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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Räumlichkeiten, die für ihren ursprünglichen Zweck völlig unbrauchbar geworden waren, wirtschaftlich den neueren Bedürfnissen gemäß ausnutzen könnte. Es ist sicher nicht so sehr, als es geschehen, über Barbarei zu schelten, wenn man die sehr knappen Geldmittel nicht auf die Restauration eines Herrenschlosses verwendete, dessen historische Bedeutung nach der Verjagung des Deutschen Ordens aus dem Weichsellande, nach seiner Aufhebung auch im östlichen Preußen, nach 300jähriger Polenherrschaft in Vergessenheit gekommen war und auch durch die Besitznahme Friedrichs des Großen keine Erneuerung fand; das überdies an einem Orte stand, der nicht einmal mehr als Centralpunkt für eine in der traurigsten Verfassung befindliche Provinz gelten konnte und von Fremden kaum besucht wurde. Stellte man aber lediglich die praktische Frage, wie an dieser Stelle die vorhandenen kräftigen Mauern nach Ausräumung des darin befindlichen Schutthaufens wirtschaftlich nutzbar gemacht werden könnten, so blieb nur übrig, vieles von dem zu vernichten, was früher ein besonderer Schmuck gewesen war, jetzt aber einer rationellen Ausnutzung im Wege stand. Es gab ganz wenige Menschen, die, wie der Dichter Eichendorff, ein Erbarmen mit der Ruine aus großer Zeit hatten und die Zerstörung als eine Schmach empfanden.

Den Luxus, zunächst einmal von dem ökonomischen Gebrauch ganz abzusehen und sehr bedeutende Summen lediglich zu dem schönen Zweck aufzuwenden, ein höchst würdiges Baudenkmal als solches für die Anschauung wieder herzustellen, konnte erst unsere Zeit sich erlauben. Dabei mag dann bedauert werden, daß schon so viel des Sehenswerten zu Grunde gegangen, ein großer Teil des inneren Baues fast bis zur Unkenntlichkeit vernichtet war; aber um so größer muß das Lob des Baumeisters sein, der aus Andeutungen in alten Schriften, aus Zeichnungen und Aufrissen, aus Spuren im Mauerwerk, aus erhaltenen Resten von Steinen und Formziegeln eine so lebendige Anschauung des einst Gewesenen gewann, daß er es überzeugend nachzubilden vermochte; um so größer die Freude, heut’ ein ganzes Werk vor Augen zu haben, das an den früheren schmachvollen Zustand nicht mehr erinnert. Nun mag auch die Erwägung am Platze sein, was über die „künstlerisch-archäologischen Aufgaben“ hinaus zu thun wäre, um die herrlichen Räume in den Dienst der Landeskunde zu stellen und als Museum zu verwerten. Schon ist die große Blellsche Waffensammlung angekauft, um vermehrt und aufgestellt zu werden; schon hat der Geheime Sanitätsrat Dr. Jaquet eine auf das Ordensland bezügliche Münzsammlung geschenkt, die für die Tresslerwohnung bestimmt ist; schon plant man die Zuführung von Abgüssen alter Bildwerke, Grabsteine und Inschriften aus der Ordenszeit. Es ist bereits so viel gethan, daß das Mehr nur noch eine Frage der Zeit sein kann. Das lebhafte und verständnisvolle Interesse, welches der Kaiser an der Bauarbeit nimmt, die er in jedem Jahre zu besichtigen pflegt, bürgt dafür, daß das Werk, zur freudigsten Bewunderung und reichsten Belehrung vieler Generationen nach uns, vollendet werden wird.


Kismet.

Eine Novelle aus Persien von H. Rosenthal-Bonin.

Wenn der Monat Juni beginnt, dann flüchtet alles, was nur irgendwie die Mittel dazu aufbringen kann, aus dem baumlosen, staubigen, erstickend heißen Teheran, der von wüstenartigen Steinhalden und Salzebenen umgebenen Hauptstadt des persischen Reiches, hinauf zu den Höhen der Schemiraner Berge, zu den Hügelterrassen, die, von Bächen durchrauscht, schöne Thalgründe bergen, in denen üppige Gärten gedeihen und schlanke Platanen ihre grünen schattenspendenden Kronen ausbreiten. Hier weht eine frischere Luft und die Nächte sind kühler als in der von einer unbarmherzigen Glutsonne ausgedörrten Hauptstadt. Auf diesen Bergterrassen entstehen dann Zeltansiedelungen, in denen die vornehmeren und begüterten Einwohner Teherans die Sommermonate zubringen; hier haben die Gesandtschaften ihre umfangreichen Sommerzelte, so der russische, österreichische, englische, türkische Gesandte, hier besitzt auch der Schah schöne Lustschlösser mit herrlichen Gartenanlagen und künstlichen Seen zum Aufenthalt für die heiße Jahreszeit, und in zahlreichen Dörfern, umgeben von grünen Feldern und schönen Fruchtbäumen, wohnt eine arbeitsame friedliche Bevölkerung.

Nicht weit von der Sommerresidenz des Schah, Niaveran, liegt das Dorf Kassim, dessen grüne Wiesen ein halbes Hundert Kühe ernähren und dessen Bewohner als Kirschenzüchter sowie als Korbflechter weithin eines besonderen Rufs sich erfreuen.

Als der angesehenste Bauer Kassims galt Ghulam Hussein. Ihm gehörten von den fünfzig Kühen der Ansiedelung dreißig; er lieferte die Milch in das Hoflager des Schah, und von seiner Mühle bezog die Sommerresidenz das feine Weizenmehl. Jedoch diese Besitztümer hielt man nicht für den größten Reichtum Ghulams, für kostbarer als all dies erachtete man des reichen Bauern Tochter Anymeh, ein schlank gewachsenes Mädchen, dessen mandelförmige glänzend schwarze Augen, blonde Haare und zart gelbliches Gesicht jeden Kenner der Schönheit entzückten.

Anymeh war größer als die Perserinnen gemeinhin sind, ernst und arbeitsam, ihre dunklen Augen blickten scharf und klug, und die kühn geschwungenen Lippen ihres kleinen Mundes verliehen dem Mädchen etwas seltsam Anziehendes. Alle jungen Leute viele Stunden im Umkreis waren in Anymeh vernarrt, und Ghulam wurde schon seit drei Jahren mit Heiratsanträgen, die um Anymehs Hand warben, und mit Anerbietungen reicher Morgengaben – denn in Persien erhält der Vater solche, wenn er eine Tochter verheiratet – förmlich überschüttet.

Ghulam hätte es auch ganz gern gesehen, wenn seine Tochter den einen oder den anderen der begüterten Freier erhört hätte; Anymeh hatte jedoch entgegen dem persischen Gebrauch, nach welchem die Töchter stillschweigend dem Willen der Eltern sich fügen, hinsichtlich ihrer Verheiratung ihren eigenen Kopf. Mit vierzehn Jahren heiraten in diesem Lande der heißen Sonne die wohlhabenden Mädchen gewöhnlich. Anymeh zählte jetzt schon sechzehn Jahre, aber bei jedem neuen Freier, der sich einstellte, schüttelte sie den Kopf, und schließlich erklärte sie dem Vater: „Gott möge dir noch hundert Jahre Leben schenken – du bist gesund und stark und wirst mich nicht so bald allein lassen! Wir haben es ja nicht nötig, daß du auf eine schnelle Versorgung für mich bedacht sein mußt, also gewähre mir, Vater, zu warten, bis einer kommt, der mir völlig gefällt!“ Der alte Ghulam hatte großen Respekt vor der Klugheit seiner Tochter; that sie doch nie etwas, ohne gründlich darüber nachzudenken, auch verstand sie zu lesen und zu schreiben – Dinge, die ihm weltenfern lagen und welche er als hohe Weisheit bewunderte. So ließ er denn der schönen Anymeh ihren Willen. Sie wird schon Ernst machen, wenn sie es für recht hält, meinte er bei sich.

So lagen die Dinge im Hause Ghulams, als der Sommer wieder nahte.

Der alte Schah Mahumed war gestorben, sein Sohn Nassr-Eddin hatte den Thron bestiegen und sollte jetzt zum erstenmal als Herrscher des Landes die Sommerresidenz beziehen. Schon trafen lange Züge mit hochbepackten Kamelen ein, die Dienerschaft auf Pferden und Eseln und in dichtverschlossenen Sänften, von Maultieren getragen die Damen des Harems. Endlich kam auch der Schah auf einem weißen Rosse, das durch Hennah rötlich gefärbt war, umgeben von den Würdenträgern seines Hofes, die alle auf kostbar geschirrten schwarzen Pferden ritten. Zweihundert mit Panzerhemden bekleidete Lanzenreiter gaben dem Zug das Geleite. Und nun entwickelte sich ein buntfarbiges Leben innerhalb der stundenweiten Ummauerung des königlichen Landsitzes und in den umliegenden Zeltanlagen.

Anymeh war die alljährliche Wiederkehr dieses Treibens gewohnt, es brachte ihr nichts Neues; sie ging dieses Jahr wie jedes andere vorher mit ihrem Vater auf die Landstraße, wo der Zug vorbeikommen mußte, und begrüßte den Monarchen mit tiefgeneigtem Kopfe, die Hände kreuzweis auf der Brust, das blonde Haupt mit der hohen weißen, kegelförmigen Steifgazemütze geschmückt, den blauen Wollenschleier zurückgeschlagen. Die Augen aufzuheben, war verboten, und Anymeh hatte bisher stets

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0688.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)