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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

auch im Hause des Bürgermeisters nächtlicherweile besucht. Auch habe er ihr gezeigt, wie sie es zu machen habe, wenn sie zur Kurzweil Männer in sich verliebt machen wolle. Dies Mittel, das im Sprechen eines „Hexenspruches“ bestanden, habe sie auch bei dem Herrn Gerichtsdiener angewandt.

Nachdem man dies wahnsinnige Bekenntnis dem unschuldigen Mädchen abgefoltert hatte, wurde das Urteil gesprochen, das wie gewöhnlich lautete: die Hexe sei, in ein härenes Bußgewand gekleidet, zu verbrennen.

Und so geschah es: am 31. Juli 1661 wurde die achtzehnjährige Grete Feindt aus Lohbergen vor dem Steinthor zu Hamburg als Hexe verbrannt. – Sie war dort das letzte Opfer des Hexenprozeßwahns.

Die „handschriftlichen Aufzeichnungen“ bleiben uns eine Aufklärung über die schauerliche Affaire nicht schuldig. Sie sind so einfach, wie natürlich.

Die schöne Grete hatte in ihres Großvaters Waldhause die Bekanntschaft eines jungen hannoverschen Reiteroffiziers gemacht, der in der Stadt Celle eine zeitlang einquartiert gewesen und den Namen Gerhard von Rehden trug oder solchen angegeben hatte. Ob der junge Offizier es ehrlich mit dem schönen, unschuldigen Waldkinde gemeint hat, davon wird nichts weiter berichtet.

Das unerfahrene Mädchen mochte mit ihm wohl hinter dem Rücken des alten Forstwächters auch nächtlicherweile am „Teufelsstein“ zusammengetroffen sein; die Liebe kennt ja keine Furcht, und ein Jägerkind erst recht nicht. Der Großvater mochte dann hinter die Liebschaft gekommen sein, und da der alte Mann wohl mit Recht ein böses Ende fürchtete, entfernte er seine Enkelin und brachte sie in Hamburg im Hause des Bürgermeisters Berthold Moller unter.

Geraume Zeit nach der Verbrennung der schönen unglücklichen Grete wurde es dann auch in der Gegend von Seppensee und Lohbergen kund, daß die Enkelin des Waldwächters Feindt eine Hexe gewesen und zu Hamburg verbrannt worden wäre. Auch daß der Teufel mit ihr in Gestalt eines jungen Reiteroffiziers Umgang gepflogen, blieb nicht geheim, und der Runenstein erhielt neben dem Namen „Teufelsstein“ nun den „der Hexenstein“. –

Seinen dritten Namen, „Blutstein“, trägt er von einer grausen Begebenheit, die sich dort im Waldesdickicht einst abspielte.

Im Dorfe Seppensee liebte des Vogts einzige Tochter, die blonde, blauäugige Lene, den jungen, hübschen Jäger im Forsthause der Herrschaft Lohbergen, und jedermann glaubte, daß, wenn der alte Förster, ein hoher Siebziger, die Augen schlösse, dann der junge Jäger Marten zum Förster ernannt und die beiden Liebenden ein glückliches Ehepaar werden würden.

Endlich starb der alte Förster, von Lüneburg her aber wurde ein neuer Förster für Lohbergen ernannt: ein heruntergekommener Mensch, der jedoch von Adel war, hohe Fürsprache besaß, auch als vortrefflicher Schütze galt und für alles, was er nicht wußte, an Marten einen ausgezeichnet tüchtigen Gehilfen hatte.

Der Förster sah bald die blonde Lene, verliebte sich in sie und gewann die Gunst ihres Vaters, der gerne mit seinem schönen Kinde hoch hinaus wollte. Als er um Lenes Hand anhielt, da gab der Alte seine Einwilligung, und aller Bitten und allen Jammerns ungeachtet, mußte die Tochter des neuen Försters Weib werden.

Das würde nimmer gut thun, sagten da die Leute, das könne nur Unglück bringen. Und sie behielten recht. Die Ehe wurde höchst unglücklich; schon nach kurzer Zeit mißhandelte der rohe Mensch sein Weib, sobald er angetrunken war, und wenn die arme Frau den Marten nicht zur Seite gehabt hätte, so wäre sie schier verzweifelt und würde sich selber ein Leids angethan haben.

Der Jäger Marten war ein rechtschaffener, ehrlich denkender Mensch. Anfangs hatte er davongehen und in die weite Welt hinauswandern wollen, aber die Lene hatte ihn beschworen, zu bleiben, und er blieb, um sie zu beschützen.

So war das frühere Liebespaar miteinander unter einem Dache. Das Forsthaus lag einsam, tief im Wald versteckt. Durch den Wald führte der Hauptweg, welcher die Ortschaften miteinander verband; Forsthaus und Wald waren verschwiegen und verrieten nichts von den Vorgängen, deren Zeugen sie vielleicht waren. Aber Menschenaugen spähen und werden zu Verrätern, und so hatte denn auch der Hundejunge, den der neue Förster sich von Lüneburg her mitgebracht hatte, gemerkt, daß die Frau Försterin mit dem Marten tief im Walddickicht, abseits von der Fahrstraße, nahe bei dem „Hexenstein“ Zusammenkünfte hielt. Und was der listige Junge erlauscht hatte, das berichtete er getreulich seinem Herrn.

Tags darauf gab der Förster vor, nach Lüneburg reiten zu müssen. Als er aber eine kurze Strecke geritten war, trat der von ihm dorthin bestellte Hundejunge aus dem Walddickicht hervor, diesem übergab der Förster sein Pferd und ging dann selber auf einem Umweg nach dem „Hexenstein“. Bewaffnet mit einer Jagdflinte, erstieg er vom Waldweg aus den Hügel und kauerte sich hier, wohlversteckt, im Gebüsch nieder. Er vermochte von hier aus in den Wald nach dem Platze zu lugen, wo sein ungetreues Weib ihr Stelldichein abhalten sollte.

Er brauchte nicht lange zu warten, da tauchte das Paar, Arm in Arm gehend, wie zwei Liebende, aus dem Walddunkel hervor und setzte sich an einer lichteren Stelle auf eine von der Natur gebildete Rasenbank nieder. Die Gesichter des Paares waren dem Spähenden zugekehrt. Der Förster sah, wie der Jäger dem ungetreuen Weibe über das blonde Wellenhaar strich, wie sie ihn mit ihren schönen blauen Augen, die gar seltsam glänzten, liebend und schmachtend anblickte. Und der Förster erhob das todbringende Rohr, er legte den Lauf auf den „Hexenstein“ – der Hahn des Gewehrs knackte.

Im selben Augenblick war des Jägers scharfes Auge – war’s Zufall, war’s Geschick? – auf den „Hexenstein“ gerichtet. Er erkannte den Kopf des Försters, erkannte zugleich die Gefahr – sah die kleine Mündung des auf ihn gerichteten Gewehres. Ein Moment, und auch seine Flinte war, indem er aufsprang, in Anschlag gebracht. Zwei Schüsse krachten zur gleichen Sekunde durch die Stille des herrlichen Sommermorgens.

Der Jäger Marten griff nach seiner Brust und fiel vornüber zur Erde nieder – der Förster sank mit dem Haupte auf den „Hexenstein“, und ein Blutstrahl, der aus der zerschmetterten Stirn des Mannes floß, färbte die Platte des Steins purpurrot. Das Fürchterliche war geschehen. Die Männer hatten sich gegenseitig gut getroffen, zwei blutige Leichen lagen da.

Die Erschossenen wurden noch am selben Tage gefunden; die Försterin, des Vogts von Seppensee schöne Tochter, war verschwunden. Erst zwei Wochen später entdeckte man am Ufer des damals noch vorhandenen Waldweihers im Schilfe den Leichnam einer Ertrunkenen; es war die unglückliche junge Frau des Försters.

Diese düstere Schauergeschichte am Hexenstein mag sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ereignet haben.

Scheu und ängstlich schlichen die Menschen an dem Hügel, auf welchem der Stein, von Moos und Schlingkraut fast verdeckt, lag, vorüber, ein stilles Gebet sprechend.


Die Röntgenstrahlen im Dienste der Medizin und Chirurgie.

Von Dr. J. H. Baas.

Das erste in der ärztlichen Wissenschaft und Kunst ist: die Krankheiten zu erkennen; das zweite: sie zu heilen, soweit das überhaupt die engen Grenzen menschlichen Könnens gestatten. Das Erkennen der Krankheiten aber beruht zunächst auf der Feststellung der Krankheitserscheinungen mittels unserer Sinne, deren Ergebnisse dann durch Nachdenken an der Hand der Erfahrung zum jeweilig sich ergebenden Krankheitsbilde verbunden werden. In der Regel spielen bei diesen Feststellungen der Diagnostik Geruch und Geschmack eine untergeordnete Rolle, eine wichtigere und ausgedehntere schon der Tastsinn, diagnostische Hauptsinne aber sind das Gehör und das Gesicht. Doch selbst der letztgenannte und höchste Sinn hat seine gemeinsamen Schranken und Mängel, die in einem bekannten Laienwort zum Ausdruck kommen: „Ja, wenn der Körper durchsichtig wäre wie Glas, oder wenn er doch wenigstens Thürchen hätte, durch die man ins Innere desselben hineinsehen könnte!“ – dann würden, will

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0660.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)