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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Kampf verfolgt, in welchem die Buren, diese tapferen Söhne niederdeutschen Stammes, im fernen Südafrika Gut und Blut für ihre Unabhängigkeit und Freiheit einsetzen.

Erika Wedekind. (Mit Bildnis.) Wie ein Meteor ist dieser Name vor wenigen Jahren am Himmel der deutschen Gesangskunst aufgetaucht, aber er ist nicht, wie ein solches, rasch ins Dunkel zurückgekehrt, sondern hat an Glanz gewonnen und strahlt heute bereits weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus. Das Talent der jungen Sängerin, die ihn trägt, ist ebenso groß wie das Können, über welches die nicht viel über zwanzig Jahre zählende, hochstrebende Künstlerin verfügt.

Gar viele finden das seltene Glück, welches die Kunstnovize vom Konservatorium sofort, und zwar als Vertreterin erster Partien, auf die Dresdener Hofbühne versetzte, ganz erstaunlich. Sie vergessen dabei, daß Verdienst und Glück gar gern zusammengehen.

In Hannover geboren, verlebte Erika Wedekind auf dem schweizerischen Schlosse Lenzburg, das auf hohem Bergkegel das gleichnamige Städtchen überragt und das ihr Vater, der Arzt Dr. Wedekind, sich nach seinen Weltwanderungen als Ruhesitz käuflich erworben hatte, ihre Kindheit, umgeben von zahlreichen Geschwistern. Des geliebten Vaters segensreichen Beruf ausüben zu dürfen, erschien ihr als das stolzeste Ziel ihrer Mädchenwünsche: sie beschloß, Aerztin zu werden. Das väterliche Veto schnitt jedoch diesem Plan den Lebensfaden ab, und auch Erikas nunmehr erfaßte Idee, sich zur Lehrerin auszubilden, fand bei ihm wenig Sympathie. Sie hatte sich bereits mit ihrem Jugendgespielen Walther Oschwald verlobt, als sie sich über ihren Beruf zur dramatischen Gesangskunst klar ward. Im Jahre 1891 wurde sie Schülerin der einst vielgefeierten Sängerin und jetzigen berühmten Gesangsmeisterin Aglaja Orgeni in deren Spezialgesangsklasse am Dresdener Konservatorium, bei der ihr Talent eine vorzügliche Ausbildung fand.

Erika Wedekind als Regimentstochter.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph W. Höffert in Dresden.

Die Kunstnovize hatte bereits mehrfach bei der Mitwirkung in auswärtigen öffentlichen Musikaufführungen erfolgreich ihre außerordentliche Leistungsfähigkeit in der Kantilene sowohl, wie im kolorierten Gesange bewiesen, als sie bei Gelegenheit eines Wohlthätigkeitskonzertes in Dresden die zahlreiche Zuhörerschaft besonders durch den technisch tadellosen und auch geistig beseelten Vortrag der großen Scene aus „Norma“ zu lebhaftestem Beifall hinriß. Unter den Zuhörern befand sich auch der damals gerade erst zum Generalintendanten der Dresdener königl. Hoftheater ernannte Graf Seebach, der, die Bedeutung der jungen Sängerin und ihre Entwicklungsfähigkeit erkennend, sie sofort zu einem Probegastspiel auf der berühmten Kunststätte einlud, an der einst eine Schröder-Devrient gewirkt und die höchsten Triumphe edelster Kunst gefeiert hatte. Am 15. März 1894 debütierte Erika Wedekind als Frau Fluth in den „Lustigen Weibern von Windsor“. Wie Lerchenjubel erfüllte ihr silberheller, in köstlicher Jugendfrische blühender Sopran das weite Haus, das bald darauf von Beifallsstürmen wiederhallte, wie sie das schmucke Schweizerkind selbst in seinen kühnsten Hoffnungsträumen kaum hatte erwarten können. Erika Wedekind war mit einem Schlag der Liebling des Publikums und für die Kritik eine Persönlichkeit geworden, mit der man rechnen mußte und mit Freuden auch rechnete. Ihr Repertoire ist inzwischen sehr gewachsen; die fröhliche Marie in der Donizettischen „Regimentstochter“, die träumerische Thomas’sche Mignon uno das lustige Humperdinck’sche Gretel, die vornehme Leonore im „Troubadour“, die kokette Nedda im „Bajazzo“ und die zierliche Papagena in der „Zauberflöte“, das neckische Aennchen im „Freischütz“ und viele andere von Erika Wedekind verkörperte Operngestalten haben sich nicht allein durch ihre Wahrheit und Lebendigkeit, sondern auch durch interessante individuelle Züge in diesem Repertoire hervorragende Plätze gesichert. Durch einen neuen Kontrakt hat Graf Seebach die Künstlerin auf Jahre hinaus Dresden zu erhalten gewußt, wo sie jetzt in glücklicher Ehe als Frau Walther Oschwald lebt. M. Schramm-Macdonald.     

Glückliche Rettung. (Zu dem Bilde S. 744 und 745.) Am frühen Morgen war die „Ora et labora“ mit steifer Brise hinausgesegelt. Jan Pitter, der wackerste „Junge“ weitum auf den Inseln trotz seiner knapp 15 Jahre, der Stolz von Vadder wie von Bestmudder (Großmutter) Antje, Jan Pitter hatte gemeint, das würde heute einen „ganz farmosten Fang“ geben, da nach solcher Gewitterböe, wie sie in letzter Nacht über „Dat Eun“ (die Oe-Insel) wegfegte, der Fisch am besten ins Garn geht. Die lahme Bestmudder hatte freilich bedenklich dreingeguckt und gemeint: „Watt din Bestvadder wesen is, min söte Jung, de is ak jüs bi so ’n farmosten Fangwedder ‚bleven‘; schall dat nich angahn, dat du to Hus blivst? Mi schwant wat!“

„Aberst Mudder,“ war ihr der Hausvater ins Wort gefallen, „use Jan Pitter is doch keen ohl Wiev nich, dat sik vor ’en Mund vull Wind verkrupen deiht?“ Auch er würde gern bei dem „farmosten“ Wetter mit in See gehen, wäre es auch nur, um ein Auge auf den Jungen zu haben, müßte nicht notwendig das von dem letzten nächtlichen Sturm arg mitgenommene Dach heut geflickt werden. Antjemudder schweigt seufzend still und klein Antje schleppt für Bruder Jan die von Schwester Stine frisch geölten Seestiefel herbei, um doch auch ihr Teilchen an der Arbeit zum Aufbruch zu haben. Und dann geht Jan Pitter an Bord.

Lange dauert heute der Fang. Das Wetter ist bös geworden, ein Sturm hat sich erhoben. Immer wieder ist die Bestmudder mit ihren Enkeltöchtern vor die Thüre gegangen, um nach den Fischern zu schauen. In schwerer Herzensangst harren sie nun der Heimkehr Pitters drinnen beim Vater. Da, endlich – die Sonne sinkt schon hinter den Sturmwolken – kommen die Nachbarn gelaufen mit dem Ruf: „Se kamt, se sünd all dor!“ – Ja, sie kommen, die Fischerboote, kommen mit reichem Fang; allen voran die „Ora et labora“, also muß es an Bord wohl gut stehen! Aber was ist das? Ein Boot im Schlepptau? Mit niedergelegtem Mast und verworrenem Takelzeug? Der hat Unglück gehabt! Na, ’s ist wenigstens nicht die „Ora et labora“! – Und doch hat’s auch auf ihr Unglück gegeben! Knut Wilmsen trägt einen Verwundeten ins Haus – einen verwundeten jungen Helden! Knut erzählt, wie die schreckliche Hagelböe die nicht weit von der „Ora et labora“ fischende „Goldene Maria“ so hart getroffen, daß das wackere Boot sofort auf die Seite geworfen und seine drei Mann Besatzung wie Boßeln (Kegelkugeln) in die See gerollt wurden. Da war es nun der junge Jan Pitter gewesen, der auf seinem Fahrzeug nicht Ruh’ gab, bis man der „Goldenen Maria“ zu Hilfe kam. Alle drei Mann von dem verunglückten Boote hatte er zwar nicht retten können (der eine, der „Junge“, hat dran glauben müssen), wohl aber hatten ihm die anderen beiden ihr Leben zu verdanken. Freilich – so ’n paar Monate wird der arme Jan Pitter wohl in dem sauberen Himmelbette da in der Ecke zubringen müssen; er hat einen tüchtigen Knacks weggekriegt: das eine Bein ist gebrochen und mit dem linken Arme steht’s kaum viel besser! Doch bald werden sie alle nur noch daran denken, wie wacker ihr Jan sich gehalten hat. Er ist ’n höllsch strammer Bengel; Vadder und Bestmudder können stolz auf den Jungen sein; der bringt es noch zu ’was! Die paar kaputen Knochen heilen schon auch wieder zusammen; nach ’m Doktor ist ja gleich geschickt, der leimt und schindelt die Geschichte schon wieder zurecht! Und so wird denn Jan Pitter für einige Zeit „beigestaut“ und gut verpflegt.

Aber so stolz sie alle auf ihren Jan sind, geschwatzt und gerühmt wird nicht von seinem Heldenmut bis zur Selbstaufopferung für den Nächsten: solch kühne, waghalsige That gilt als etwas Selbstverständliches unter den wackeren Leuten von der Waterkant! H. Pichler.     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0771.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)