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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

jetzt sind, welch’ ehrlicher Mann würde es wagen, an eine eheliche Verbindung zu denken? Wie groß muß nicht sein Vermögen sein, bis er es für hinreichend halten darf, die Madame in dem Putz und der Kleiderpracht zu erhalten, welche die Mode eingeführt hat? Nur die Namen der Kleidungsstücke machen schon einen wackeren Hausvater in Gänsehaut ausgehen.“ Unter den geselligen Vergnügungen bevorzugt man den Tanz, an den, wie Goethe sagt, das Ohr, so wie das Auge an das Münster, jeden Tag, jede Stunde, in Straßburg erinnert wird. Goethe mußte ja sogar dieser Richtung Zugeständnisse machen und seine aus dem väterlichen Hause in Frankfurt mitgebrachte Kunst bei einem französischen Tanzmeister vervollkommnen. Neben Picknicks, Kränzchen und Kinderbällen, die durch Subskription unter Freunden und Bekannten veranstaltet werden, vergnügt man sich besonders mit häuslichen Theateraufführungen, zumal in den altväterischen Familien der Besuch des Schauspiels noch strenge verpönt ist, und bei Gesellschaftsspielen, die eine weit größere Verbreitung als heute hatten. Der junge Herzog Carl August verzeichnet während seines Aufenthaltes in Straßburg den ebenso harmlosen als nach heutiger Anschauung unfürstlichen Genuß: „Wir spielten einige Stunden Sprichwörter“. Bei solcher Gelegenheit, und vielleicht ist das die Hauptsache, findet sich auch, was sich liebt, zusammen, zum Aergernis der Sittenrichter, die in den öffentlichen Blättern gegen den „tobenden“ Walzer predigen und die moralischen Nachteile des „Küssens bei Pfänderspielen“ beleuchten. Zu den „Vergnügungen“ der wohlhabenden Bürger zählt bereits die Badereise. – Zwar schleppen sich die alternden Formen des Zunftwesens kraft des historischen Beharrungsvermögens wie eine „ewige Krankheit“ fort, aber die „Zunftstuben“ dienen hauptsächlich nur noch geselligen Zwecken, Theater und Liebhaberkonzerten; in einer verklingt im Jahre 1780 der letzte deutsche Meistersang. Hier auch wird im Kreise der Genossen beim Glase Wein Austausch der Meinung gepflogen, gemäß der „Neigung reichsstädtischer Bürger zu tadelnder Beurtheilung der Obrigkeit“, wie sie Goethe in dem klassischen: „Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!“ so köstlich persifliert hat.

Aller Fortschritt hindert aber nicht, daß sich noch mancher Aberglaube, selbst im Schoße eines ehrenfesten Magistrates, erhält. Abergläubische Furcht in weiten Kreisen erregt die Vorhersagung eines Superintendenten über drohende Erderschütterungen, Während die vornehme Gesellschaft Mesmer mit seinen magnetischen Kuren und die „dritte Welt“ beschäftigen. Doch spukt nicht in unseren spiritistischen Tagen, bloß unter neuem Namen, der nämliche Irrgeist wie in der „guten alten Zeit“?



Blätter und Blüten.

Graf Münster, Fürst von Derneburg. Der vielbewährte deutsche Botschafter in Paris, Graf Georg zu Münster, welcher das Deutsche Reich auf dem Friedenskongreß im Haag in hervorragender Stellung vertrat, ist vom Kaiser in den Fürstenstand, mit dem Titel eines Fürsten von Derneburg, erhoben worden. Seit mehr als zwanzig Jahren hat Graf Münster seine staatsmännische Begabung im Dienst des Deutschen

Graf Münster,
Fürst von Derneburg.

Reiches entfaltet, und schon vorher ragte er unter seinen hannoverschen Standesgenossen durch seine echt deutsche Gesinnnng hervor. Als Sohn des großbritannischen und hannoverschen Staatsministers Grafen Ernst zu Münster kam er am 23. Dezember 1820 in London zur Welt. In Bonn, Heidelberg und Göttingen studierte er die Rechte und Staatswissenschaften. 1856 bis 1864 war er hannoverscher Gesandter in Petersburg, 1867 bis 1873 vertrat er den Wahlkreis Goslar im Reichstag, wo er der Deutschen Reichspartei angehörte. 1873 wurde er Botschafter des Deutschen Reiches in London und zwölf Jahre später folgte er dem Fürsten Hohenlohe auf dem gleichen Posten in der französischen Hauptstadt. In der kritischen Zeit zwischen 1866 und 1870 hat er seine politischen Anschauungen in verschiedenen, von patriotischem Geist erfüllten Schriften zum Ausdruck gebracht. Graf Münster bat es sowohl in London als auch in Paris vortrefflich verstanden, die kraftvolle Friedenspolitik des Deutschen Reichs mit diplomatischem Geschick zu vertreten. Der neue Fürstentitel weist auf den Familiensitz Schloß und Gut Derneburg hin.

Hermann Rollett. In Innsbruck haben die Tiroler kürzlich den 80jährigen Dichter Adolf Pichler gefeiert. In Baden bei Wien beging am 20. August ein anderer deutsch-österreichischer Poet – Dr. Hermann Rollett – gleichfalls seinen 80. Geburtstag. Der wackere Mann hat sich um seine Vaterstadt so verdient gemacht, daß er schon vor geraumer Zeit zum Ehrenbürger von Baden gewählt wurde. In voller geistiger Regsamkeit waltet er bis zur Stünde ebenda als Vorstand des städtischen „Rollett-Museums“, das sein Vater, ein namhafter Badener Arzt, gegründet hat, und des Archives, das er selber ins Leben gerufen. Seine Schicksale, die nun so ruhig verfließen, begannen mit stürmischen Jugendtagen. 1842 widmete er als Student der Wiener Universität Justinus Kerner seine dichterischen Erstlinge: „Liederkränze“.

Hermann Rollett.

Der jugendliche Freiheitssänger gab seinen Gesinnungen auch publizistisch Ausdruck. Der drohenden Verfolgung zu entgehen, zog er 1845 nach Jena. Dort veröffentlichte er seine „Frühlingsboten aus Oesterreich“. Der Bundestag maßregelte ihn, und schon drohte ihm die Zwangsabschiebung nach Oesterreich, da glückte ihm die Flucht in die Schweiz, wo er seine „Heldenbilder und Sagen“ vollendete. 1854 kehrte er nach Oesterreich zurück, noch immer angefeindet von den Behörden, bis er endlich in seiner Vaterstadt als Archivar eine behagliche Zuflucht fand. Neben neuen lyrischen und dramatischen Gaben beschied er der Leserwelt auch ein schon durch die Wahl des Stoffes bedeutsames Werk „Die Goethe-Bildnisse“. Die deutschen Siege des Jahres Siebzig haben Rollett mit hoher Freude erfüllt; das geeinigte Reich war die Verwirklichung seiner Jugendsehnsucht.

Karl Gille †.
Nach einer Aufnahme von Friedr. Haack,
Hofphotograph in Jena.

Ein Veteran aus der Goethezeit. In Ilmenau ist am 6. August der Geheime Hof- und Justizrat Dr. Karl Gille gestorben, einer der Letzten von denen, die Goethe noch persönlich gekannt hatten und ihn bis in unsere Zeit überlebten. Gille war der Sohn eines weimarischen Staatsbeamten, der mit Goethes einzigem Sohn August in Freundschaft verbunden war. Durch diese Beziehung kam er als Knabe öfter in Goethes Haus und hatte sich dabei mancher freundlichen Ansprache von seiten des greisen Dichterfürsten zu erfreuen. Als Primaner gehörte er zu denen, die nach Goethes Tod die Ehrenwache an seiner Bahre übernahmen und der feierlichen Beisetzung in der Fürstengruft beiwohnten. Gille, der am 8. Oktober 1813 geboren war, ließ sich nach Abschluß seines juristischen Studiums dauernd in Jena nieder. Hier hat er sich um das Musikleben ganz besonders verdient gemacht.

Als Weimar durch Liszts Einfluß zum Mittelpunkt der Bestrebungen wurde, welche auf die Förderung Richard Wagners ausgingen, schloß er sich begeistert diesen Bestrebungen an. Nach Liszts Tode wirkte er für die Errichtung des Liszt-Museums in Weimar, dessen Einrichtung und Verwaltung er übernahm.

Vorbei! (Zu dem Bilde S. 589.) Das Ende vom Liede, wie es Tausende schon erlebt haben: Thränen und stummes Zurückerinnern an vergangene, selige Zeit! … In einer stillen Stunde hat die Verlassene alles hervorgeholt, was sie noch an Erinnerungen besitzt: Briefe, vertrocknete Blumen, beschriebene Blätter: sie war entschlossen, heute ein Ende zu machen mit dem fruchtlosen Trauern und Sehnen, sie wollte alles verbrennen, was an den Ungetreuen mahnt. Zwei, drei Briefe liegen bereits zerrissen am Boden, da ergreifen ihre Finger ein kleines Futteral, und ein Bild fällt ihr entgegen … Sie betrachtet es, bis Thränen den Blick verdunkeln, und schiebt es wieder ins Behältnis zurück. Nein – das kann sie nicht verbrennen! … Minuten vergehen und werden zu Viertelstunden, sie sitzt stumm in Gedanken und Erinnerung verloren, wie so oft, so oft schon vorher. Im tiefsten Herzen fühlt sie es: Liebe läßt sich nicht ausreißen! Und doch – ein so junges Menschenkind! Wer weiß, wie lange noch und es wird überwunden haben und neuem Glücke das Herz öffnen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0610.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)