Seite:Die Gartenlaube (1899) 0568.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


[Da der Verfasser erst 1954 verstorben ist, kann der Text hier noch nicht dargestellt werden.]

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Das lebende Bild.

Erzählung von Adolf Wilbrandt.

     (1. Fortsetzung.)

4.

Als Clotilde sich zurückwandte, sah sie im Gartensalon die Gesellschaft, die sich an der offenen Thür zu sammeln schien; Hans starrte neugierig hin. „Ich bin doch recht dumm,“ sagte sie, wieder in ihrem hellen, heiteren Weltton: „Hänschen will etwas erleben, und ich frag’ ihn hier nach dem alten Mahnke und nach der Landwirtschaft aus. Komm, mein Sohn: da ist die Quadrille!“

Hans, dessen Augen strahlten, wollte noch galant widersprechen; Clotilde hörte aber nicht, sie nahm seinen Arm und ging mit ihm ins Haus. Morland, der Hausherr, hatte in der That aus seinen Gästen, Damen und Herren, eine Gruppe gebildet; seine behagliche, phlegmatische, wohlbeleibte Gestalt mit der hohen Glatze trat vor, feierlich, so weit sie das konnte. Nach einem flüchtigen Blick und Gruß für Hans und einem humoristischen Räuspern nahm er das Wort: „Meine hochzuverehrende Schwägerin Clotilde, edler Gast meines Hauses! Es hat der werten Gesellschaft gefallen, dir außer dem Orden, den ich die Ehre hatte dir anzuheften, noch ein besonderes, festliches Ehrenzeichen zu widmen –“

Fanny, Morlands Frau, fiel ihm wie gewöhnlich in die Rede. Auf die jungen Damen neben ihr deutend setzte sie hinzu: „Das unsre liebreizende Jugend gepflückt und gewunden hat!“

Sie winkte einer der jungen Damen, einer stattlichen, beinahe schon üppigen Wohlgestalt; nun trat diese auf Clotilde zu. Mit etwas theatralischer Gebärde hob sie den Kranz in die Höhe, den sie in der Hand hielt, einen einfachen Kranz, den aber viele Seerosen schmückten, und sagte mit ihrer etwas rauhen, bedeckten Stimme: „Und ich soll die unverdiente Ehre haben, es zu überreichen. Diesen Kranz – unsrer Ruderkönigin!“

„Evviva!“ rief einer der Herren, der Bankier Ellenberger.

„Sie lebe hoch!“ schrie Morland.

Clotilde wehrte mit beiden Händen ab; sie hatte ihren jungen Ritter losgelassen. „Nein, nein, nein!“ rief sie aus. „Das ist Uebertreibung! Ich werde ja prämiiert wie bei einem landwirtschaftlichen Fest. Außerdem ist es ungerecht, muß ja den blassen Neid gegen mich erwecken. Diesen Kranz hätte Fräulein Jeannette von Lossow, unsre kühnste Reiterin, verdient … Da!“

Sie nahm ihn der stattlichen jungen Dame aus der Hand, aber nur um ihn ihr auf den Lockenkopf zu setzen. Dies gelang ihr indessen nicht; Jeannette von Lossow war stärker, oder gewaltthätiger. Sie ergriff den Kranz wieder; „nein, nein!“ sagte sie nun auch. „Der Königin der Gesellschaft!“ Damit drückte sie ihn Clotilden fest auf die Stirn.

„Bravo, bravo!“ rief Ellenberger.

Fanny Morland stellte sich vor Clotilde – sie hatten ungefähr den gleichen Wuchs, Fanny war aber voller, rundlicher geworden – und verneigte sich drollig gegen ihre Gäste, als wäre sie Clotilde. „Im Namen meiner Schwester dank’ ich der verehrten Gesellschaft und erkläre hiermit: Angenommen, Punktum!“

Clotilde zuckte mit den Achseln: „Was soll ich machen? Ich weiche der Gewalt. – Sehn Sie, großmütiges Fräulein Jeannette, wie mein Neffe sie bewundert; wahrhaftig, er hält förmlich den Atem an. Mein Neffe Hans von Hochfeld, den Sie noch nicht kennen.“

Hans verneigte sich tief; bei dieser übermütigen Bemerkung der Tante waren seine Wangen sehr erglüht. Er beeilte sich dann, Morland und Frau Fanny zu begrüben; ein beinahe krampfhaftes Lächeln stand auf seinem Gesicht.

„Nein, ihr treibt’s zu arg!“ fing Clotilde noch wieder an. „Man verwöhnt mich hier so, daß ich’s endlich gar nicht mehr aushalten werde, auf dem Lande zu leben.“

„Na, das wär’ ja gut!“ rief Fräulein von Lossow. „Kommen Sie nur zu uns nach Berlin! Da gehören Sie hin!“

Ellenberger lachte. Mit dem Fräulein durch den Saal gehend, summte er leise die bekannten, abgeleierten Verse (damals noch nicht so abgeleiert wie jetzt):

„Du bist verrückt, mein Kind,
Du mußt nach Berlin . . .“

„Tante Clotilde!“ flüsterte Hans, der dem Fräulein mit großen Augen nachblickte. „Aber die ist doch richtig jung?“

„O ja,“ antwortete Clotilde leise, mit dem geschulten Tondämpfen der Weltdame; „nach ihrem Taufschein sehr jung.“

„Ein ganz reizendes –! – Du! Ob die sich wohl für einen Landjunker wie mich –“

Er stockte.

„Interessieren könnte?“

Er nickte.

„Wenn du ein Pferd wärst, o ja!“

„Was heißt das?“

Clotilde blickte ihn lächelnd an; er verstand dieses Lächeln nicht. Der Bankier und Fräulein von Lossow kamen eben plaudernd zurück. „Fräulein Jeannette,“ sagte Clotilde, „ich muß Ihnen etwas verraten, das Sie nicht glauben werden: dieser mein Neffe, ein sonst braver Mensch, weiß noch nichts von Stronzian!“

Jeannettens wasserblaue Augen, für die große Gestalt zu klein, sahen dem jungen Menschen starr ins Gesicht. „Sie wissen nichts von Stronzian?“

„Nein,“ antwortete Hans verlegen. „Wer ist Stronzian?“

Ellenberger lachte fast beleidigend. „Sie wissen nicht, wer Stronzian ist? dieses Phänomen?“

„Mein edler Stronzian?“ setzte Jeannette hinzu.

„Ja, Ihr edler Stronzian,“ sagte Ellenberger mit komischem Vorwurf; „aber ich, der ich eins seiner Opfer bin: mit meinen besten Pferden schmählich besiegt –“

„Nämlich Bankier Ellenberger ist auch auf dem Turf zu Hause,“ bemerkte Clotilde, da Hans sie anglotzte.

„Ah!“ rief Hans. „Nun versteh’ ich endlich. Stronzian ist ein Rennpferd!“

Jeannette lächelte einen Augenblick, dann sagte sie wie in tiefem Ernst: „Aber, Herr von Hochfeld, so spricht man nicht von Stronzian. Das ist nach Kincsem das Höchste, was man erlebt hat –“

„Das Pferd aller Pferde,“ warf Ellenberger dazwischen.

Nun trat auch Fanny Morland wieder hinzu, sie schlug ihre lustigen Augen beinahe feierlich auf: „Dessen Namen ich garnicht mehr aussprechen kann, ohne mich zu begeistern!“

„Tante Fanny!“ stieß Hans in seiner Verwunderung hervor. „Du auch?“

„Ja, mein guter Junge. Warum ich denn nicht? Ja, auch ich leb’ und webe jetzt im Stronziankultus. Ich wette auf ihn, ich träume von ihm, ich glaub’ an ihn –“

„Na, das ist keine Kunst,“ rief der dicke Morland; „er gewinnt ja stets!“

Frau Fanny ließ sich aber das Wort nicht nehmen; „ja,“ rief sie aus, „veni, vidi, vici! – Du mußt seine Lebensgeschichte lesen, mein guter Junge; man hat sie gedruckt …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0568.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)