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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

im Hochschloß Süd- und Ostflügel ohne Bedachung, ein Giebel eingestürzt, Gewölbe eingeschlagen, ein Teil des Turmes mit Glocken und Uhr vernichtet, der Brunnen unbrauchbar gemacht, das Gewölbe der Kirche rissig, nur das Mittelschloß noch ziemlich erhalten und bewohnt; 1724 war nur noch eine Ruine sichtbar.

Das Hochschloß von Nordwest.

Die Schweden hausten 1626 und nochmals 1655 bis 1660 im Schlosse arg und zerstörten Teile der Befestigung durch Minen. Schatzgräber trieben ihr Unwesen. Den Hauptschaden aber verursachte ein Brand im „rechten“ Schlosse 1644, hervorgerufen durch Unvorsichtigkeit. Als nämlich zur Feier des Fronleichnamsfestes im Wehrgang die Kanonen gelöst wurden und unten in der Stadt eine Prügelei entstand, warfen der Büchsenmeister und seine Gesellen die brennenden Lunten fort und liefen neugierig hinab. Das Holzwerk entzündete sich, und bald stand das ganze Dach in Flammen, beim Zusammenbrechen die oberen Gewölbe einschlagend und die Arkaden teilweise zerstörend. An ein Löschen des Feuers war nicht zu denken gewesen; eine Wiederherstellung des Baues wurde nicht einmal versucht. Man begnügte sich, übrigens erst nach 60 Jahren, mit einem schwachen Notdach, das auch nur kurze Zeit Schutz gewährte.

Die eigentliche Zerstörung durch Menschenhand erfolgte aber erst, als das Weichselland 1773 an Preußen gekommen war. Zwar wurde noch die Huldigung der Stände in dem dreisäuligen Konventsremter des Mittelschlosses abgehalten, bald aber dieser herrliche Raum als Exercierhaus, Strafanstalt, zum Spießrutenlaufen, als Reitschule und Gefängnis benutzt, 1814 zur Feier des Pariser Friedens durch eine hölzerne Fußdecke in der Höhe der Säulen geteilt, endlich der obere Raum auch zum Komödiespiel vergeben. Ebenso war der große Remter der Hochmeisterwohnung durch eine Decke halbiert, jede der beiden Etagen wieder durch Wände in mehrere Räume geteilt, die zur Wollspinnerei und als Elementarschule gebraucht wurden. Friedrich der Große hatte den Marienburgern die Wahl einer höheren Lehranstalt oder eines Regiments Soldaten freigestellt. Sie entschieden sich für das letztere.

Das Mittelschloß (Hochmeisterschloß) von Nordwest.

Infolgedessen wurde das Hochschloß in eine Kaserne umgestaltet, was das Ausschlagen von 165 Fenstern für 111 Stuben nebst Kammern und Küchen in jetzt fünf Etagen notwendig machte. Die Gewölbe wurden meist noch geschont. Sie fielen erst, als gegen Ende des Jahrhunderts die Kaserne sich in ein Getreidemagazin mit einer Reihe von Schüttungen übereinander verwandelte. Von dem alten Bau wären nur noch die Grundmauern übriggeblieben. – Die erste Anregung zur Renovation wenigstens der Prachträume im alten Hochmeisterschloß und der Kirche im Hochschloß gab der verdiente Oberpräsident von Schön in einem am 22. November 1815 an den Kanzler von Hardenberg gerichteten Schreiben. Es heißt da: „Dieses schöne Denkmal einer Zeit, in welcher die Begeisterung für das Heiligste erhabene Bilder schuf, kühne und große Ideen weckte und dem Menschen Beharrlichkeit und Kraft zu ihrer Ausführung gab, zugleich ein würdiges Zeugniß von dem Standpunkt damaliger Bildung und ein von jedem Kenner gepriesenes seltenes Werk der Baukunst, ist … zertrümmert und in Kasernen und Magazine verwandelt.“ Einige Jahre darauf begann wirklich eine reiche Bauthätigkeit. Der Staat, die Provinz, verschiedene Korporationen und Private steuerten bei, und so zeigte sich denn in den vierziger Jahren der Palastbau und ein Teil des Kirchenflügels im rechten Hause im ganzen glücklich wiederhergestellt. Eine neue Bauthätigkeit mit größeren Mitteln, schließlich durch eine Lotterie aufgebracht, begann nach dem Kriege von 1870 bis 1871, besonders seit der Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich, sich mit der ihm eigenen Wärme des schönen Werkes anzunehmen anfing und der damalige Kultusminister von Goßler ihm die dankenswerteste Unterstützung zuwendete. Glücklicherweise fand sich in dem Baurat Steinbrecht der rechte Mann für die geistige Ausspürung und dann auch praktische Herstellung des ursprünglichen Zustandes der so arg zerstörten Burg, und jetzt zeigt sie sich wieder dem staunenden Beschauer, abgesehen von einigen Teilen des Mittelschlosses, in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0673.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)