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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Rad vor jedem Unfall zu bewahren. Denn nicht nur Wagen und Pferde werden ihm gefährlich, sondern auch eine Dampfstraßenbahn, von der ein Zug gerade qualmend die Brücke befährt, fordert aufmerksame Beachtung. Alles in allem aber bietet dies bunte Durcheinander ein Bild echt weltstädtischen Lebens von eigenartigem Reiz.

Das alte Rathaus in Dortmund nach seiner Erneuerung. (Mit Abbildung.) Das alte Rathaus zu Dortmund, in dessen neuhergerichtetem Saal der Kaiser gelegentlich der Einweihung des Dortmund-Ems-Kanals von Oberbürgermeister Schmieding feierlich begrüßt wurde, ist ein hervorragendes Wahrzeichen der Stadt aus den stolzen Tagen der Hansa. Doch der Verfall der Stadt, der nun längst wieder überwunden ist, hatte auch dem stolzen Gebäude übel mitgespielt, stilwidrige Anbauten und Zuthaten hatten viel von seinem ursprünglichen Charakter verwischt, ohne ihn freilich ganz zerstören zu können (vergleiche Bild und Text im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“, S. 418). Die Wiederherstellung des Rathauses in „alter Pracht und Herrlichkeit“, welche nach den Plänen des Stadtbauinspektors Kullrich seit dem März vorigen Jahres durchgeführt wurde und nunmehr vollendet ist, darf als Wahrzeichen der neuen Blüte gelten, welche die einstige Hansastadt in unseren Tagen erlebt. Wie einst im Mittelalter schmückt auch jetzt wieder den Giebel das Standbild Karls des Großen, des Begründers der Stadt nach der Sage. Die Sandsteinfronten mit ihren Bogen, Thüren, Fenstern und Nischen sind ergänzt und erneuert. Gleiche Auffrischung hat der aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Anbau, das „Brothaus“ erfahren. Im Mittelalter diente dies Bauwerk der Bäckergilde, während das Erdgeschoß des Rathauses eine große Verkaufshalle für die Tuchhändler- und Gewandschneidergilde bildete. Auf der Giebelseite des Brothauses befindet sich neuhergestellt ein großes Relief mit der Ratswage, auf der ein Kaufmann Tuchballen wägen läßt, und einem Bäckerstand. Unter dem Relief ist das alte Sprichwort:

„wäge recht und gleich
so wirst du selig und reich“

eingemeißelt worden. Wie das Aeußere des alten Rathauses, so wurde auch das Innere von Grund aus erneuert unter Benutzung der noch erhaltenen mancherlei Altertümlichkeiten. Der große Saal ist von einer prächtigen Holzdecke hoch überwölbt und reich mit bildnerischem Schmuck geziert. Das Erdgeschoß darunter soll die Kunstschätze des Dortmunder Museums aufnehmen. Auch der Ratskeller hat eine altertümlich reizvolle Ausstattung erhalten.

Das alte Rathaus in Dortmund nach seiner Erneuerung.
Nach einer photographischen Aufnahme von E. Overhoff in Dortmund.

Das Lichterfest der Hindufrauen. Die Frauen und Mädchen der Hindu feiern ein sehr poetisches Fest; freilich verdankt es seinen Ursprung einem Aberglauben, der aber hier anmutende Blüten treibt. An einem Tage im Jahre, wenn sich die Sonne zum Untergange neigt, eilt die weibliche Welt, und zwar oft aus weiter Ferne, mit kleinen aus Holz geschnitzten Kähnen zum Ganges. Dann sieht man, so weit das Auge reicht, Tausende von weißen Gestalten am Flußufer, die ihre Kähnlein, auf denen sich eine brennende Lampe befindet, in den Strom setzen. Jede verfolgt mit ängstlicher Spannung das von den Wellen geschaukelte Schiffchen mit seinem Hoffnungslichte, an dessen Erhaltung sich ein Wunsch knüpft.

Bleibt das Licht so lange sichtbar, als das Auge das Schiffchen zu verfolgen vermag, dann wird der Wunsch erfüllt, den man dem Orakel der Fluten anvertraute. Erlischt das Licht aber früher, so ist auch die gehegte Hoffnung untergegangen. Der Sehkraft und Beobachtungsgabe der Hindostanerinnen, welche offenbar durch die fieberhafte Spannung geschärft wird, macht es aber alle Ehre, daß jede von ihnen ihr Schifflein und ihr Lämplein zu unterscheiden vermag, obschon Tausende derselben von den Wogen des heiligen Stromes geschaukelt werden. Und diesem Bericht zuverlässiger Zeugen muß man Glauben schenken, weil ja sonst das ganze Orakel keinen Wert hätte.

Botticellis Madonna aus der Sammlung Chigi. (Zu unserer Kunstbeilage.) Das Madonnenbild von Sandro Botticelli, welches unsere Kunstbeilage wiedergiebt, hat kürzlich in eigentümlicher Weise von sich reden gemacht. Fürst Mario Chigi in Rom, Abkömmling jenes kunstsinnigen Agostino Chigi, der als Bankier des Papstes Julius II zu großem Reichtum gelangte und herrliche Kunstschätze erwarb, hat das ihm gehörige kostbare Bild aus seiner Galerie zum Preise von 315000 Lire in das Ausland verkauft.

Nach dem seit 1877 bestehenden Gesetz ist aber den Besitzern der unschätzbaren Privatgalerien Roms ein solcher Verkauf ohne Genehmigung der Staatsbehörde untersagt. Der Staat hat sich das Vorkaufsrecht gesichert und die Ausfuhr von Kunstwerken aus Rom hat unter staatlicher Kontrolle zu erfolgen. Fürst Chigi, dessen Vermögensumstände keine günstigen sind, suchte das Gesetz zu umgehen, indem er sich beim Verkaufe ausbedang, daß der Käufer das Bild in Italien belasse. Nach erfolgtem Verkauf ist der letztere jedoch samt dem Bilde aus Rom verschwunden.

Die Madonna Botticellis aus der Sammlung Chigi gehört zu den schönsten, welche der Florentiner Maler geschaffen hat. Sie besitzt in hohem Grade die Lieblichkeit und den Zauber keuscher Auffassung, welche Jakob Burckhardt den Werken dieses Vorläufers von Raffael nachgerühmt hat, der aus Fra Filippo Lippis Schule hervorging.



[ Verlagswerbung für den Gartenlaube-Kalender 1900. Hierher nicht übertragen]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0644.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2023)