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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Voran ging eine fast hundertjährige Bauzeit mit allmählichem Wachstum und vielfachen Veränderungen, und es folgten drei Jahrhunderte des erst langsamen, dann rapiden Verfalls. Auch die Wiederherstellung im letzten Säkulum hat ihre interessante Baugeschichte.

Das Mittelschloß: Rechter Giebel der Nordseite.

Nachdem der zweite Aufstand der heidnischen Preußen blutig niedergeschlagen war, wurde von dem Landmeister des deutschen Ordens Konrad von Thierberg um 1276 bis 1280 zur besseren Sicherung des Landes auf dem hier etwa 70 Fuß hohen rechten Nogatufer eine Feste erbaut, welche nach der Schutzpatronin des Ordens den Namen Marienburg erhielt. Dieses „Hus“ bestand aus einem fast quadratischen Viereck (außen 190:160 Fuß) von festen Gebäuden, von denen die zwei ungefähr nach Norden und Süden gelegenen die Giebel gegen den Fluß richteten, die beiden anderen zwischeneingebaut waren. Sie umgaben einen Hof, 102 Fuß lang und 85 Fuß breit, auf welchem ein gemauerter Brunnen stand. Arkaden in zwei Stockwerken liefen innen rundum und vermittelten den Zugang zu den verschiedenen Gemächern. An der Südwestspitze trat, schräge gestellt, ein starkes mit einem viereckigen Turm über dem schnellfließenden Mühlgraben abschließendes Gemäuer vor, der als Latrine benutzte „Herren-Dansk“. Nördlich schloß sich eine Vorburg an, südlich die Stadt, ebenfalls durch betürmte Mauern und Gräben befestigt. Die Weichsel- und Nogatdämme, durch welche 30 Quadratmeilen fruchtbares Land gewonnen wurden, entstanden erst in den Jahren 1288 bis 1294 unter Meinhart von Querfurt.

Als dann 1309 der Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen den Regierungssitz von Venedig nach der Marienburg verlegte, ergab sich die Notwendigkeit einer Erweiterung der ursprünglich nur für einen Konvent von zwölf Rittern bestimmten Baulichkeiten von selbst. Es wurde deshalb die Vorburg weiter nach Norden vorgeschoben, und zwischen das obere Haus und sie ein „mittleres“ Haus, bestehend aus einem gegen das erstere offenen und von ihm nur durch einen tiefen Graben getrennten Viereck von Gebäuden, eingelegt, diesem darauf auch gegen die Nogat hin ein palastartiger Bau zur Hochmeisterwohnung vorgebaut. Zugleich wurde das obere Haus teilweise erhöht, mit Türmchen an den Giebeln und einem über 150 Fuß hohen Glockenturm in der Ecke neben der Schloßkirche geschmückt und diese selbst durch einen Vorbau über den Parchan (Rundgang außerhalb der Schloßmauer) hin über der St. Annenkapelle und der Hochmeistergruft erweitert, im Inneren der Zugang zur Kirche durch Einfügung der „Goldenen Pforte“ würdiger gestaltet. Diese Neubauten mochten in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollendet sein. Winrich von Kniprode endlich krönte das Werk dadurch, daß er das bis dahin aus bemaltem Stuck bestehende, 26 Fuß hohe Muttergottesbild in der äußeren Nische des polygonen Abschlusses der Annenkapelle und Schloßkirche mit farbigem Mosaik überziehen ließ.

So stand die Burg, ein Wunder gotischer Architektur im Ziegelbau und mittelalterlicher Befestigungskunst, als Heinrich von Plauen, ihr heldenmütiger Retter, sie gegen den wilden Ansturm von 60000 Polen unter König Jagello siegreich verteidigte. Damals soll der Büchsenmeister, der sein Geschütz auf das Marienbild richtete, auf der Stelle erblindet sein, damals auch eine noch heute in der Wand steckende Steinkugel die einzige Säule, auf welcher das Gewölbe des Sommerremters ruht und auf deren Zertrümmerung bei einer Versammlung der Ritter es abgesehen war, nur um ein geringes gefehlt haben. So stand die Burg auch, als 1457 Ludwig von Erlichshausen, der letzte Hochmeister, welcher sie bewohnte, mit Schmach bedeckt und blutige Thränen weinend, mit den letzten Rittern auszog, nachdem das Land vom Orden abgefallen war und die nicht bezahlten böhmischen Söldner ihren Pfandbesitz an den Polenkönig und die Städte Thorn und Danzig verkauft hatten.[1]

  Der Pfaffenturm.
Die Schloßkirche.

Es folgten dreihundert Jahre polnischer Herrschaft. Mährend derselben verlor die Marienburg als Festung gänzlich ihre Bedeutung; die Werke nach den Regeln der neueren Befestigungskunst umzugestalten, fehlte es an Geld und gutem Willen. Nur die „großen Städte“, Danzig, Thorn, Elbing, deren Handelsvorteil der Anschluß an Polen begünstigte, nahmen einen Aufschwung und behaupteten längere Zeit eine gewisse Unabhängigkeit; der „Adel“ polonisierte sich mehr und mehr, die „kleinen Städte“, zu welchen auch Marienburg gehörte, gerieten rasch in den traurigsten Verfall; das „Land Preußen“, anfangs staatsrechtlich nur in Personalunion mit Polen, verkümmerte bald als polnische Provinz. Der Hochmeisterpalast wurde für den Besuch der Könige notdürftig instand gehalten; für die übrzgen Teile des Schlosses geschah nichts, wenn auch absichtliche Beschädigungen unterblieben. In längeren Zeiträumen gab es amtliche Revisionen, deren erhaltene „Lustrationen“ (Beschreibungen) den jedesmaligen Zustand erkennen lassen. Danach hatte die Marienburg bis 1565 freilich keine erhebliche Veränderung erlitten; schon 1649 aber fanden sich die Mauern verfallen, die Gräben verschüttet,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0672.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)
  1. In des Verfassers Romanen „Heinrich von Planen“ und „Tileman vom Wege“ sind diese Begebenheiten umständlich geschildert.