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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

und sowohl deshalb, als auch wegen Belastung mit Sinkstoffen schwereren Gewässer des Rheins unter die wärmeren und leichteren des Sees untertauchen müssen. Thatsächlich sieht man an der Rheinmündung die trüben Wasser des Stromes unter Wirbelbildung unter die ruhenden Fluten des Sees tauchen, ein Phänomen, welches schon Ammianus Marcellinus im 4. Jahrhundert n. Chr. auffiel und heute beim Volk als „Brech“ bekannt ist.

Leider sind noch keine näheren Berechnungen über die Geschiebe und Schlammmassen vorhanden, welche dem See jährlich durch seine sämtlichen Zuflüsse zugeführt werden. Nach Angabe von Graf Zeppelin mögen dieselben aber immerhin 4 Millionen Kubikmeter betragen. Trotz dieser gewaltigen Masse dürfen immerhin noch etliche tausend Jahre vergehen, ehe die Trümmer, welche die Flüsse von den Bergen herabwälzen, die Tiefe des Seebeckens ausgefüllt haben und unser größter deutscher See einer geologischen Vergangenheit angehört. –

Früher begnügte sich die Erforschung der Seen im großen und ganzen mit der Feststellung der Lage, der Tiefe und des Wechsels des Wasserstandes. Die heutige Limnologie stellt andere Aufgaben und sucht eine Reihe weiterer physikalischer Fragen zu beantworten. Wärme und Licht, welche Rolle spielen sie im See? Wir wissen, daß sowohl die Wärme- wie die Lichtstrahlen nur wenig tief in das Wasser eindringen.

Es ergiebt sich also hieraus, wenn wir zunächst von der Wärme sprechen, daß wir eine Oberflächentemperatur und eine Tiefentemperatur zu unterscheiden haben. Die Messungen haben gezeigt, daß die Temperaturschwankungen, wie sie sich im Laufe des Jahres ergeben, normal nur bis 100 m abwärts eindringen; von da an zeigt der See ständig die Temperatur von etwa 4° C, bei welcher das Wasser die größte Dichtigkeit besitzt. In erheblichem Maß dringt aber die Erwärmung nur bis zur Tiefe von 20 m vor, indem die Temperaturabnahme von der erwärmten Oberfläche nach unten zu bis dorthin sehr langsam ererfolgt, so daß bis zu dieser Tiefe die Erwärmung sich sehr fühlbar macht, von da aber sehr rasch, eine allgemeine Erscheinung, welche man mit dem Namen „Sprungschicht“ belegt hat. Im Winter, zu welcher Zeit die Oberflächentemperatur sich stark abkühlt, haben wir demgemäß von oben nach unten die umgekehrte Temperaturfolge wie im Sommer. Die Zeit, während welcher das Wasser in den oberen Schichten unter 4° C besitzt, umfaßt 85 Tage, während die Zahl der wärmeren Tage, an welchen die Temperatur über 4° C steigt, 280 beträgt. Der Bodensee gehört demgemäß zum Typus der „gemäßigten warmen Seen“. Als Mitteltemperatur des Bodenseewassers an der Oberfläche im Verlauf eines Jahres wurden 10,11° C gefunden. Verglichen mit dem Jahresmittel der Lufttemperatur, welches nach 30jährigen Beobachtungen an verschiedenen Bodenseeorten auf 8,4° C zu berechnen ist, ist der See im Durchschnitt 1,71° C wärmer als die umgebende Lufttemperatur; im Winter ist natürlich die Differenz viel größer und betrug z. B. im Winter 1889/90 5,03° C; in der Mitte des Sees ist der Wärmeüberschuß stärker als am Ufer.

Es ist natürlich, daß hierdurch der See im Winter sich als gewaltiges Wärmereservoir geltend macht: die Masse der im Winter 1889/90 an die Luft abgegebenen Wärme berechnet Forel auf die ungeheure Summe von 180000000 Millionen oder 180 Billionen Wärmeeinheiten. Es würde dies einer Wärme entsprechen, die wir durch Verbrennen von 23000 Millionen Kilogramm = 23 Millionen Tonnen Kohlen erzeugen können.

Diesen großen Wärmemassen, die der See im Winter abgiebt, verdankt die Umgebung des Sees ihr angenehmes Klima, dessen Genuß nur öfters durch die starken Nebel gestört wird, die freilich auch wieder im See ihren Entstehungsort haben.

Wie die Wärmestrahlen, so dringen, wie schon gesagt, auch die Lichtstrahlen nur bis zu einer gewissen Tiefe in das Wasser ein, die aber von verschiedenen Faktoren abhängig ist und deswegen dem Wechsel unterliegt. Bei jeder Kahnfahrt machen wir ohne nähere Untersuchungen die Beobachtung, daß heute unser Auge den Fisch zu erspähen vermag, der mehrere Meter unter unserem Boot hinschwimmt, während wir morgen kaum einige Fuß tief zu blicken vermögen.

Stellen wir exaktere Forschungen über das Eindringen der Lichtstrahlen an, so bedienen wir uns verschiedener Methoden. Die einfachste, schon von alten Seefahrern seit alters angewandte, durch P. Scechi auch in die wissenschaftliche Forschung eingeführte Methode ist das Versenken einer weißen Scheibe, bis sie dem Auge entschwindet. Da die Lichtstrahlen, die das Bild der Scheibe im Wasser unserem Auge übermitteln, sowohl den Weg vom Auge bis zur Scheibe, wie wieder zurück zum Auge zurücklegen müssen, so ist das Doppelte der Sichtbarkeitsgrenze die Grenze, bis zu welcher die Lichtstrahlen in das Wasser eindringen, denn wie von der Scheibe zurück zum Auge, so machen sie auch noch den gleichen Weg von der Scheibe hinab in tiefere Wasserschichten. Als äußerste Sichtbarkeitsgrenze wurden im April 1890 bei Konstanz 111/2 m gemessen, so daß hier die für unsere Augen sichtbaren Strahlen bis 23 m eindrangen. Meist jedoch ist das Wasser lange nicht so klar und durchsichtig, und es hatten auch die verschiedenen Orte des Sees, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, Romanshorn, Konstanz, sehr verschiedene Beobachtungsresultate aufzuweisen. Im Jahresmittel ergab sich eine Sichtbarkeitsgrenze von 5,36 m, so daß das Erlöschen der Lichtstrahlen schon bei 10,72 m liegt.

Woher kommen die beobachteten Differenzen? Wir wissen aus hundertfacher Erfahrung, daß ein Wasser, welches verunreinigt ist, dadurch getrübt wird und weniger durchsichtig erscheint. Damit ist zugleich die Erklärung für die verschiedenartige Durchsichtigkeit des Wassers im Bodensee gegeben; stets schwebt in dem Wasser feines, stäubchenförmiges Schlammmaterial und stets lebt in ihm eine reiche schwimmende Tier- und Pflanzenwelt, die an mikroskopischer Kleinheit mit den Schlammteilchen wetteifert. Je dichter diese unorganischen und organischen Massen sich häufen, desto undurchsichtiger wird das Wasser. So muß die Sichtbarkeitsgrenze herabsinken im Frühling und Sommer, wenn die Erwärmung des Wassers eine lebhafte Vermehrung der schwimmenden Lebewesen mit sich bringt, während die Armut an Organismen im Winter das Wasser zu dieser Jahreszeit klar erscheinen läßt, und ebenso wird die Klarheit des Wassers zunehmen, je weiter man sich von der Mündung des Rheines entfernt, der stets unorganische Massen in Menge mit sich führt. Die zahlreichen Beobachtungen haben dies völlig bestätigt.

Für unser Sehvermögen erlischt das Tageslicht also schon in ziemlich geringer Tiefe des Wassers.

Herrscht nun thatsächlich undurchdringliche Finsternis von der durch unsere Versuche mit der weißen Scheibe ermittelten Tiefe ab? Die Antwort lautet: Nein! Es sind nur die optisch wirksamen Strahlen, die, soweit das unser Auge zu beurteilen vermag, in geringe Tiefen eindringen; das Licht aber ist zusammengesetzt aus einer Fülle von verschiedenen Strahlen; die Erkenntnis, daß die violetten Strahlen des Spektrums die chemisch wirksamen sind, hat zu dem genialen Gedanken Veranlassung gegeben, auch die Photographie in den Dienst der Limnologie zu stellen. Durch Versenkung von Platten mit einer lichtempfindlichen Substanz – im Bodensee wurde Chlorsilber angewendet – konnte ermittelt werden, bis zu welcher Grenze die chemisch wirksamen Strahlen eindrangen. Sie liegt tiefer als die Grenze des Eindringens der optisch wirksamen Strahlen. Die Umständlichkeit der Untersuchungen ließ nur wenige Versuche in dieser Richtung zu, allein dieselben ergaben, daß man die Grenze der Lichteinwirkung auf Chlorsilber auf ungefähr 30 m setzen darf. –

Eine besondere Aufmerksamkeit widmete die wissenschaftliche Kommission der Erforschung der Lebewelt des Bodensees. Auch dieser Zweig der Limnologie ist jüngeren Datums. Erst verhältnismäßig spät wandten sich Zoologie und Botanik dem planmäßigen Studium unserer Süßwassertiere und -Pflanzen zu, um fast mit Erstaunen zu bemerken, welch’ großes weites Feld hier noch brach lag.

Welche Fülle von Lebewesen pflanzlicher und tierischer Natur birgt nicht schon ein kleines oder mittelgroßes Wasserbecken! In breitem Kranz umsäumt das Ufer hohes Schilf mit seinen charakteristischen braunen Kolben. Hornkraut und Tausendblatt bilden unterseeische Wiesen und senden ihre Zweige bis zur Oberfläche, auf welcher sie in langen Ranken treiben. Laichkraut treibt seine blaßroten Blütenrispen zur Oberfläche empor, und wie weiße Flecken glänzen Hunderte der kleinen weißen Blüten des Hahnenfußes: etwas tiefer im See wachsen die Armleuchtergewächse, Algen, deren vielfach aneinandergereihte Zellen in wirbelförmigen Bildungen von Scheinzweigen uns höhere Pflanzen vortäuschen und deren gelblichrote Fruktifikationskörper bei durchsichtigem Wasser aus der Tiefe heraufleuchten. Stellenweise schwimmen auf dem See

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0704.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)