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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

so gut. – – Mutter mag mich nicht. Was soll ich denn anfangen, um ihr zu gefallen? Soll ich nicht mehr Luise von Hochfeld sein?“

Sie hörte Schritte hinter sich, erwachte und verstummte. „Meine Luise!“ hörte sie dann. Sie fuhr vor Freude zusammen. Als sie sich herumdrehte, sah sie den Vater im Wege stehn; ganz so, wie sie ihn beim Abschied nach Neujahr gesehen hatte: im dunkelbraunen, breitrandigen Filzhut, einen braunen Kapuzmantel über die Schultern geworfen; darunter ein schwarzer Rock. Er lächelte sie herzlich an. Sie lief ihm entgegen und warf sich ihm an die Brust. „Vater!“ rief sie und küßte ihn.

Er streichelte sie. „Gutes, holdes Kind! – Da steht sie! wirklich!“ – Ein zärtliches Lächeln flog über sein Gesicht: „Sprachst eben wieder laut mit dir; daran allein hätt’ ich dich erkannt. Also diese träumerische Offenherzigkeit haben wir behalten! – – Friedrich hatte doch recht. Ich kam angefahren, da stand er an der Gartenthür. Er behauptete, du wärst noch im Garten. War mir grade recht: nun stieg ich gleich an der Gartenthür ab und schlich mich herein. Und kann meinen Liebling ans Herz drücken, ohne die ganze Bevölkerung des Salons zu sehn …“

Mit einem Ausdruck des Widerwillens, die Brauen zusammenziehend, blickte er nach der Villa hin. Darauf suchte er das Kind wieder anzulächeln, fuhr ihr mit unruhiger Hand über das weiche, dunkle Haar. „Eine Stunde wenigstens hab’ ich dich … Dann – schnell wieder fort!“

„Nein,“ sagte Luise rasch, „nein, du sollst nicht fort.“ Sie nahm ihm Hut und Mantel ab und trug beides zu einer Hängematte, die in der Nähe zwischen zwei Bäumen hing, warf es dahinein. „Das geb’ ich dir nicht wieder,“ sagte sie künstlich heiter, während sie zurückkam. „Also mußt du hierbleiben!“

Julius ward finster. Ein tiefes „Hm!“ – ach, sie kannte das so gut – brach aus ihm hervor. Sie verlor ihr Lächeln; etwas scheu sah sie ihm in die ernsten grauen Augen. „Verzeih, wenn ich eben was Dummes gesagt hab’. – Ich wollt’ dich nur nicht wieder hergeben, Vater; hab’ dich ja noch gar nicht – –“

Sie schmiegte sich weich an ihn; es war, als umrankte sie ihn. „Sei nur gut!“ flüsterte sie. „Hab’ mich lieb!“

„Was red’st du, Kind?“ erwiderte er und streichelte sie wieder; „hätt’ ich dich etwa nicht lieb? Bist du nicht mein Glück?“ Er legte sie sich recht in den Arm; so führte er sie, zuweilen die leichte Gestalt ein wenig hebend, den gewundenen Kiesweg entlang, zum Elbstrom hin. Das Haus hinter sich, das er nicht anschauen mochte, blickte er mit ihr nach der Stadt hinüber, nach der alten und der neuen Brücke, die noch von Leben wimmelten. Dann wieder sah er in ihr junges, charaktervolles, reizend nachdenkliches Gesicht. „Nein, nein,“ sagte er mit Vaterstolz, „deine Pensionsmutter hat nicht übertrieben: eine rechte Blume. Vorhin etwas blaß; jetzt nicht mehr … Da steht eine Bank; komm, setzen wir uns. So, ganz nah zu mir; laß mich diesen schönen Augenblick mit ganzer Seele genießen!“

Er drückte sie sanft an sich; wie ein stilles Bild saß sie in der Dämmerung neben ihm da. „Dies ist nun also nicht mehr die Schulbank in der Pension,“ fing er nach einer Weile mit etwas gepreßtem Ton wieder an. „Englisch und Französisch haben wir vorläufig genug gelernt; jetzt auf gut Deutsch ins Leben – tapfer und tüchtig, nicht wahr – wie es uns auch anschaut!“

Sie hörte den leisen schwermütigen Klang in seiner Stimme; in ihr selber klang’s ebenso. „Gewiß, lieber Vater, gewiß!“ sagte sie fröhlicher, als sie’s fühlte.

„Deine Pensionsmutter, mein gutes Kind, hat mir viel Liebes und Schönes von dir geschrieben: daß du in manchem ein Vorbild für die andern warst, ausdauernd, gewissenhaft, treu, liebevoll mit allen Geschöpfen der Natur, Pflanzen oder Tieren; auch musterhaft ordnungsliebend.“ Er lächelte zufrieden. „Darin erkenn’ ich mein Kind!“

Sie lächelte auch und nickte.

„Dann – ja, dann hat sie mir freilich auch andres geschrieben – das nicht so erfreulich ist. Gewisse Sonderbarkeiten deines Temperaments, die seien trotz all ihrer Bemühungen auch gediehen;“ er lächelte gezwungener: „Unkraut in dem Weizen. Zum Beispiel, dieses ernsthafte Geschöpf, dieses charaktervolle kleine Mädchen da, plötzlich, so von Zeit zu Zeit, verfällt es in die Leidenschaft, sich zu vermummen, Faschingsnarreteien zu treiben, mit andern oder auch ganz allein; sich mit bunten Lappen und Fähnchen zu behängen, vor den Spiegel zu gehn, sich darin wie ein Pfau zu beäugeln – bis man ihr alles fortnimmt wie einem Kind. Ja, mit diesen Worten, glaub’ ich, hat sie mir’s geschrieben. Dann erwacht auch manchmal noch ein andrer kleiner Teufel in ihr, gegen den ich früher gekämpft hab’, du weißt wohl noch; der Spielteufel …“

Luise blickte ihn mit den dunklen Augen sehr ernsthaft an; es war ein eigentümlich verschleierter, rätselhafter Blick.

„Der Spielteufel,“ wiederholte er, durch diesen Blick etwas erregt; „also auch noch nicht ausgetrieben! Alles, was dir unter die Hände kommt, schreibt Frau Walter – Karten, Domino, Würfel, Damenbrett, ich glaub’, auch Schach – alles wird in solchen Zeiten gepackt, ins Versteck geschleppt; und mit derselben zähen, leidenschaftlichen Ausdauer, mit der du sonst deine guten Eigenschaften ausübst, giebst du dich dann diesem Spielteufel hin!“

Luise wiederholte leise das Wort, das ihr offenbar nicht gefiel. „Warum ist denn das unrecht?“ sagte sie darauf, vor sich nieder blickend. „Ist es denn ein Laster, zu spielen? Ist es eine Schlechtigkeit, wenn man sich vermummt?“

„Das sag’ ich nicht, mein Kind. Aber da nun einmal dieser Fluch auf unsern Fehlern ruht – wie oft hab’ ich dir das gesagt – daß sie so wenig wie wir im Stand der Kindheit und der Unschuld bleiben, daß sie wachsen und wachsen, wenn man sie nicht ausreutet; und daß sie zuletzt wie Schmarotzerpflanzen den Stamm umschlingen und aussaugen, bis wir nur noch dazu da sind, für ihr Leben zu leben –“

Ein Seufzer entfuhr ihm, in einer plötzlichen Bewegung stand er auf, er atmete tief. Dann erst beendete er seinen Satz: „Darum sag’ ich dir heute, daß mich das betrübt; daß es – mich erschreckt. Meine liebe Luise, gieb acht! Laß diese lieben kleinen Teufel nicht so wachsen, wie –“

Unwillkürlich blickte er nach der Villa hin, in der schon die ersten Lichter angezündet wurden. Er brach ab; er schüttelte nur noch Luisens Schulter. „Jag sie fort!“ stieß er mit einer Art von Lächeln heraus. „Jag sie fort!“

Wie von einer inneren Unruhe getrieben ging er dann von der Bank hinweg, der Gartenmauer zu.

Luise blieb sitzen. Ihre Arme hingen schlaff hinunter, auch der Kopf sank ihr gegen die Brust. Die Lippen öffneten sich ein wenig; ein mutloser Seufzer drängte sich an die Luft. Mir ist nicht zu helfen, dachte sie. Was ich von der Mutter hab’, das gefällt dem Vater nicht; und ihr nicht, was von ihm ist. Ja, was bleibt dann von mir? – Dann muß ich mich ja auflösen, in lauter Nichts. Dann haben sie vielleicht ein Kind, wie es ihnen gefällt!


7.

Frau Fanny Morland kam aus dem Hause, in ihrem behaglichen, etwas wiegenden Gang, dem man aber doch wohl abmerken konnte, daß diese rundliche Frau wußte, was sie wollte. „Schwager Julius!“ rief sie, während sie näher kam. Julius stand mit einer unwirschen Gebärde still und kehrte sich zu ihr herum.

Die gute Erziehung siegte, er ging ihr entgegen. „Eben sagt mir euer Friedrich,“ fuhr Fanny wie in schönster Unbefangenheit fort, „daß du im Wagen gekommen bist. Das war ein guter Einfall von dir! Freut mich außerordentlich. Du Einsiedler, du Entflohener –“

Auf eine ungeduldige Bewegung, die Julius durchaus nicht unterdrückte, ward sie augenblicklich still. Sie lächelte nur noch herzlich, zur Begrüßung, und gab ihm die Hand.

„Guten Abend, Fanny,“ sagte er höflich. „Du hast Gesellschaft, darum dacht’ ich gar nicht daran, dich oder irgend jemand zu stören. Ich wollte das Mädel sehn. Ich verschwind’ auch bald wieder; mein Wagen wartet.“

„Ah!“ rief Fanny aus. „Nein, nein!“

Luise war aufgestanden, sie horchte. Er will wieder fort! dachte sie voll Schmerz; es gab ihr einen Stich in die Brust. Es empörte sich etwas in ihr … Nein, fuhr ihr nun wie ein Blitz durch den Kopf, so bald lass’ ich ihn nicht wieder fort! – Ihr fiel ein, daß sie ihm Hut und Mantel fortgenommen hatte; beide lagen noch in der Hängematte. Die war aber zu nah; man konnte sie sehn. Rasch entschlossen, nach ihrer Art, ging sie hinter dem Vater und der Tante vorbei, nicht zu schnell, damit die nichts merkten; eher etwas träumerisch, als hätte sie nichts

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0574.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)