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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

württembergische Staat den ganzen Platz um 3600 fl. an die Stadt, aber bei den damaligen ärmlichen Verhältnissen wußte diese nichts anderes zu thun, als ihn parzellenweise wieder an die einzelnen Bürger zu verpachten, so daß derselbe jetzt größtenteils mit regellos angelegten Nutzgärten bedeckt ist. Auch hat man zu Ende des vorigen Jahrhunderts auf die unpassendste Weise ein Staatsgebäude, die Oberamtei, quer hineingesetzt.

Die Schicksale der Stadt haben in der Folgezeit wenig zu dem freudigen Namen gestimmt, den der Gründer ihr gegeben hat. So schlimm wie irgend eine der schwäbischen Städte ist Freudenstadt im Lauf der Kriegszeiten des 17. und 18. Jahrhunderts nacheinander von Schweden, Kroaten und Franzosen mitgenommen worden. Besonders greulich haben die verschiedenen Kriegsvölker des Dreißigjährigen Kriegs gehaust, so daß die schön aufblühende Stadt auf 200 Einwohner zurücksank. Der obenerwähnte Stadtpfarrer Stöffler – und das ist historisch – weigerte sich 1639, den französischen und weimarischen Plünderern das Behältnis der Kirchengefäße zu entdecken; sie wollten ihn aufhängen, aber ein Kapuziner bat ihn los. Seitdem wurde bis in unser Jahrhundert jeder durchreisende Bettelmönch freigehalten.

Doch verweilen wir nicht länger bei diesen trüben Bildern der Vergangenheit, sondern werfen wir nun auch noch einen Blick auf das heutige Freudenstadt, das für Einheimische und Fremde wieder eine wirkliche Stadt der Freuden geworden ist. Auch das heutige Freudenstadt darf sich eines Kuriosums rühmen, um das seine Bürger viel beneidet werden: nicht nur daß die Stadt von ihnen keine Steuern erhebt; sie zahlt ihnen sogar aus dem Ertrag ihres großen Waldbesitzes (7000 Morgen, 1833 vom Staat gegen Ablösung der alten Holzgerechtigkeiten abgetreten) alljährlich noch eine Gabe in Natura oder Geld heraus.

Der Herzog Friedrichsturm.

Freudenstadt ist aber heute vor allem eine Stadt der Fremden, einer der besuchtesten Luftkurorte. Von Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg bequem mit der Bahn zu erreichen, sieht es von Jahr zu Jahr mehr Sommerfrischler und neuerdings auch Winterfrischler bei sich. Neue Stadtteile, Vorstädte, Villenviertel, eine große Anzahl Gasthöfe, Pensionen etc. sind in den letzten zwei Jahrzehnten erstanden. Schon hat man auch angefangen, den „Marktplatz“ für den Kurort modern umzugestalten, und wenn den Freudenstädtern die Neigung der Sommerfrischler treu bleibt, woran bei der ausgezeichneten Wald- und Höhenluft nicht zu zweifeln ist, so können sie mit Hilfe erfinderischer und geschmackvoller Leute mit der Zeit etwas daraus machen, was vielleicht noch eine Weltberühmtheit heißen wird.

Manches wäre über die Umgebung Freudenstadts zu sagen. Als Höhenluftkurort (740 m über dem Meer) nimmt es wegen des fast unermeßlichen Waldgebirges, in dem es gelegen ist, eine der ersten Stellen in Süddeutschland ein. Berühmt sind die in seiner Nähe gelegenen Bäder Rippoldsau, Griesbach, Petersthal etc., ein herrlicher Ausflug ist die Kniebistour, sowie der Besuch des mehrerwähnten Klosters Alpirsbach, des echten Schwarzwalddorfes Baiersbronn, von Klosterreichenbach, den Sankenbachwasserfällen etc., worüber der reich illustrierte Spezialführer für den „Höhenluftkurort Freudenstadt“ vom Stadtschultheiß Hartranft die zuverlässigste Auskunft giebt.

Zu ihrem Jubiläumsfeste hatte die Stadt große Vorbereitungen getroffen: am Montag den 25. September Festgottesdienst in der neu restaurierten Kirche, nachmittags Einweihung des „Herzog Friedrichsturms“, abends ein Bankett mit lebenden Bildern; am 26. September, als dem Haupttag, zu welchem auch König Wilhelm II erschienen war, ein historischer Festzug mit 1100 Teilnehmern, 30 Wagen und nicht weniger als 220 Reitern und Reiterinnen, abends „italienische Nacht“ auf dem Marktplatze. Der letzte Tag, der 27., hat ein Frühkonzert, ein Kinderfest und einen Festball auf dem Programm.


Vincenz Prießnitz.

Zur Wiederkehr seines hundertsten Geburtstags.

Bei den alten Griechen und Römern wurde das kalte Wasser bereits von Aerzten als Heilmittel für gewisse Krankheiten empfohlen. Das Mittelalter brachte wie auf vielen anderen Gebieten des Wissens auch in der Medizin einen Rückschritt. Das einfache kalte Wasser wurde als Heilmittel gering geschätzt; nur Quacksalber wandten es von Zeit zu Zeit an gegen Wunden und Geschwüre, aber sie verbanden ihre Wasserkuren mit allerlei geheimnisvollen Zeichen, die auf die abergläubischen Gemüter ihre Wirkung nicht verfehlten. Vergebens versuchten aufgeklärte Aerzte den wahren Sachverhalt aufzudecken.

Mit den Fortschritten der Aufklärung wurde es aber auch auf diesem Gebiete lichter. In Deutschland, England und Frankreich traten einzelne Aerzte auf, die Wasserkuren versuchten und für die „neue“ Heilmethode in Büchern und Zeitschriften eintraten. Es gab schon gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts eine Litteratur der Wasserheilkunde; aber weder der deutsche Arzt Hahn, noch der Engländer Floger konnten erfolgreich durchdringen. Sie bereiteten nur den Boden vor für das Auftreten eines schlichten Mannes aus dem Volke, dem es beschieden bleiben sollte, dem kalten Wasser den Ruf als Heilmittel ersten Ranges für alle Zeiten zu sichern.

Vor hundert Jahren standen auf dem Gräfenberge bei Freiwaldau in Oesterreichisch-Schlesien nur einige einfache Bauernhäuser. In einem derselben erblickte der Begründer der Kaltwasserkur oder Hydrotherapie, Vincenz Prießnitz, am 4. Oktober 1799 das Licht der Welt. Sein älterer Bruder wandte sich dem Studium der Theologie zu, aber der junge Vincenz mußte dem augenleidenden Vater in der Landwirtschaft helfen. Darüber wurde der Schulunterricht vernachlässigt: Lesen und Rechnen hat Vincenz wohl gelernt, aber im Schreiben blieb er sehr zurück. Bücherweisheit blieb ihm für die erste Zeit seines Lebens völlig verschlossen; das große Buch der Natur lag jedoch offen vor des Jünglings Augen und in ihm verstand Vincenz Prießnitz zu lesen.

An viele Wild- und Mineralbäder knüpft sich die Sage, daß Tiere die Menschen auf deren Heilkraft hingewiesen haben. Aehnliches wird auch von Prießnitz erzählt. In den Waldungen, in welchen der Knabe die väterlichen Kühe hütete, sprudelte eine frische Quelle. Die „Prießnitzquelle“ hieß sie im Volksmunde, da an ihr im siebzehnten Jahrhundert die Schweden einen Prießnitz erschlagen haben sollen. Der Knabe sah nun einmal, daß ein angeschossenes Reh an jene Quelle kam und sich in dem Moostümpel daneben die Wunde auswusch und daß es wiederkehrte, bis die Heilung erfolgte. Seit jener Zeit soll Prießnitz das kalte Quellwasser für ein Heilmittel gehalten haben. Fünfzehn Jahre alt, konnte er es an sich selbst erproben. Beim Transport schwerer Holzklötze zerquetschte er sich einen Finger; er tauchte ihn in kaltes Wasser und kurierte ihn vollends durch kalte Umschläge. Nun wuchs sein Vertrauen. Knechten und Mägden in Gräfenberg empfahl er bei Verletzungen das kalte Wasser und wandte es auch bei krankem Vieh an. Im Jahre 1816 erlitt er einen schweren Unfall. Das Pferd vor seinem Wagen scheute und ging durch. Prießnitz wurde überfahren; das Rad brach ihm einige Rippen. Ein Arzt wurde herbeigerufen, als aber seine Behandlung nicht anschlug, sann Prießnitz auf Selbsthilfe. Durch Pressen des Brustkorbs an eine Stuhlkante brachte er die gebrochenen Rippen in geordnete Lage und machte kalte Umschläge, indem er sich mit einem ins Wasser getauchten Linnen umgürtete. Er genas, aber die inneren Schäden, die er dabei davontrug, sollten später den Grund seines frühzeitigen Todes bilden.

Seit jener Heilung empfahl Prießnitz allen Freunden und Bekannten bei äußeren Verletzungen die Anwendung des kalten Wassers; seine Ratschläge halfen, und er wurde bald in der nächsten Umgebung bekannt. Die Leute kamen zu ihm und ließen sich von ihm behandeln. Die Verhältnisse trugen ihn; ohne daß er es beabsichtigt hatte, wurde er ein gesuchter Wasserdoktor, und mit der zunehmenden Praxis wuchs auch seine Erfahrung. Zunächst verordnete er den Kranken Ganzwaschungen, Umschläge und Wassertrinken.

Prießnitz verlangte für seine Bemühungen keine Belohnung; aber es konnte nicht ausbleiben, daß Leute, denen er geholfen hatte, sich auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0655.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2023)