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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

eine unirdische Gestalt vor mir standest, graut mir vor den Gemsen – und wenn ich das Gewehr gegen eine erheben müßte, so wär’ mir’s, ich erhöbe es gegen dich!“

„Das höre ich gern, Markus,“ sagte sie weich. „Denn gegen mich wirst du nicht schießen!“

Und mit aufleuchtenden Augen und hellerer Stimme fuhr sie fort: „Nein, nein, Markus, deine Ziele liegen höher. Du sollst mir das Licht von der Spitze der Bernina holen, du sollst das Engadin lösen aus seiner schweren Not. Du bist ja stark wie keiner!“

Sie erzählte ihm voll Eifer von dem Jugendbund, den Lorsa auf der Höhe des Wallfahrtskirchleins zu St. Moritz gegründet.

„Auch du, Markus, gehörst zum Bunde durch mich, und die edelsten Jünglinge des Engadins werden dich als ebenbürtig nehmen und deine Freunde sein!“

„Cilgia!“ Es war ein Freudenruf, und in tiefer Bewegung wollte er sie auf die Stirn küssen.

Vor Scham erzitternd, entzog sie sich ihm. „Nein, Markus, noch nicht,“ bat sie leis. Und ihr Blick ging träumerisch in die Weite.

Da stiegen den Alpweg herab mit Geklingel die Ziegen des Dorfes. Die kindische Alte führte sie. Und Gioja und Gloria sahen Cilgia mit ihren gelben Glasaugen verwundert an und meckerten kläglich.

Es mußte etwas mit ihrer Herrin nicht in Ordnung sein. Sie hatte ihnen den Strauß nicht gerüstet und kraute ihnen nicht hinter den Ohren.

Nein, ihre Hand lag in der eines jungen Mannes und den schaute sie sonnig an. „Auf Wiedersehen, Markus, am Lager Pias!“

Und erst jetzt wandte sie sich zu ihnen, machte einen übermütigen Knix gegen sie und rief fröhlich: „Guten Abend, Gioja, guten Abend, Gloria!“

In freudevollem Lauf eilte sie mit ihnen den Mattenweg gegen das Dörfchen hinab, über dessen steinbeschwerten Schindeldächern ein Bündel roter Sonne ruhte. (Fortsetzung folgt.)     


Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts.

Graf Gustav Adolf von Gotter.
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Von R. v. Gottschall.

Einer der interessantesten Emporkömmlinge des vorigen Jahrhunderts ist Graf von Gotter, eines jener bevorzugten Glückskinder, denen das, was andere im Schweiße ihres Angesichts zu erringen suchen, von selbst in den Schoß fällt. Er giebt den Beweis dafür, was der Zauber einer Persönlichkeit vermag; selbst seine Mißerfolge in Staatsgeschäften schadeten ihm nicht bei den Fürsten, bei den Höfen, noch weniger natürlich bei den Frauen; er blieb der gesuchte Liebling und Günstling, dem Ehren und Schätze im reichsten Maße zu teil wurden, dem die Kaiser von Oesterreich und die Könige von Preußen ihr Vertrauen schenkten.

Gotter war von bürgerlicher Herkunft und wurde am 26. März 1692 zu Altenburg geboren als Enkel des Generalsuperintendenten Johann Christian Gotter und als Sohn des Kammerdirektors Johann Michael Gotter in Gotha. Er studierte in Jena und Halle und machte dann Reisen in Holland, England und Frankreich. In Begleitung seines Vaters ging er 1715 nach Wien, wo dieser finanzielle Angelegenheiten zu ordnen hatte. Hier legte der Sohn rasch, in noch sehr jungen Jahren, den Grundstein zu seinem Glück; er erwarb sich die Gunst des Prinzen Eugen und anderer hochgestellter Persönlichkeiten, und so gelang es ihm, seinen Vater in Erledigung der Geschäfte des herzoglichen Hofes in Gotha aufs wirksamste zu unterstützen, schwebende Prozesse rasch und glücklich zu Ende zu führen und die Rückzahlung ausständiger Geldforderungen zu bewirken.

Gotter besaß Geist, Schönheit, große Weltgewandtheit und verstand es, von den Boudoirs aus die Entscheidungen der Kabinette zu beeinflussen. Schon im Jahre 1716 ernannte ihn Herzog Friedrich II zu seinem Legationssekretär, dem bald darauf die volle Vertretung aller Interessen des Herzogthums Gotha beim kaiserlichen Hofe anvertraut wurde. In jener Zeit war Wien ein Capua der Geister, und wer den Gelüsten der vornehmen Epikuräer bis hoch hinauf zu schmeicheln verstand, der war der Mann des Tages. Herzog Friedrich II bestärkte seinen Geschäftsträger, den er 1720 zum außerordentlichen Gesandten ernannt hatte, in den Neigungen zu einer glänzenden Repräsentation, die ja dem Ansehen des kleinen Hofes zu gute kam. Gotter besaß eine prächtig ausgestattete Wohnung, pomphafte Wagen, stolze Rassepferde und eine große Zahl von galonnierten Bedienten, Lakaien und Läufern. Seine Mahlzeiten waren reich an den ausgesuchtesten Leckereien und er berücksichtigte sich selbst dabei in der ausgiebigsten Weise. So war er ein großer Freund von jungen grünen Erbsen und es störte ihn weiter nicht, wenn er im Winter für jede Erbse einen Groschen zahlen mußte. Auch war er ein ausgezeichneter Weinkenner; sein Keller war reich an den seltensten Weinen, die niemals auf seiner Tafel fehlen durften; ja, er trieb in der Stille einen ansehnlichen Weinhandel, um die häufige Leere in seinen Kassen einigermaßen zu füllen.

Gotter erinnert lebhaft an einen Diplomaten des 19. Jahrhunderts, der in Wien ebenfalls ein glänzendes Vorbild sinnlichen Lebensgenusses geworden und ebenso wie Gotter sich des Vertrauens der Höchstgestellten erfreute: wir meinen Friedrich von Gentz, Metternichs Vertrauten. Doch springt auch der Unterschied alsbald in die Augen: Gentz war ein Diplomat mit der Feder; seine Schriftstücke waren stilistische Meisterwerke, und solange es den Kampf gegen Napoleon und die französische Uebermacht galt, darf ihm der Ruhm eines einflußreichen und tonangebenden Patrioten nicht abgesprochen werden. Gotter hat nicht mit der Feder gewirkt, sondern nur durch seine Persönlichkeit; er hatte eine unglaubliche Höhe von Einfluß und Bedeutung erreicht, und zwar schon vor seinem dreißigsten Lebensjahr, ohne daß sein Name bei irgend einer Haupt- und Staatsaktion genannt worden wäre, ja ohne daß man die äußeren Anlässe für die Auszeichnungen, die ihm zu teil geworden, nachweisen konnte. So weiß man nicht, warum im Jahre 1727 der zwölfjährige junge Czar Peter II von Rußland oder vielmehr sein Minister Fürst Mentschikoff ihm den Alexander Newsky-Orden durch eine besondere Stafette überschickte. Der Herzog von Gotha bezahlte inzwischen Gotters Schulden, erhöhte seinen Gehalt, ernannte ihn zum Legationsrat, während Kaiser Karl VI ihn am 6. August 1724 in den Reichsfreiherrnstand erhob.

Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I berief ihn 1728 nach Berlin und ernannte ihn bald darauf zum Wirklichen Geheimen Staatsrate mit Sitz und Stimme und einem jährlichen Gehalt von 1000 Thalern. Auch eine Majorspräbende am Stifte von Halberstadt wandte er ihm zu und erteilte ihm die Insignien des Schwarzen Adlerordens. Eine diplomatische Leistung, durch welche Gotter eine so hohe Stellung verdient hätte, war nicht vorausgegangen und irgend eine Verpflichtung nicht damit verbunden. Man muß sich fragen, weshalb Gotter bei dem gestrengen Monarchen einen solchen Stein im Brette hatte. Denn dieser leichtlebige Don Juan konnte doch nicht nach dessen Geschmacke sein; der König haßte ja die „französischen Windbeutel“. Sicher hatte Gotter ihm durch sein ganzes siegesgewisses und überlegenes Wesen imponiert, nicht am wenigsten wohl durch seine Stentorstimme, welche dem soldatenfreundlichen Fürsten beneidenswerte Mitgift fürs Kommandieren auf dem Exerzierplatz und im Krieg erschien; aber das erklärt noch nicht seine Gunstbeweise. Entscheidend war vielmehr dafür der große Einfluß, den Gotter in Wien besaß; der König brauchte dort für verschiedene Pläne einen Bundesgenossen. Eine Zeit lang war Gotter noch in Gothaischen Diensten geblieben und auch Gesandter seines Herzogs

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0680.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)