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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Halbheft 25.   1899.


Der König der Bernina.
Roman von J. C. Heer.
(6. Fortsetzung.)


12.

Es ist Spätherbst. Im Thal von Pontresina ächzen die Arven im Sturme; er rüttelt an den mit Brettern vernagelten Fenstern der Häuser, deren Bewohner in die Ferne gezogen sind.

Nur wenige Lichter schimmern.

Durch das Grauen der Sturmnacht schleppt sich ein Mann zu Thal – wo ein Lattenzaun ist, hält er sich daran und stöhnt – und neben ihm wartet geduldig sein Wolfshund.

„Malepart,“ keucht der Mann, „das war kein leichter Tag – es ist doch ein Unterschied – ein Mensch ist kein Bär!“

Er wankt hinkend vorwärts; er tritt wie ein Trunkener in sein Haus.

„Markus!“ – Und Frau Pia, die ihm mit dem Lichte entgegenkommt, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Ihr felsenfester Mann ist blaß wie der Tod.

„Still, Pia, still!“ stöhnt er, sich mit der letzten Kraft an den Wänden vorwärts tappend. „Ich bin angeschossen, das Blut rinnt mir am Bein.“

Und die Zähne des Erschöpften klappern – eine weitere Auskunft erhält die erschrockene neugierige Pia nicht. Sie jammert, sie hilft dem Verwundeten; sein düsterer Blick schließt ihr den Mund. Doch hätte auch sie ihm etwas zu erzählen, was ihre Gedanken gefangen hält! Ihr Bruder Orland hat ihr geschrieben und ihr ein buntes Tuch geschickt.

Das beschäftigt sie ebenso stark wie die Wunde ihres Mannes. Er sagt ja selbst, es sei nur ein Streifschuß, gefährlich bloß durch den Blutverlust auf mehrstündigem Weg.

Aber Markus hat sich kaum niedergelegt, so verwirren sich seine Gedanken, die Fieberrosen treten auf die bleichen Wangen. Und mitten in der Nacht beginnt er zu reden.

„Malepart, faß an!“ ruft er schweißgebadet.

Der treue Hund kommt ans Bett geeilt und beschnuppert seinen Herrn. Markus Paltram erwacht, er streichelt das struppige Tier. „Du hast den rechten Namen,“ stöhnt er finster. Da sieht er sein Weib an seinem Lager. „Pia, du darfst nicht hören, was ich rede!“

„Du hast ja noch gar nichts gesagt, als dem Hund gerufen,“ erwidert sie mit jener Sanftmut, die an ein glattes Raubtier erinnert.

Da rollt er seine brennenden Augen. „Doch, doch – aber der Schuft hat mich von hinten angeschossen!“

Die folgenden Tage bebt er im Fieber, der Schweiß perlt an seiner Stirn, unablässig geht seine Rede – doch nur das wenigste versteht die horchende Pia, die eine bessere Krankenpflegerin ist, als man von der ehemaligen Ziegenhirtin


Mistelgauerin im Brautschmuck.
Nach dem Gemälde von Heinr. Stelzner.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0773.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)