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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Sie stand und sah ihn an …. wie weh ihm der entgeisterte Blick that.

Da rührte es sich – die Falten des Thürvorhanges thaten sich auseinander, Susanne kam herein.

Die andere schrie auf. „Nein! Nein! Nein ...“

Aber schon war das Mädchen ihr nahe und schlang beide Arme um die Widerstrebende.

Ihr Gesicht war thränenüberströmt, mit flehenden Augen schaute sie Sabine an. „Ich kann nicht mehr warten!“ rief sie, „ich kann nicht mehr! Ich sollte erst kommen, wenn ich gerufen würde. Auf den Knien habe ich da drinnen gelegen und gewartet. Sabine, verzeih’ mir – aber siehst du, ich liebe ihn so sehr! Ich kann nicht von ihm lassen. Und auch er – siehst du – auch er nicht von mir. Wir haben uns lieb, Sabine. Wir gehören zusammen. Sage mir’s, daß du mir nicht zürnst, daß du uns nicht hassen willst! Das wäre wie ein Fluch. Wir wagten nicht glücklich zu sein!“

Sabine stieß sie von sich. Ihre Augen blitzten. Ihr ganzes Wesen bäumte sich auf in der alten, ungebrochenen Kraft ihrer leidenschaftlichen Natur. Sie rief:

„Das kannst du?! Das? Ihn heiraten – glücklich sein?! Und sagst, daß du mich lieb hast?! Und trittst Freundschaft und Liebe mit Füßen! Ueber mich hinweg willst du gehen … zu ihm, zu ihm? O mein Gott –“

Aber da flammte auch Susanne auf.

„Und was wolltest du?!“ fragte sie trotzig entgegen. „Ueber das Grab deines Mannes, über das Vorurteil der Welt, über das Herz deiner Eltern, ja über deine eigenen Kinder hinweg wärest du geschritten, in seine Arme. In meinem Weg’ steh’n keine solchen Hindernisse. Da stehst nur du! Und du hast kein Recht und keine Hoffnung – auch wenn ich nicht wäre. Sollen wir beide unglücklich sein, er und ich – nur deinetwegen … “

Da ging ein Zucken und Zittern durch die Gestalt der unglücklichen Frau.

„Meine liebe Tochter!“ sagte der alte Mann sanft und trat zu ihr, seinen Arm um ihre Schultern legend.

Sabine schloß die Augen. Ihr war, als müsse sie sich wehren, das nicht zu sehen, was drohend vor sie hinzutreten schien.

War es nicht das Schicksal, das kam und sagte: Mit denselben Waffen, mit denen du mich bezwingen wolltest, komme ich und besiege dich!

Rücksichtslos vorwärts getrieben von der Gewalt der Liebe, war sie bereit gewesen, sich zu ihrem Ziel emporzukämpfen – selbst über Leichen … Wenn er nicht ihr in den Arm gefallen wäre und gerufen hätte: Nein!

Und nun wollte sie an dieser richten und hassen, was sie selbst in hundertfach blinderer Selbstsucht zu thun bereit gewesen war ….

Schon bereute Susanne die hart mahnenden Worte.

Sie glitt neben der anderen nieder und umklammerte mit beiden Armen ihren Leib. „Sabine,“ flehte sie, „vergiß, was ich eben sagte! Ach, wir wollen doch keinen Unfrieden! Ich weiß es ja, du bist groß und gut und gerecht! Und einst hast du es mir gesagt: mir allein gönntest du ihn vor allen Frauen auf der Welt. Hast du es nur gesagt, weil du dachtest, er würde niemals mein? Sieh’, hier liege ich und bettle …“

Sabine stand und sah in unbestimmte Fernen hinaus ….

Ihre Zukunft lag vor ihr ausgebreitet ….

Was würde sie sein in dieser Zukunft?

Eine gute, liebende Mutter – eine bessere und liebevollere gewiß als vordem; eine treue, aufopfernde Tochter – hingebender und geduldiger als vordem.

Und doch: das Tiefste und Geheimste in ihrem Wesen würde einem ungehobenen Schatze gleichen. Es war wie ein Acker, von dem niemand Frucht begehrt. Alle Fragen, die das Weib an das Leben hat – sie würden unbeantwortet bleiben. Alles Sehnen ihrer Seele nach einer anderen Seele, der ihren zum Genossen gesellt – es würde ungestillt bleiben!

Wie bei tausend und aber tausend Frauen. Sie war nur eine mehr! Nur eine mehr?

Nein, sie war reicher als Tausende …. Eine große Leidenschaft war leuchtend durch ihr Leben gegangen und hatte ihre Seele erhoben, auf den Thron eines königlichen Glücks …

Sabine richtete sich stolz auf. Ein wunderbarer Glanz ging über ihr Angesicht. Sie fühlte es tief: es war wert, zu leben und zu leiden, wenn man liebte wie sie …

Ihre tastenden Hände suchten den blonden Kopf, der noch immer flehend zu ihr emporgerichtet war.

Mühsam, mit kalten Fingern, strich sie dem Mädchen das Haar aus der heißen Stirn und sah ihr lange, lange tief in die Augen.

Und dann, ein Lächeln erzwingend, das schmerzlich um ihre Lippen ging, sprach sie tonlos:

„Mache ihn glücklich … sehr, sehr glücklich …“

Ihre Stimme brach. Sie neigte das Haupt auf die Schulter des alten Mannes.

Und während ihre Thränen flössen, bedeckte Susanne in stillem Jubel die arme, liebe, blasse Hand mit Küssen.

Ihr war, als habe sie aus dieser Hand nun erst wirklich ihr Glück empfangen.




Der neue Dom zu Berlin.

Von Gundakkar Klaussen.
(Zu dem Bilde S. 557.)

Langsam und stetig reift der gewaltige Monumentalbau des neuen Berliner Doms seiner Vollendung entgegen. Außen sind die Baurüstungen gefallen, und obwohl noch Zäune und Buden das stolze Haus zum Teil verdecken, so ist doch das Aeußere im wesentlichen fertig und gewährt schon einen leidlichen Gesamteindruck. Unser Bild ist von der Gegend des Bahnhofs Börse aufgenommen und giebt einen Blick auf die Nordfront mit der Grabkapelle der Hohenzollern. Die Hauptfassade sieht nach Westen gegen den Lustgarten. Hier ist dem mächtigen Kuppelbau eine große, offene Säulenhalle vorgelegt von 84 m Länge, während die Gesamtlänge des Baues 114 m und seine größte Tiefe 73 m betrügt. An den Enden der Vorhalle erheben sich die beiden auf unserm Bilde rechts sichtbaren Türme, welche zur Aufnahme der Glocken bestimmt sind. Der figürliche und dekorative Schmuck, der an dem ganzen Gebäude nicht gespart ist, tritt auf dieser Seite ganz besonders hervor. Ueber dem Hauptportal steht Christus, von Schaper modelliert. Den Sims zieren die Gestalten der Apostel von Pfannschmidt, Calandrelli, Herter, Manzel, Brütt, Vogel und Baumbach. Trotz des Hochrenaissancecharakters, in dem das ganze Werk gehalten ist, verleugnet sich gerade in den Statuen der unserer Zeit innewohnende Zug ins Barocke nicht. Ebenso wie die Glockentürme und die beiden Türme nach der Spree zu, von denen man auf unserm Bilde nur den einen sieht, ist auch die große Kuppel mit Kupfer eingedeckt, an dem die Vergoldung nur in bescheidenstem Maße angebracht ist. Vorläufig wirken die großen rotbraunen Flächen nicht besonders schön, allein man rechnet mit der grünen Patinierung, die sich bilden soll.

In ihrer vom Kreuz überragten Laternenspitze erreicht die Kuppel die stattliche Höhe von 105 m. Die kolossalen Wetterfahnen auf den Türmen, welche unsere Leser auf S. 322 dieses Jahrganges in Wort und Bild beschrieben finden, mußten wegen ihrer ungeheuren Schwere auf Rollenlager gesetzt werden, ein Verfahren, das zu diesem Zweck hier zum erstenmal Anwendung gefunden hat.

Die Kuppel wölbt sich über den Mittelbau, die eigentliche Haupt- und Predigtkirche. Nach Süden zu ist ihr die saalförmige Tauf- und Traukirche vorgelagert mit einem Zugang von der Schloßseite her. Hier ist auch der allgemeine Eingang für den kaiserlichen Hof vorgesehen. Zwei Statuen von Lessing, Hoffnung und Liebe, schmücken diese Front. Auf der Wasserseite stehen Johannes der Täufer von Vogel und Moses von Janensch. Hier haben in Wandnischen auch die beiden Kupferstatuen aus dem alten Dom ihren Platz gefunden. Die Nordseite der Anlage bildet die ebenfalls mit Kupfer eingedeckte auf unserm Bilde deutlich sichtbare Grabkirche der Hohenzollern. Ihren Haupteingang hat sie unter dem Nordturm der Vorhalle. Gleich rechts von diesem Eingang wird der vom Kaiser geplante Bismarcksarkophag seine Aufstellung finden. Die mittelste Kapelle, deren Fenster und Giebel auf unserm Bilde erscheinen, ist vom Kaiser für seine eigene Person ausgewählt worden. In der Mitte der Grabeskirche wird ein Sarkophag Aufstellung finden, welcher zur Aufnahme der Särge während künftiger Beisetzungsfeierlichkeiten bestimmt ist. Eine breite Marmortreppe ist geplant, welche von der Denkmalskirche in die Kellerräume der Gruft hinabführt. In dieser werden die neunzig Särge untergebracht werden, welche früher im alten Dom standen und jetzt in der Interimskirche im Monbijoupark vorläufig ein Unterkommen gefunden haben.

Das für die Fassade verwandte Material ist gelblichweißer schlesischer Sandstein, hauptsächlich aus der Gegend von Cudowa. Nur

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0559.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)