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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

lockte ihn keinerlei Zerstreuung, und so kam es, daß all die freundlichen Blicke, welche dem zum auffallend schönen Manne Herangewachsenen auch von seiten der Damen des Hofes zu teil wurden, an seinem ernsten gehaltenen Wesen wirkungslos abglitten. Jedoch sein Kismet sollte es sein, daß er Anymeh sah; die echt persische und doch besondere Schönheit des Mädchens fesselte seine Aufmerksamkeit und das blitzartige Wirken seiner Erscheinung auf dies ungewöhnliche Landmädchen, welches sich in dessen Blick, in ihrer ganzen Haltung ihm gegenüber offenbarte, traf sein Herz und prägte das Bild ihrer Schönheit seiner Phantasie tief ein. Von dem Augenblick an, da Mirza Thagi Anymeh erschaute, beschäftigte sie seinen Geist und erwachten in ihm Gefühle, die ihm bisher völlig fremd waren. Er empfand Sehnsucht, dies Mädchen wiederzusehen, er wünschte, mit ihm zu sprechen, seine Stimme zu hören, zu vernehmen, wie es dachte und fühlte, überhaupt in seiner Nähe zu sein, und die Wissenschaften dünkten ihm mit einem Male viel weniger wichtig. Unruhe hatte sich seiner bemächtigt und es drängte ihn, zu erfahren, wer dies schöne Mädchen war und wem sie angehörte.

Währenddessen saß Anymeh oben in dem luftigsten Zimmer des Turmes, der das väterliche Wohnhaus bildete, und hatte die Rohrjalousie heruntergelassen, daß es dämmrig finster in dem kahlen Raum war – aber in der Dunkelheit sah sie im Geiste nur noch heller die Gestalt dieses Mannes, der ihr wie ein überirdisches Wesen erschienen war. Er ist mein Kismet – sagte sie sich – ich habe so lange warten müssen, bis ich ihn sah, und jetzt ist mein Schicksal erfüllt – ich soll ihm angehören – ob er mir –? Das werden die Heiligen wissen – das wird die nächste Zeit entscheiden – er wird zu mir kommen, wenn das so bestimmt ist. Wird er kommen …? Diese Frage wogte unablässig in Anymehs Brust und das schöne Persermädchen litt vor Sehnsucht und Bangen, was die Zukunft bringen würde.

Mirza Thagi stand nicht im Verhältnis der regulären Hofbeamten zum Schah, er hatte sich keiner der tausend Vorschriften des am Hoflager herrschenden Ceremoniells zu fügen, seine Stellung war freier: wenn der Schah ihn nicht zu sich entbot oder seine Begleitung zu einem der vielen kostbar und prunkvoll ausgestatteten Theesalons des weitläufigen Parks der Sommerresidenz wünschte, konnte der junge Gelehrte thun, was er wollte. Nun hatte Thagi stets einen besonderen Eifer, die Verhältnisse aller Berufsklassen eingehend kennenzulernen, an den Tag gelegt, und somit fiel es nicht auf, daß sofort nach der Ankunft in Niaveran der absonderliche Mirza Thagi seine gesamte freie Zeit darauf verwandte, die Gehöfte der Bauern in der Umgebung des Sommerschlosses zu besichtigen und sich speciell von den Zuständen des Ackerbaues und der Weiden- und Obstkultur in der Nähe von Kassim zu unterrichten. Er hatte mit den Bauern und Korbflechtern Gespräche angeknüpft, viele Fragen an die Leute gestellt, war in ihre Güter getreten und jetzt, nachdem eine Woche seit dem Einzuge in Niaveran verflossen war, stattete er auch dem Hofe des reichsten und angesehensten Ackerbauers der ganzen Umgegend, Ghulam Hussein, einen Besuch ab.

Als er mit dem Eisenschlägel an das wohlverwahrte Hofthor der kreisförmigen Ummauerung pochte, öffnete Ghulam Hussein selbst.

„Ich bin Mirza Thagi vom königlichen Hoflager und möchte deine Obstgärten, welche ich als die besteingerichteten weit und breit habe preisen hören, kennenlernen.“

Ueber Ghulams braunes, faltiges Gesicht lief ein unmerkliches Lächeln; der Bauer verneigte sich tief und machte Mirza das Zeichen, einzutreten. „Sie werden nicht viel Neues sehen, hoher Herr,“ erwiderte er, „die Gärten von Niaveran haben viel prächtigere Anlagen. Indessen, Herr, Ihr Besuch ist mir eine Ehre, belieben der hohe Herr mir zu folgen.“ Und überaus höflich machte jetzt Ghulam den Führer Thagis durch die Aprikosen-, Pflaumen- und Kirschengärten, er zeigte auch dem wissenseifrigen jungen Mann die Dörrhäuser für die Früchte, in welchen entweder durch die Sonnenhitze oder vermittelst Feuerung die Aprikosen und Pflaumen getrocknet wurden. Hierbei entfernte sich jedoch der Landmann mit seinem Gaste naturgemäß immer weiter von dem Wohnhause, für welches Mirza Thagi auch ein großes Interesse zu haben schien, da er unter den Erklärungen seines Führers öfter aufmerksame Blicke dorthin sandte; endlich äußerte der junge Mann den Wunsch, noch die Ställe Ghulams, die ihm ihres schönen Viehstandes wegen so sehr gerühmt worden wären, zu besichtigen. Ghulams Gesicht wurde bei der Aeußerung dieser Wißbegierde noch um einen Schatten dunkler und ein Zug von Mißvergnügen lag in seinen kleinen, sonst so hell und heiter blickenden Augen; er verneigte sich aber höflich und kehrte mit seinem Besucher zum Hofe zurück.

Im zweiten Stock des Turmes, an dem Fenster nach dem Garten zu, öffnete sich in diesem Augenblick die Rohrjalousie ein wenig und ein weißes Gewand schimmerte und ein mit vielen Goldreifen geschmückter heller Arm ward sichtbar. Der Vorhang ging ganz in die Höhe und Anymeh erschien am Fenster, sie verneigte sich vor dem Fremden unverschleiert – das war ungebräuchlich, jedoch Anymeh that überhaupt manches, was gegen die althergebrachten Vorschriften für ihr Geschlecht verstieß. Mirza Thagi erwiderte die Begrüßung durch eine ehrerbietige Neigung, dann trat er mit Ghulam in die Ställe und schenkte diesen viel Aufmerksamkeit.

Nun waren auch diese besehen, und Ghulam hätte als ein so höflicher Mann, wie er sich zeigte, und dem allgemein geübten Herkommen gemäß, den Besucher einladen müssen, in das Haus zu treten und eine Tasse Thee mit ihm zu trinken. Ghulam Hussein unterließ auffallenderweise diese selbstverständliche Ehrung eines Gastes, was einen scharfen, prüfenden Blick des Mirza auf ihn hervorrief. Der Bauer öffnete stumm die Stallthür und der junge Mann schritt hinaus auf den Hof, dann schritt Ghulam ihm voran, dem großen Thore zu.

Langsam, wie zögernd, folgte Thagi; als er am Turm unter dem Fenster, an welchem er die Frauenerscheinung erblickt hatte, vorüberwandelte, fielen von oben drei zusammengebundene Nelken vor seine Füße nieder. Schnell bückte sich der Mirza, hob die Blumen auf und verbarg sie in der Brustfalte seines kaftanähnlichen blauen Rockes. Er warf einen Blick nach dem Fenster hinauf. Die Jalousie war heruntergelassen und niemand mehr dort zu sehen. Währenddessen hatte Ghulam das Hofthor geöffnet und verabschiedete sich, ehrerbietig und ausgesucht höflich sich verneigend, von seinem Gaste.

Als Ghulam den schweren Verschlußbalken an das Thor gelegt hatte, zeigte sein Gesicht einen sehr verdrießlichen Ausdruck. „Was will der hier,“ murmelte er, „er stört mir nur die Ruhe meines Kindes! Heiraten wird er sie doch nie, wenn er auch nur der Sohn eines Kochs ist – er sieht aus, als ob er noch zu höheren Stellungen bei Hofe gelangen würde … Gleich zu gleich – das bringt Segen … Ich werde dem Mädchen aufpassen.“

Am hohen Bogen des Einganges zu dem Turme trat ihm Anymeh mit strahlendem Antlitz entgegen. „Er war hier,“ sprach sie mit glückseligen Augen. „Er wird kommen und um mich freien.“

„Unsinn! Er kann gar nicht um dich freien, denn er ist schon jetzt nicht mehr von deinem Stande,“ antwortete der Bauer unwirsch.

„Es ist unser Kismet, Vater, sonst hätte ich ihn nicht gesehen und er wäre nicht hergekommen.“

„Schlage dir solche Gedanken aus dem Kopf, sonst wirst du eine schwere Täuschung erleben. Es giebt zweierlei Kismet, eines, das man sich einbildet, ein anderes, das Gott verhängt,“ versetzte Ghulam, „seine Nebenfrau wirst du doch nicht werden wollen.“

„Nein, niemals!“ meinte das Mädchen, mit Stolz sich aufrichtend. „Nur seine Gemahlin, und das werde ich.“

„Ich kenne dich gar nicht wieder,“ entgegnete darauf der Bauer. „Du denkst sonst so vernünftig und klüger und schärfer als die andern Frauen und läßt dich jetzt von solch einem Wahn ganz verblenden.“

„Kein Wahn, Vater – mein Schicksal!“ antwortete das Mädchen überzeugt.

„Narrheit!“ rief der Landmann. „Mädchentollheit, Schäume und Träume, die vergehen,“ setzte Ghulam Hussein mürrisch hinzu und ging an seine Arbeit.

„Wir werden sehen, wer recht behält,“ sprach Anymeh und begab sich wieder in ihr Zimmer an den Webstuhl, um in den neuen wollenen Schleier, den sie sich nach Landesgebrauch selbst verfertigte, goldene Glücks- und Zukunftsträume einzuweben.

Unterdessen wanderte Mirza Thagi nachdenklich den Weg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0691.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)