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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Stuccatur und gemalte Wappen mit lateinischen Spruchbändern schmücken die Decken, altes braunes Getäfel mit hübschen Friesen die Wände, Glasmalereien mit sammetroten Schildern die Fenster, schwere geschnitzte Stühle stehen vor sauber gedeckten, schweren Tischen und auf diesen altes, schönes Venetianer Geschirr, auch zinnerne Kannen und Becher. Dazu auf bemalten Platten hochgeschichtete Haufen Biskuits und Kuchen.

„Das gefällt mir,“ sagt Cilgia, „ein ganzes Volk bei seinem Landammann zu Gast!“

Menja Welcher, die liebliche Blondine, sieht sie fragend an, wo sie denn ihre Aufstellung wünsche, aber erst in einem weit zurückliegenden, halbversteckten Gemach sagt Cilgia: „Wenn Ihr einverstanden seid, so will ich hier die Gäste erwarten!“

„Wählt doch ein schöneres Gemach, Fräulein!“

„Laßt es gut sein, Menja!“ bittet Cilgia.

Mit einer feinen, liebkosenden Bewegung fährt sie ihr über das in Seidenfäden fliegende Blondhaar, wirft einen vorsichtigen Blick um sich und sagt:

„Woher ich Euch kenne, Menja, habt Ihr gefragt? Aus den Versen eines jungen Mannes, der das Ladin in kunstvolle Stanzen gießt und Blumen um den Namen Menja windet! Was er geschrieben hat, hat er mir gezeigt!“

Purpurröte steigt Menja ins blühende Gesichtchen, und mit leuchtenden Augen weidet sich Cilgia daran.

„Ihr seid gewiß keine andere als Cilgia Premont von Fetan; von Euch hat mir Konradin viel Liebes und Gutes erzählt,“ ruft Menja mit ihrer reinen Stimme, und zur Verlegenheit tritt die Ueberraschung. „Mein Vater hat gestern, als er von Baron von Mont zu Mals in Tirol zurückkehrte, auch von Euch gesprochen. Er sollte dem reichen Lorenz Gruber im Suldenthal berichten, ob Ihr von Puschlav seid.“

„Lorenz Gruber im Suldenthal.“ – – Cilgia sieht vor sich hin und wird ihrerseits verlegen. Das ist gewiß wieder eine Erinnerung an den ereignisvollen Abend. – Kommt denn alles in Samaden zusammen?

„Er will einmal,“ fährt Menja fort, „wenn die Welt etwas friedlicher ist, zu uns nach St. Moritz kommen und auf der Reise Euch in Fetan besuchen.“

„Ich wohne jetzt zu Pontresina, bei meinem Onkel, dem Pfarrer Taß,“ berichtigt Cilgia sie.

„Das trifft sich aber schön, der ist ja ein guter Freund meines Vaters,“ sagt Menja Melcher herzlich erfreut.

Cilgia ist wie auf Kohlen, sie will nichts verraten und hätte doch gern mehr über Lorenz Gruber gefragt.

Da hört man den Trommelschlag des Umzuges, der wieder auf den Platz kehrt, und die Mädchen eilen durch den geräumigen Flur ans Fenster, wo sie den freien Ueberblick über die Landsgemeinde haben.

Mit entblößten Häuptern und in lautloser Stille ordnet sich das Volk im weiten Ring, lauter ernste Gesichter.

Die Landsgemeinde ist wie ein Gottesdienst im reinen Firnenglanz der Bernina. Nach einer kurzen, markigen Ansprache nimmt der alte Landammann Romedi den neuen in Eid: „Junker Rudolf von Flugi, schwört Ihr, daß Ihr als Landammann die Gesetze und Satzungen des Volkes halten und daß Ihr unparteiisch richten und regieren wollt nach bestem Wissen und Gewissen?“

Der Junker legt die drei Eidfinger auf das Schwert, das vor ihm über dem Landbuch gekreuzt ist, und spricht mit tiefer, weittragender Stimme:

„Ich schwöre, daß ich als Landammann die Gesetze und Satzungen des Volkes halten und unparteiisch richten und regieren will nach bestem Wissen und Gewissen. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!“

So werden auch der Landschreiber und die dreizehn Richter des Hochgerichts beeidigt, und dann heben sich die Hände und Finger des Volkes und dem Eid des Gehorsams folgt die Formel: „Wir schwören es, so wahr uns Gott helfe!“ Die vielen Stimmen verwirren sich und tönen, als ginge Windesbrausen über den Platz dahin.

Cilgia, die zuerst nur einen kühlen Eindruck von der Landsgemeinde empfangen hat, ist von dem Vorgang tief ergriffen. Das Bild des Völkleins, das in Luft und Sonne tagend, die ewigen Berge und Gott im Himmel zu Zeugen seines wankellosen Willens nimmt, bewegt sie.

Der neue Landammann, der würdige Junker von Flugi, hält nun seine Rede. Er dankt Gott, daß er die Prüfungen des Krieges nicht schwerer gemacht habe, und wendet sich dann ans Volk:

„Ein Lob aber auch der engadinischen Treue! – Unter den schwersten Umständen blieb jeder von euch, liebe Mitlandsleute, der Verantwortung für alle andern bewußt. Ihr habt manchmal der zürnenden Faust, selbst den weichen Stimmen des Mitleids und Mitgefühls Halt geboten, die Neutralität gegen eine übermütige Soldateska im großen und kleinen gehalten und damit dem Thal die Geißel der Brandschatzung und das Entsetzen des Standrechts, unendliches Leid erspart.“

Cilgia ist es, als dringe ein großes, schmerzhaft blendendes Licht gegen sie.

Ihre Brust atmet heftig. Sie hat es wohl vorher schon gefühlt, aber jetzt hat sie es laut aus berufenstem Munde gehört: ihre That zu Fetan ist ein Verrat an einem feierlich gegebenen Treuwort des Volkes; wenn sie bekannt wird, ist sie eine gräßliche Gefahr für das Engadin. Denn rät nicht eben jetzt der Landammann, Vorsicht zu bewahren, da noch Späher genug im Lande stehen?

Sie hört es nur undeutlich, wie seine Rede weitergeht, vor ihren inneren Augen steht wieder der Flüchtling, wie er bei dem Ruf „Die Franzosen kommen – die geschlagenen Franzosen!“ eine schwache Bewegung der Flucht macht, in die Knie sinkt und in dunklen, unverständlichen Lauten stöhnt, bis sie plötzlich und deutlich die Worte „Vater – Mutter“ hört. Die Worte und der Anblick des Hilflosen foltern sie und sie wendet sich an Markus Paltram, der bisher dem Vorgang mit kühler Ruhe zugesehen hat, so g’rad’, als wenn ein Mensch in höchster Todesnot für ihn etwas Alltägliches wäre. „Ratet, helft! Wir können den Unglücklichen doch nicht opfern.“ – „Dem ist nicht zu helfen, der einzige offene Weg geht über das Sesvennagebirge. Den erträgt der Tiroler da nicht, er ist ja schon halb tot,“ antwortet Markus Paltram. Dem Flüchtling laufen die Thränen der Hilflosigkeit über das Gesicht, und in der Ferne sprengen französische Reiter die Berglehne entlang. Sie weiß selber nicht mehr, was sie thut. „Seid barmherzig, Markus Paltram; wenn Ihr nicht um des Flüchtlings willen barmherzig sein wollt, seid’s um meinetwillen!“ So fleht sie ihn an. Da steht er auf und sagt mit einem seltsam höflichen Lächeln und einem sonderbaren Blick: „Wohlan – um Euretwillen, Fräulein. Es kann den Kopf kosten, aber für Euch reut er mich nicht. Ich führe den Burschen durch das Waldthal der Clemgia ins alte Bergwerk von Scarl. Dort mag er ruhen, bis er wegfähig ist, oder in Frieden sterben. Ich verlasse ihn nicht – auf mein Ehrenwort nicht!“

Und fast barsch wendet er sich an den Flüchtling: „Hängt Euern Arm um meinen Hals und vorwärts!“

„Gott geleite euch!“ – Die beiden, der Tiroler auf Paltram gestützt, sind noch kaum bei den Uferstauden eines Bächleins, die sie schützen sollen, angekommen, so haben schon einige Fetaner das Fluchtunternehmen entdeckt; zum Glück erschweigt der Zornschrei der um ihr Dorf geängstigten Bauern in der Furcht vor den Franzosen, die jetzt Fetan besetzen.

Ein wilder Abend folgt. Ueberall Lichter, Gefluch der Hauptleute, Gestöhn Verwundeter, Hufschlag und Pferdegewieher; im Lehrsaal des Instituts sitzt der geschlagene General am Pult a Portas und die Offiziere, die Befehle holen, gehen ein und aus.

Bei ihm besorgt der Philanthrop einen Paß durch die Wachen von Zernetz.

Jeden Augenblick fürchtet Cilgia, daß die Kunde komme, ein Fetaner habe die That Markus Paltrams verraten – sie werde zu einem Verhör gerufen – es werden Häscher nach den Wandernden ausgeschickt. Doch nichts geschieht!

Um Mitternacht kniet sie in ihrem Kämmerlein. Ueber den Domen des Sesvennagebirges, hinter dem das Tirol liegt, steht die Mondsichel und über dem dunklen Scarlthal zieht die Bergwand entlang ein Nebelchen – ein Nebelchen wie ein Reiter in weißem, fliegendem Mantel. Dort gehen Paltram und der Tiroler! – –

In ihr tiefes Sinnen über alles damals Erlebte klingen jetzt die letzten Worte der Landammannsrede: „Und also, liebe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0587.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)