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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

und beiseite geschobenen Beamten gehörte auch der Sekretär Bube, dessen Gehalt verkürzt worden war, weil man sich in seinem Departement einschränken wollte, und der deshalb aus dem Staatsdienst ausgetreten war und eine Stelle als Sekretär bei dem General Grumbkow angenommen hatte. Doch dieser hochmütige und zornwütige Herr behandelte ihn so schlecht, daß er auch gegen diesen Gift und Galle im Herzen hegte.

Am nächsten stand dem ungarischen Abenteurer der weimarische Resident Lehmann, der mit ihm schon längere Zeit Hand in Hand ging und im Auftrage des sächsischen Ministers Flemming mit ihm schon mehrmals in Berlin zusammengetroffen war, wo beide ihre Erfahrungen ergänzten und ihre Pläne austauschten. Lehmann war ein feiner Kopf, reserviert, hinterhältig; er spielte sich durch würdevolles Benehmen auf den großen Staatsmann hinaus; aber diese Würde erlitt durch seine klapperdürre Gestalt und seine bisweilen schlenkrichten Manieren wiederum Einbuße.

Die drei Männer hatten aus ihren Kabinetten allerlei Aktenstücke entwendet, die sie nun mit wichtigen Briefschaften dem Ungarn zur Verfügung stellten, und zwar zu einem doppelten Zweck. Einmal wollte er mit seiner aufs höchste ausgebildeten Schreiberkunst die Handschriften der Staatsmänner kopieren, um sie nachahmen zu können, dann aber erfuhr er mancherlei, was er dem König mitteilen konnte. Die Bestätigung blieb in der Folge nicht aus – und der König gewann so eine hohe Meinung von der Allwissenheit seines Vertrauten! Es wurde viel beraten und geschrieben. Ein Tintenfaß fehlte zwar in dem Boudoir der schönen Dame; doch die anderen hatten Gänsefedern und kleine tragbare Behälter für den gefährlichen Saft mitgebracht, mit dem die Diplomaten damals das Staatsleben vergifteten. Heidekamm hatte das Unglück, sein Tintenfaß auf eine prächtige Figurenstickerei zu verschütten, so daß einige Engel wie mit höllischem Ruß angeschwärzt wurden.

„Ich würde der guten Dame,“ sagte er, „Schadenersatz leisten, wenn ich noch meine gestrichene Pension hätte. So mag sie denken, der Teufel habe hier sein Spiel getrieben, was ja in den Boudoirs unserer Damen oft genug der Fall ist.“

Clement hatte eine reiche Ernte in seiner Manteltasche, als die Genossen aufbrachen, er verabschiedete sich von ihnen. Es war jetzt seine feste Absicht, bald nach dem Haag abzureisen, und er gab ihnen seine dortige Adresse an.

In der That bestand er bei seiner nächsten Zusammenkunft mit dem König darauf, die Reise antreten zu dürfen; er setzte ihm mit seiner glänzenden Beredsamkeit auseinander, wie er dort für ihn wirken, wie er den Seemächten in die Karten sehen könne. Und wie groß die Gefahren waren, die jetzt den gekrönten Häuptern drohten, das mochte die Kunde von zwei Ereignissen dem König zeigen, die Clement tags vorher von Bube erfahren hatte, Nachrichten von Grumbkows Berichterstattern im Auslande, die der König noch nicht gehört hatte, die ihm erst mitgeteilt werden sollten, wenn sie so zurecht gekocht waren, wie es die Neigung und Laune des Fürsten, wie es das Bedürfnis des Augenblicks verlangte.

„Sire,“ sagte Clement, „eine Trauernachricht! König Karl XII von Schweden ist in den Laufgräben von Friedrichshall erschossen worden.“

Der König schwieg betroffen still.

„Wir stehen alle in Gottes Hand,“ sagte er dann, seinen Hut lüftend, als forderten Trommelwirbel zum Gebete auf. „Ein schöner Tod, von feindlichen Kugeln zu fallen.“

„Man fürchtet, Sire, daß es nicht feindliche Kugeln waren.“

„Nicht feindliche Kugeln?“

„Die Kugel eines Meuchelmörders aus den Reihen der Schweden selbst, die sich gegen den König verschworen hatten!“

„Und wer, wer sollte …?“

„Kavaliere aus der Nähe des Königs, seine intimsten Vertrauten, die ihm im Herzen grollten wegen seiner unersättlichen Kriegslust und weil er die Herrschaft nicht mit den Ständen teilen wollte.“

„Womit er nur recht hatte! Und deshalb ermordet?“

„Ja, Sire! So unglaublich es klingt, es ist die Wahrheit! Aber hören Majestät nur weiter, was aus Frankreich für Nachricht kommt! Der Herzog von Maine und die Herzogin sind verhaftet worden, weil sie sich der Person des Regenten bemächtigen wollten. Der spanische Gesandte, Graf Cellamare, war mit im Komplott, in seinem Hause tagten die Verschwörer.“

„So wühlt überall der Verrat?! Recht, recht! Man muß sich die Bösewichter beizeiten vom Hals schaffen! Meinetwegen – so geh’ Er nach dem Haag, wenn Er glaubt, mir dort am besten dienen zu können, doch halt Er mich auf dem Laufenden. Er wird mir fehlen – hab’ mich gewöhnt, mit Ihm zu plaudern – warum weiß Er alles eher als meine Generale und Staatsgelehrten? Warum erfahre ich alles zuletzt?“

„Die sitzen hoch zu Pferde, Sire! Ich aber liege auf der Erde und lausche, wenn sie zu dröhnen anfängt von den Rossehufen der nahenden Feinde.“

„Hör’ Er, ich bin Ihm Dank schuldig und rechne auf fernere Dienste. So werd’ ich Ihm sofort zehntausend Thaler anweisen lassen.“

„Ich danke, Sire! Ich lehne das Geschenk ehrfurchtsvoll ab. Wenn auch meine Güter in Ungarn noch nicht alle freigegeben sind –“

„Doch man sagte mir, daß Er Schulden hätte.“

„Ungeduldige Gläubiger lasse ich warten! Denn ich habe meine Ressourcen, Sire, und ich lasse mir nicht bezahlen, was ich um der guten Sache willen thue.“

Friedrich Wilhelm war nie überzeugter als in diesem Augenblick, daß er ein preisgegebenes Wild sei, auf welches aller Orten die Jäger lauerten – dieser Clement war ein durchaus uneigennütziger Mann, wie selten einer! Aber wenn er sich auch über den braven Kerl freute – um so größer war sein Zorn über die Verräter, vor denen er ihn gewarnt hatte. Er entließ ihn in Gnaden und war mit sich selbst einig, daß er ihn bald zurückrufen werde.

Schon am nächsten Morgen reiste Clement nach dem Haag ab.

(Schluß folgt.)     


Verwandtenbesuch.

Skizze von Karl Wolf.
(Zu dem nebenstehenden Bilde.)

G’rad’ so viel gut spinnen kann’s.“

Das war das höchste Lob, die größte Anerkennung, welche die alte Weggütler Bäurin einem Dirndl ihres Dorfes zollte. Die gute, alte Frau stammte eben noch aus jener Zeit, wo man auf einem Tiroler Bauernhofe kein Stück Linnen im Schrein fand, welches nicht im Hause gesponnen wurde. Heute noch zeigte sie gelegentlich einmal ihr Brauthemd, dessen Linnen allerdings schon vergilbt war, aber an den feinen, gleichmäßigen, zarten Fäden konnte man erkennen, daß die alten, zitternden Hände, zwischen deren Fingern heute nur knotiger und struppiger Faden auf die Spule rollte, daß diese Hände einst Meister waren in der Kunst des Spinnens.

Weggütler Bäurin! Du lieber Himmel, eigentlich war es nur eine Kleinhäuslerin. Das kleine Gütchen war die Aussteuer, als einst die reiche Großbauerntochter vom Knechte nicht ablassen wollte. Ihrer Abstammung zuliebe aber nannte man ihren Mann Bauer, ein Titel, unter dem sich schon ein gut Stück Feld, Wald und Wiese versteht und ein großer Stall voll stattlicher Rinder.

Hatte die reiche Bauerntochter damals verschmäht, irgend einen Protzen zum Mann zu nehmen und dafür zu den Ersten des Dorfes zu gehören, so war doch mit ihr beim Weggütler das Glück eingezogen und die Zufriedenheit. Der Mann arbeitete von früh bis spät, und sie wirtschaftete im Haus herum und vermißte gar nicht die gefüllten Schreine und Truhen des väterlichen Hauses. Hatte der Weber das bißchen Garn aufgearbeitet, so freute sie sich über die Leinwand, und brachte der Mann vom Wochenmarkt einige Gulden heim, so empfanden beide die Genugthuung, daß es mit eigener Hände Arbeit sauer erworbenes Geld sei.

Großer Familiensegen war den Leuten nicht beschieden. Nach den ersten drei Jahren ihrer Ehe zappelte ein Töchterchen in der mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0792.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)