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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Die vornehmsten Generale und Minister, Sire, sind schon für den Anschlag gewonnen, besonders Grumbkow und der Fürst von Dessau, der ja seit langer Zeit ein intimer Freund des Prinzen Eugen ist!“

Der König sagte nichts; er versank in tiefes Schweigen; man sah es ihm an, daß es mächtig in ihm arbeitete; seine Brust hob sich, seine Nasenflügel zitterten; tiefe Falten durchfurchten seine Stirn. Dann schüttelte er wie mit einem Ruck alles von sich ab.

„Das ist unglaublich, das sind Märchen – wie darf ich mich dadurch verblüffen lassen? Lug und Trug ist alles!“

„Geruhen Euer Majestät nur diese Aktenstücke näher anzusehen. Es sind Briefe des Prinzen Eugen an Graf Flemming!“

Der König griff hastig danach. „Doch es ist heute schon zu dunkel hier draußen und in mir. Komm’ Er morgen wieder hierher um die gleiche Stunde – vorher will ich die Dokumente prüfen.“

„Schenken Sie mir Ihr volles Zutrauen – ich werde es zu verdienen wissen! Man wünscht für den Plan die Zustimmung der Seemächte; darum hat man mich beauftragt, nach dem Haag zu reisen; ich hoffe dort noch mehr thun zu können, um die Gewitterwolken zu zerteilen, die über Ihrem Haupte schweben. Sie erlauben mir gewiß, Sire, bald dorthin zu reisen.“

„So bald noch nicht; erst müssen wir im klaren sein!“

„Und dann bitt’ ich Eure Majestät um das tiefste Geheimnis!“

„Das versprech’ ich Ihm, Monsieur! Das paßt mir selbst! Ich werde alles prüfen, genau prüfen – sei Er versichert! Also – bis auf weiteres!“

Der König kehrte zu seinem Wagen zurück in einem Zustand tiefster Niedergeschlagenheit. Ein Landmann, dem die ganze Ernte verhagelt wurde, könnte nicht in ein trostloseres, dumpferes Brüten versenkt sein. General Forçade fragte anteilvoll, ob dem Könige etwas Widriges oder Unheilvolles begegnet sei. Doch dieser schüttelte bloß mit dem Kopfe. In der Nähe des Schlosses ließ er halten; er befahl den Insassen des Wagens, dem Kutscher und den Bedienten, bei ihrem Leben niemand mitzuteilen, daß er auf einige Zeit den Wagen verlassen habe; alle verneigten sich in tiefem Respekt.

Im Schlosse angekommen, begab sich der König in sein Kabinett, befahl aufs strengste, ihn nicht zu stören, und legte vor sich auf den Tisch die verhängnisvollen Briefe. Er griff danach – und, doch zog er wieder die Hand zurück, stand auf und ging mit unruhigen Schritten auf und ab. Dann blieb er vor dem Tische stehen. „Man muß zugreifen – in die Brennesseln hinein – wenn’s auch juckt und brennt!“

Vorsichtig griff er nach dem obenauf liegenden Briefe, wie man nach einem häßlichen Insekte greift, dem man giftige Eigenschaften zutraut.

Es war ein Brief des Prinzen Eugen an Clement. Der König kannte die Handschrift des Prinzen. Der Inhalt des Briefes bestätigte alle Aussagen des ungarischen Edelmannes. Es handelte sich in der That um einen Anschlag auf die Person des Königs; auf Grumbkow und den Fürsten von Dessau fielen verdächtigende Schatten. Dem König schoß das Blut ins Gesicht – er knöpfte sich den Rock auf – welch beklemmendes Gefühl! Seine besten Freunde! Und der berühmte Feldherr war solcher niedrigen Anschläge fähig! Erregt las er weiter: zwei Briefe des sächsischen Ministers Flemming an die Vertreter der Seemächte im Haag! Nun, der Kursachse war ein bitterböser Feind – dem konnte man eher dergleichen freundnachbarliche Liebesdienste zutrauen. Auch ließen die Briefe keinen Zweifel: man wollte mit den Seemächten gemeinsam handeln, wenn nur erst der preußische König beiseite geschafft wäre. Die Sache selbst sei nicht schwer! König August hatte ja schon früher einmal die Fürsten Jakob und Konstantin Sobieski auf der Jagd, einige Meilen von Breslau, gewaltsam entführen lassen! Nun kamen Briefe der kaiserlichen Kanzleien, Briefe untergeordneter Geister, aber sie alle waren eingeweiht in den verwegenen Plan! Und was durfte Preußen vom Kaiser in Wien erwarten? Hatte der Hof doch bei jedem Anlaß feindliche Gesinnung gezeigt, den Magdeburger Adel in Schutz genommen, als er sich heftig über die königlichen Lehnsverordnungen beschwerte. Ja, so empörend das alles war, so glaubwürdig war es! Die Welt war voll von Feinden, das aufstrebende Preußen war allen verhaßt, ein Eindringling in den Kreis der Großmächte, ein Staat von gestern, der das Morgen für sich haben wollte!

In so düstere Gedanken versenkte sich des Königs Gemüt. Der Schlaf floh ihn die ganze Nacht; oft stand er auf und trat ans Fenster. Es war eine rauhe Dezembernacht. Der Wind jagte die Wolken und schüttelte die Bäume; sie hatten ihm nichts mehr zu geben, kein fröhliches Rauschen, keine wehenden Blätter zum Spiel; nur die kahlen Reiser knackten und fielen herunter, nur die alte Eiche am Parkthor raschelte noch mit ihrem gebräunten Blätterwerk und ließ sich aus ihrer Krone ein paar welke Zierden ihrer längst aufgegebenen sommerlichen Pracht rauben.

Ein schwermütiges Wetter! – Da schlich das Mondlicht aus den Wolken hervor, um sich bald wieder dahinter zu verstecken, und die Baumschatten glitten gespenstisch über die Wiesen – waren es schleichende Raubgesellen? Das dunkle Gebüsch dort war voll von Hinterhalten wie die ganze Welt! Doch das sind nicht die schlimmsten, die dort hinten im Versteck lauern – nein, die anderen, die neben uns sitzen, die uns freundlich anlächeln, die treuen Waffenbrüder, die nichtswürdigen Halunken! Und hatte der König mit einem kräftigen Fluch so den Spuk verscheucht, dann legte er sich müde zur Ruhe; doch in seinen Träumen sah er, wie ihm der Dessauer den Degen in den Leib stieß, Grumbkow mit einem ermutigenden Lächeln ihm zurief: „Nur tiefer!“

Am nächsten Tage war der König in der übelsten Laune; er ließ niemand vor in sein Kabinett. Er konnte es kaum abwarten, bis der Abend herankam, die Stunde, für die er Clement in den Garten bestellt hatte. Was wollte er von ihm? Die schriftlichen Beweise lagen ja in seiner Hand! Doch es drängte ihn, darüber zu sprechen. Wem konnte er sonst sein Herz ausschütten? Doch nicht den Verrätern, die ihn umgaben? Und mit seinem Königswort hatte er Verschwiegenheit gelobt.

Diesmal dauerte die Begegnung noch länger als das erste Mal. So gläubig und abergläubisch der König auch war, so war er doch auch dem Fremden gegenüber voll Mißtrauen. Manche Zweifel tauchten in seiner Seele auf, und doch schämte er sich derselben wieder gegenüber einem Manne, der aus eignem Antrieb zu seiner Rettung aus verräterischen Schlingen gekommen war. Und wie glänzend widerlegte nicht Clement alle Bedenken, auch die unausgesprochenen, die er aus des Königs Mienen herauslas! Wie war er bewandert in der Politik des Tages, in allen Geheimnissen der Kabinette! Er schien sie zu erhaschen, ehe sie noch aus den Tintenfässern der Diplomaten herausgekrochen. War er allgegenwärtig in Europa? Er wußte, was Alberoni in Spanien wollte und der Prätendent in Schottland! Vollends die Wiener Politik, die Politik des heiligen römischen Reiches, verstand er zu des Königs besonderem Vergnügen wunderbar zu zergliedern! Und eine große Schadenfreude bereitete es diesem, als er erfuhr, wie der Prinz Eugen, der ihm selbst nach der Krone trachtete, dort an der Donau von erbitterten Feinden verfolgt wurde, die ihm sogar Ruten banden aus seinen Lorbeerreisern.

Clement bat den König jetzt wieder, nach dem Haag reisen zu dürfen, wie es dem Auftrag von Wien und Dresden entspräche. Wenn er nicht bald dort erschiene, so würde dies Befremden erregen bei den sächsischen und österreichischen Diplomaten, und das wäre noch zu früh für seinen Plan, den König zu retten; er müßte erst auch im Haag den Seemächten an den Puls fühlen!

„Weiß am besten, wie dies geht!“ sagte der König lächelnd. „Mein lieber Schwager, der König von England und Kurfürst von Hannover, haßt mich mehr als sein abgedanktes, treuloses Weib, das hinter Schloß und Riegel sitzt. Er, Monsieur, wird da nicht viel thun können zu meinen Gunsten; aber er wird sehen, daß die Schubjacks von Diplomaten sich überall gegen mich verschworen haben! Ehrliche Kerle können sie nicht brauchen in dem heutigen grundfaulen Europa!“

„Also, darf ich reisen?“

Der König zögerte.

„Nicht so rasch, ich brauch’ Ihn noch hier. Möcht’ mit Ihm plaudern, sonst erdrückt es mich! Nach einigen Tagen – ja! Werd’s überlegen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0788.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)