Seite:Die Gartenlaube (1899) 0850.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Grünes Gras.

Eine Backfisch-Geschichte von Eva Treu (Lucy Griebel).

So, nun war mein Koffer fertig gepackt! Es war ein großer Koffer, und er enthielt eine ganze Menge Sachen. Beinahe war ich erstaunt darüber, daß ich überhaupt so viele hübsche Dinge besaß; es war mir früher nie so aufgefallen wie jetzt, da einmal alles auf einen Haufen kam. Mutter freilich fand, als sie einen Blick in meine beinahe leere oberste Kommodenschieblade that, in der ich sonst alle meine Kostbarkeiten aufzubewahren pflegte, daß es sehr überflüssig sei, auf eine vierwöchige Reise so viel mitzunehmen.

Wozu ich das Photographiealbum eingepackt hätte, das sicher drei Pfund wöge, fragte sie erstaunt – und wozu das Poesiealbum? Und was ich mit drei oder vier Novellenbüchern, die ich ja doch schon gründlich kannte, auf der Reise beginnen wollte, und was mit meinen sämtlichen Parfümflaschen und allen Handschuhen, Schleifen und Schmucksachen, die ich überhaupt besäße?

Was ich damit wollte? Ja, das konnte ich so in der Geschwindigkeit auch nicht sagen. Aber wozu hat man denn hübsche Sachen, als daß man sie mitnimmt und zeigt, und man kann doch immer nicht wissen, wozu es gut ist. Jedenfalls waren sie nun einmal in meinem Koffer, und zwar ganz unten auf dem Grunde, was ich Mutter mit einem geheimen Triumphgefühl sagte, denn sie konnte doch nicht von mir verlangen, daß ich alles wieder auspacken sollte. So klappte ich den Koffer denn schnell zu und setzte mich mit aller mir zu Gebote stehenden Wucht auf den Deckel, um ihn zuzudrücken, was sonst wohl kaum gelungen wäre. Allerdings war mein Körpergewicht auch nicht übermäßig groß, aber es half doch etwas.

Ich blieb auf meinem Koffer sitzen und schlenkerte mit den Füßen, wobei ich nicht umhin konnte, wieder einmal zu bemerken, daß dieselben doch wirklich recht klein und schmal wären, besonders in diesen zierlichen Spangenschuhen.

Ueberhaupt war ich augenblicklich mit mir und der Welt so recht von Herzen zufrieden, und darüber braucht sich niemand zu wundern, denn ich sollte am nächsten Tage in aller Frühe ganz allein auf eigene Hand eine Vergnügungsreise antreten zu meiner Tante Renate, die mich schon im Frühling eingeladen hatte.

Tante Renate war eine unverheiratete Stiefschwester meiner Mutter, also eine alte Jungfer. Eigentlich klang das ja nicht gerade sehr verlockend, bei einer alten Jungfer auf Besuch gehen zu sollen; Mutter hatte mir aber gesagt, daß Tante gesellig lebte, und überdies sind solche alte Damen ja mitunter recht nett, schenken ihren jungen, hübschen Nichten allerhand Sachen, die wegen ihrer Altmodischkeit jetzt wieder modern sind, und zeigen sich auf andere Weise erkenntlich dafür, daß man ihre einsame Häuslichkeit durch seine Jugend ein bißchen belebt.

Gesehen hatte ich Tante Renate noch nicht, doch hatte sie im vorigen Winter zu meinem ersten Ball ganz aus eigenem Antriebe sehr hübsche Zweige von Heckenrosen geschickt, was ich nett von ihr fand. Ich dachte sie mir so ähnlich aussehend wie Mutter, die ziemlich stark war, deren Haar früher schwarz und dick war, in den letzten Jahren aber dünn und grau geworden ist, die aber ein liebes, gutes Gesicht hat, gerade so, wie ich es mir nur für meine Mutter wünschen kann, obgleich Mutter manchmal recht – na, das ist einerlei und gehört nicht hierher!

„Mutter,“ sagte ich, vergnügt zu ihr emporsehend, wie sie so vor mir dastand, „ist Tante eigentlich so in der Art wie du?“

„Ach bewahre, Kind! Ganz anders! Ich sehe meiner Mutter ähnlich und Renate der ihrigen, wenigstens that sie das früher. Wie sie jetzt aussieht, kann ich, nachdem ich sie seit acht Jahren nicht gesehen habe, freilich nicht wissen.“

„Nein, Mutter, ich meine eigentlich, ob sie im Wesen dir ähnlich ist.“

„Nein, durchaus nicht,“ sagte Mutter wieder. „Unser Lebensgang ist auch so verschieden gewesen, daß es gar nicht möglich wäre.“

Das konnte ich begreifen. Mutter hatte jung geheiratet und immer einen großen Hausstand gehabt. Tante Renate dagegen hatte natürlich als alte Jungfer immer ein sehr bequemes Leben geführt, und gewiß war sie altmodisch und sehr gefühlvoll, obgleich ihre Briefe eigentlich nicht gerade so klangen.

„Mutter,“ fing ich wieder an, „sie ist nett, nicht?“

„Sehr,“ sagte Mutter mit großem Nachdruck, „jedermann hat sie gern. Ich kann nur wünschen, daß du möglichst viel von ihr lernst und ihr recht ähnlich wirst.“

Ich sah erstaunt auf, sagte aber nichts. Es war doch eine absonderliche Zumutung, daß ich mit meinen siebzehn Jahren einer alten Jungfer ähnlich werden sollte. Nach einer Pause fing ich dann doch wieder an:

„Mutter, wie geht es eigentlich zu, daß wir gar kein Bild von Tante Renate haben?“

Mutter lachte ein bißchen. „Wir haben eins gehabt, Kind, eins aus ihrer Jugendzeit. Das hat mir einmal jemand heimlich entführt, der sich damals sehr für sie interessierte. Seitdem haben wir dann keines wieder bekommen. Wenn man älter wird, mein Kind, fühlt man nicht mehr beständig den zwingenden Drang in sich, sein Gesicht vervielfältigen zu lassen. Aus solchen Dummheiten wachsen vernünftige Menschen bald heraus!“

Das sollte natürlich auf mich gehen, und es war ja richtig: ich hatte, seit ich eigenes Taschengeld erhielt, dem Photographen öfter zu verdienen gegeben. Aber, liebe Zeit, wenn man doch gut aussieht und so oft um sein Bild gebeten wird! Es hätte ja allerdings nicht gerade immer Kabinettformat zu sein brauchen, aber der Unterschied im Preise ist ja so gering!

Uebrigens gönnte mir Mutter die Ruhe auf meinem Koffer nicht länger, sondern forderte gebieterisch, daß ich erst mein Zimmer aufräumen und dann für das Abendbrot sorgen sollte, und obgleich mich die eine Beschäftigung ebenso wenig anlockte wie die andere, wußte ich doch, daß kein Entrinnen war, wenn Mutter etwas befahl.

Also räumte ich erst mein Zimmer auf, wozu ich erhebliche Zeit brauchte, sorgte dann für das Abendbrot, trank in aller Geschwindigkeit Thee und schlüpfte darauf noch heimlich aus der Gartenpforte, um Reseda adieu zu sagen. Reseda ist meine allerbeste Freundin! Eigentlich heißt sie Therese, aber ich finde es poetisch, sie Reseda zu nennen. Es hätte wohl im Grunde kein Hindernis vorgelegen, einfach frei durch die Hausthür über die Straße zu ihr zu gehen, doch mich dünkt immer, die kleinen Heimlichkeiten geben der Freundschaft – wenn es nämlich allerbeste Freundschaft ist – ganz besonderen Reiz!

Reseda war aber nicht zu Hause; auch ihre Eltern waren ausgegangen, und nur Wulf, Resis Bruder, saß auf der Bank neben der Hausthür und machte ein schwermütiges Gesicht.

Wulf studierte Forstwissenschaft und war nur auf einige Zeit zu Hause, um seinen kranken Arm zu heilen, den er sich bei einem Sturz vom Fahrrade verletzt hatte und noch in einer Binde trug. Er war sehr hübsch, hatte eine schlanke Figur, braune, gewöhnlich lustige Augen und einen sehr flotten, dunkelblonden Schnurrbart über weißen Zähnen. Als Radfahrer leistete er Vorzügliches, und Karl, mein Bruder, der allerdings vielleicht nicht gerade ein ganz maßgebendes Urteil hatte, behauptete, daß er „phänomenale Kenntnisse“ besäße. „Einfach großartig“, sagte Karl. Davon verstand ich natürlich nichts, und das war auch nicht von mir zu verlangen.

Mich fand Wulf Hegewisch, glaube ich, recht nett, ja, offen gestanden, er fand mich wohl sogar sehr nett.

Doch das wollte ich eigentlich nicht erzählen, es gehört ja auch nicht zur Sache.

„Herr Hegewisch,“ sagte ich teilnehmend, „warum sehen Sie so traurig aus?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0850.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)