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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

für immer, denn wenige Monate darauf erlag sie einem langwierigen Leiden.

Washingtons Reise nach New York gestaltete sich zu einem förmlichen Triumphzuge. Von nah und fern strömten die Bewohner des Landes herbei, um den „Vater des Vaterlandes“ zu begrüßen. Ueberall ertönte bei seinem Einritt feierliches Glockengeläute; überall bestreuten liebliche Mädchen und Frauen seinen Pfad mit duftenden Blumen. Von Elisabethtown brachte ihn endlich eine reich geschmückte Staatsbarke nach New York, wo am 30. April angesichts einer gewaltigen Menge auf dem Balkon des Bundeshauses die feierliche Ceremonie seiner Vereidigung erfolgte.

Was Washington in jener Stunde gelobte: dem Lande mit ganzer Kraft, nach bestem Wissen und Vermögen zu dienen, das hat er während der acht Jahre seiner Amtswaltung getreulich gehalten. Sein Kabinett bildete er aus Männern von bewährtem Verstande, unantastbarem Charakter und erprobter Vaterlandsliebe, in einträchtigem Zusammenwirken mit ihnen entfaltete er eine Staatskunst, daß die Blicke der ganzen civilisierten Welt sich voll Erstaunen auf das unter so schweren Kämpfen aus dem Boden gesprungene neue Staatengebilde richteten.

Vertieft man sich in die Einzelheiten der damaligen Geschichte der jungen Republik, so kann man sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß der Triumph des neuen Systems wesentlich auf dem Vorhandensein eines so glänzenden Charakters wie Washington beruhte. Der zwingenden Macht seiner Persönlichkeit gelang es, die drohenden Kämpfe der verschiedenen, um die Herrschaft ringenden Parteien so lange niederzuhalten, bis die gefährliche Periode überstanden war und sich aus dem gärenden Chaos die neue Regierungsform fest und sicher gegründet hatte.

Während dieser oft genug von heftigen Stürmen durchtobten Zeit fehlte es nicht an gehässigen Angriffen der gegnerischen Presse auf Washingtons Person; aber dieselben vermochten das Vertrauen und die Ergebenheit des Volkes niemals zu erschüttern. Ohne jede Frage würde, als sein zweiter Amtstermin zu Ende ging, seine Wiederwahl mit der gleichen Einstimmigkeit wie in den Jahren 1789 und 1793 erfolgt sein, hätte er nicht den bestimmten Wunsch geäußert, den Rest seiner Tage auf Mount Vernon zu verleben. Die Abschiedsbotschaft, welche er bei seinem Rücktritt vom Amte an das Volk der Vereinigten Staaten richtete, war ein kostbares Vermächtnis, das bis in die neueste Zeit als die goldene Richtschnur für das politische Leben des Staatenbundes gegolten hat.

Hatte Washington im Kriege und im Rate seiner Nation als erster gegolten, so suchte er in der Zurückgezogenheit des bürgerlichen Lebens eine Ehre darin, der erste Landwirt Amerikas zu sein. Beständig war er auf die Verbesserung seiner Güter bedacht. Unter den vielen Schätzen des Hauses befand sich ein silberner Becher, den er mit besonderem Stolze zeigte: der ihm zugefallene, von einem Verein von Landwirten ausgesetzt gewesene Ehrenpreis für die Züchtung des größten Maulesels.

Washington war einer der bedeutendsten Landeigentümer seiner Zeit. Seine Besitzungen umfaßten weit über 51000 Acres (1 Acre = 40 Hektaren). In Mount Vernon allein beschäftigte er über 300 Personen, darunter zahlreiche Sklaven, die, wie von dem edlen Menschenfreunde nicht anders zu erwarten ist, sich der humansten Behandlung erfreuten. Washington war der Beibehaltung der Sklaverei durchaus abgeneigt und vermied es ängstlich, die Zahl seiner Sklaven zu vermehren. Die Aufhebung der Sklaverei war bereits im Jahre 1688 von den deutschen Bewohnern der bei Philadelphia gelegenen Ortschaft Germantown (vgl. S. 629 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“) angeregt und später von den mit ihnen in Verbindung stehenden Quäkern aufgenommen worden. Aber die Frage war für die Kolonien von so tief einschneidender Wichtigkeit, daß die gesetzgebenden Körperschaften nicht wagten, an dieselbe heranzutreten. Als am 11. Februar 1790 im Kongreß eine von den Quäkern eingereichte und die Abschaffung der Sklaverei befürwortende Denkschrift aufgenommen wurde, entstand im ganzen Lande die ungeheuerste Erregung. Würde man dem Willen der Antragsteller entsprochen haben, so wäre schon damals ein verhängnisvoller Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden die unausbleibliche Folge gewesen; aus diesem Grunde wurde der Antrag im März abgelehnt und dem Kongreß die Befugnis abgesprochen, sich vor dem Jahre 1808 nochmals mit der Sklavenfrage zu beschäftigen. Dieser Entschluß war nicht zum geringsten dem Einfluß Washingtons zuzuschreiben, welcher die Union noch zu wenig gefestigt glaubte, um einen solchen Konflikt überstehen zu können. Er sah die furchtbaren Reibungen, die wegen der Sklavenfrage zwischen dem Norden und Süden entbrennen mußten und siebzig Jahre später den entsetzlichen Bürgerkrieg verursachten, voraus. Mehr als einmal äußerte er sich: „Ich wünsche aus dem tiefsten Grund meines Herzens, daß Virginien dazu gebracht werden könnte, die Sklaverei aufzuheben, weil dadurch viel späteres Unheil vermieden würde.“ Selber jene Frage aufzurollen, dazu hielt er sich für zu alt, hatte er doch, als er sich vom Amte zurückzog, bereits das 65. Lebensjahr überschritten.

Washingtons damalige persönliche Erscheinung war nach Aussage aller seiner Zeitgenossen höchst imposant. Sechs Fuß und 31/2 Zoll messend, breitschulterig und athletisch gebaut, kam seine Gestalt in dem von ihm mit Vorliebe getragenen Gewand aus schwarzem Sammet aufs vorteilhafteste zur Geltung. In dem edelgeschnittenen Gesicht bekundete ein Paar großer, ausdrucksvoller blaugrauer Augen Milde, die festgeschlossenen Lippen hingegen einen energischen Charakter. Das Haar trug er nach der Sitte damaliger Zeit in einen Zopf gebunden und gepudert. Weißseidene Kniestrümpfe, ein dreieckiger, mit Federbesatz geschmückter Hut, gelblederne Handschuhe und ein langer Stoßdegen mit feingearbeitetem Stahlgriff und weißlederner Scheide verliehen ihm einen echt ritterlichen Anstrich. In der kleidsamen Uniform der Revolutionsarmee kamen die Vorzüge seines Körpers fast noch mehr zur Geltung, wofür ein von John Trumbull im Jahre 1790 gemaltes Porträt, das Washington im Kriegsgewande an den Sattel seines weißen Schlachtrosses gelehnt darstellt, den besten Beleg bietet.

Eine über das Elementare hinausgehende Schulbildung hatte er nie genossen. Verhältnisse nötigten ihn bereits in seinem 14. Lebensjahre, den Schulbesuch aufzugeben. Den größten Teil seines Wissens verdankte er eifrigem Lesen und eigenem Nachdenken. Welchen Eindruck Washington auf seine Zeitgenossen machte, geht am besten aus einer Schilderung des französischen Schriftstellers Chastelluz hervor, der als Offizier an den amerikanischen Freiheitskämpfen teilnahm und 1788 in Paris starb. Er schrieb: „Wenn man uns Medaillen von Cäsar, Trajan oder Alexander vorlegt, so untersuchen wir die Gesichtszüge dieser Kaiser, fragen aber dann wohl noch, wie ihre Gestalt beschaffen gewesen, ob sie groß gewachsen waren, und dergleichen mehr. Finden wir dagegen, unter Schutt versteckt, den Kopf oder irgend ein Glied Apolls, so halten wir uns überzeugt, daß die übrigen Teile ebenfalls die Vollkommenheit besaßen, welche das Bild eines Gottes haben muß. Damit will ich ohne Uebertreibung den Eindruck bezeichnen, welchen Washington auf mich gemacht hat. Er erschien mir als ein vollendetes Ganzes, und dies sage ich ohne Schwärmerei, welcher die Untersuchung der einzelnen Teile eines Gegenstandes immer entgegenwirkt.“

Ein längerer Lebensabend war Washington leider nicht beschieden; seine Ehe war kinderlos geblieben. Während eines am 12. Dezember 1799 unternommenen Rittes trug er, von einem schrecklichen Unwetter überfallen, eine Erkältung davon, der er keine genügende Beachtung schenkte. Das Unwohlsein verschlimmerte sich schnell und führte zu krampfhafter Zusammenschnürung der Luftröhre. Die bis zum Uebermaß angewendete Blutentziehung durch Aderlässe, sowie andere primitive Mittel damaliger Zeit brachten keine Linderung. Zusehends verschlechterte sich das Befinden des Leidenden, und bereits am Nachmittage des 14. Dezember fühlte er, daß ihm nur noch eine kurze Frist auf Erden gegeben sei. Nachdem er die letzten Anordnungen getroffen hatte, erwartete er das Ende voll Fassung und wehmütiger Resignation. Mit stillem gütigen Lächeln, das sein Gesicht verklärte, reichte er seiner Gattin und allen um sein Sterbelager Versammelten die Hand zum Abschiede und traf dann noch die Anordnungen für seine Beerdigung. Zwischen 10 und 11 Uhr abends wurde sein Atem leichter. Er lag friedlich da, zog die Hand aus der seines Privatsekretärs Lear und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0783.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2023)