen, und wenn einmal die Glocke der Wohnungsthür anschlug, schwieg er erwartend.

Und einmal, bald nachdem der Glockenton erklang, steckte Frau Meyerwisch den Kopf zur Thür herein und nickte.

Der alte Herr erhob sich rasch und schien diese stumme Benachrichtigung zu verstehen. Er ging hinaus.

Sabine war es, als ob nebenan im Eßzimmer hinter der Portiere dann geflüstert würde. Aber sie konnte sich auch getäuscht haben, denn Onkel Fritz kam nicht daher, sondern vom Flur wieder ins Zimmer zurück. Er schien sehr blaß.

„Ich störe Sie,“ sagte Sabine rasch, „Sie sind irgendwie beansprucht? – Ich bitte, ganz ungeniert zu sein, sonst würde es mich bedrücken.“

Er setzte sich zu ihr. Er nahm ihre Hand.

„Nein, mein teures Kind!“ begann er herzlich. „Sie sind an Ihrem rechten Platz und sind es zur rechten Stunde. Ich habe Ihnen etwas zu sagen!“

„Mir …?“ brachte Sabine heraus.

Ihre Gedanken irrten umher: was? was?

„Gestatten Sie mir, zu Ihnen von Achim von Körlegg und der Vergangenheit zu sprechen?“ fragte er leise.

„Wenn es sein muß!“ sagte sie und begann heftiger zu atmen.

„Ja,“ fuhr er mit sanfter, trauriger Stimme fort, „es muß sein. Dies eine Mal muß es sein. Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen.“

Er kam nicht weiter. Mit klammernder Hand packte sie seinen Arm an. Ihre dunklen Augen sahen ihm flammend ins Gesicht. „Er ist tot!“ keuchte sie.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0556.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)