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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

viel zierlicher und moderner als bei uns zu Hause, wo manches schon recht verschossen und verblichen war, und dabei war es traulich und heimlich bei ihr! Alles paßte zu Tantes Gesicht, wie ihre Kleider zu demselben paßten.

Als dann Licht angezündet wurde, ich Tante Renate beim Abendbrot gegenüber saß, welches so hübsch angerichtet war wie bei uns nur zu Gesellschaften, und der helle Lampenschein voll auf sie fiel, sah ich dann freilich wohl, daß sich durch die vollen, welligen Haare hier und da ein weißes Fädchen zog, aber nur ganz vereinzelt, und daß quer über die Stirn hin ein paar ganz leichte Fältchen lagen. Aber das alles bemerkte man nur, wenn man recht genau hinsah.

Ueber mein Fremdenstübchen, in welches mich Tante nach dem Abendessen führte, schrie ich fast auf vor Entzücken! Ich weiß nicht, wie Tante es angestellt hatte: eigentlich war der Raum nur eine ganz prosaische Dachkammer mit einem schrägen Fenster, aber mit Hilfe von viel hellem, geblümtem Kattun, weißem Mull und Topfgewächsen hatte Tante etwas ganz Reizendes daraus gemacht, genau das, was man sich bei einem Mädchenstübchen denkt!

Alles in allem gefiel es mir also für den Anfang sehr gut bei Tante Renate, und ich wünschte, sie hätte mich auf etwas länger als vier Wochen eingeladen, was ich auch sogleich auf einer illustrierten Postkarte nach Hause meldete. Ich wollte dasselbe auch an Reseda schreiben, aber zufällig fielen meine Augen dabei auf die Rosen, welche noch recht frisch aussahen, da ließ ich den Nachsatz fort und schrieb nur, es gefiele mir hier ganz gut.

Am nächsten Morgen beim Frühstück fragte Tante mich nach meinen Liebhabereien und Talenten. Nun hatte ich ja sehr vielseitige Interessen, z. B. ich malte, ich sang, ich lief Schlittschuh, ich tanzte, ich würde gern geradelt haben, wenn ich nur ein Rad gehabt hätte, ich las gern, besonders Novellen und Romane, ich ging gern ins Theater, wenn bei uns zu Hause eins gastierte, ich sammelte Ansichtskarten und Autogramme und trieb noch vieles andere mehr. Das zählte ich ihr nun auch alles auf, denn es kam mir ein wenig so vor, als wenn Tante meinte, ich wäre vielleicht hinter meiner Zeit etwas zurückgeblieben, was ich doch in keiner Weise war.

Tante schien auf alles kein rechtes Gewicht zu legen, wenigstens lächelte sie ein bißchen still vor sich hin, während ich erzählte, und nur, als ich sagte, ich malte und zeichnete ziemlich gut, fragte sie lebhaft: „Ach, wirklich? Das ist hübsch. Hast du dein Skizzenbuch mitgebracht, dann zeige es mir doch einmal! Hier ist nämlich mancher sehr schöne landschaftliche Aussichtspunkt, den ich mit dir aufsuchen könnte. Ich selbst habe leider kein Talent für Malerei, aber viel Interesse und wohl auch ein leidliches Auge für Schönheit!“

Skizzenbuch! Was die sich nur dachte! Wer hat denn gleich ein Skizzenbuch? Nach der Natur zeichnen und malen doch nur große Künstler. Vorlagen zum Abzeichnen und Durchpausen hatte ich eine ganze Menge, die genügten doch! Ich sagte darum auch der Wahrheit gemäß, ich male hauptsächlich auf Holz und mit dem Brennstift, und das könne man nur nach Vorlagen, anders ginge es nicht.

Das sah Tante ein. „Ach so,“ sagte sie und lächelte wieder ein bißchen. „Das verstehe ich dann wohl nicht, Helmikind!“

Nein, das verstand sie wirklich nicht!

„Also du zeichnest und malst hübsch. Was kannst du denn noch sonst besonders gut?“

Nun war mir immer gesagt worden, ich hätte eine schöne Stimme, und daß ich sehr fertig Klavier spielte, wußte ich ja selbst. Singunterricht allerdings hatte ich bis jetzt nicht gehabt, aber ich war stets in allen Gesellschaften zu Hause zum Singen aufgefordert worden. Ich antwortete also, besonders hätte ich Talent für Musik, und dabei war keine Prahlerei, das hatte ich wirklich, wie ich denn überhaupt alles Prahlen mit Dingen, die man nicht gründlich kann, sehr häßlich finde!

„Das ist ja sehr hübsch und angenehm,“ sagte Tante wieder erfreut. „Ich bin nämlich selbst etwas musikalisch, besonders singe ich gern, und da ich dir beim Sprechen anhöre, daß du einen ziemlich hohen Sopran hast, ich aber eine Altstimme besitze, werden wir sicher Duette miteinander singen können. Du singst vom Blatt?“

Nein, vom Blatt sang ich nicht; ich mußte sogar immer ziemlich lange üben, ehe ich eine Melodie innehatte. Ich sagte also: nein, daran wäre ich nicht gewöhnt.

Tante nickte freundlich. „Das thut nichts, Helmikind, deshalb kann man doch gut singen, das ist einfach Sache der Uebung und Gewohnheit, wenn man nur sonst Musik in sich hat. Zeit zum Ueben hast du hier ja genug. Ich habe nun im Hause Verschiedenes zu thun, sieh dir inzwischen einmal meinen Notenschrank an, der Schlüssel steckt! Vielleicht findest du etwas, was du schon kannst, oder was dich lockt. Das Klavier steht dir zur Verfügung. Gegen Mittag mache ich dann ein paar Besuche mit dir!“

Damit stand sie auf und ging hinaus, und ich machte mich an den Notenschrank heran.

Nein, was für eine Unmasse Noten Tante Renate hatte! Zahllose Lieder, die mir völlig unbekannt waren, natürlich meist deutsche, aber auch schwedische, dänische, englische und französische, dazu italienische Arien und endlich gar Kirchenmusik, ganz altmodische Kirchenmusik!

Wer singt denn heutzutage so etwas! Dies ist ja gräßlich langweilig. Dann kamen freilich auch Namen, die ich kannte. Ich fand einen Band mit Duetten von Brahms, von dem ich noch nie etwas gesungen hatte, und da er mich lockte, ging ich mit ihm an das Klavier und fing an, mir den Sopran eines Liedes vorzuspielen, um ihn dann nachzusingen.

Eine Weile ging das so. Auf einmal öffnete sich die Thür ein wenig, und Tante steckte den Kopf herein.

Cis,“ sagte sie lächelnd und zog den Kopf zurück.

Ach so, da hatte ich immer gespielt und das Kreuz vergessen. Ich verbesserte den Fehler, übte ein Endchen weiter und fing wieder von vorn an.

Cis, Cis!“ rief es wieder von der Thür her und diesmal streckte die Tante nicht nur den Kopf herein, sondern stand in ganzer Person im Zimmer. „Liebstes Kind, es ist ja kaum zu glauben, daß du das nicht hörst!“

Ich schlug das Notenbuch zu und schloß das Klavier. Ich ärgerte mich, und das war mir doch auch nicht zu verdenken. Dabei fühlte ich ordentlich, was für ein heißes Gesicht ich bekam.

Tante trat an das Klavier heran, dessen Deckel nicht ganz so leise zugeklappt war, wie er eigentlich sollte, strich mir über die Wangen und sagte mit einem Lächeln: „Ist das Helmikind vielleicht ein ganz klein wenig empfindlich? Nicht doch, Kind, wir werden trotzdem noch manches hübsche Duett miteinander einüben! Sieh, ich singe ja schon so viele Jahre länger als du, da lernt man achtgeben.“

Nun ja – ich beschloß, nicht weiter böse zu sein, aber mit dem Ueben mochte ich auch nicht wieder beginnen, sondern verschob es auf eine Zeit, wo Tante nicht zu Hause sein würde.

Uebrigens wußte ich eigentlich gar nicht, wie Tante dazu kam, mich so zu hofmeistern. Sie hatte doch nur eine Altstimme und ich einen Sopran!

Vor Tische machten wir dann mehrere Besuche in Familien, wo junge Mädchen ungefähr von meinem Alter waren. Denn, so erzählte mir Tante unterwegs, sie hätte für die nächste Zeit mehrere Einladungen, und man hätte ihr erlaubt, mich mitzubringen, da müßte sie mich vorher in den Familien bekannt machen. Auch würde gegen das Ende der Woche ein größerer gemeinsamer Ausflug mit Picknick unternommen werden, und Tante wünschte, daß ich mich dabei nicht fremd fühlen sollte.

Im stillen wunderte ich mich aber, daß sie, die doch in der großen Stadt wohnte, nicht einmal wußte, daß es jetzt modern ist, bei Besuchen weiße Handschuhe zu tragen. Ihre eigenen waren ziemlich dunkelbraun, und meine weißen sah sie, wie mir schien, ein bißchen befremdet an. Aber ich ließ mich gar nicht beirren. Mit seiner Zeit fortschreiten muß man, sonst wird man gleich für kleinstädtisch gehalten!

Ich glaube, daß ich in dem hellblauen Sommerkleide sehr vorteilhaft aussah, und daß mich die Familien, welche wir besuchten, sämtlich gern leiden mochten, wenigstens waren sie alle sehr liebenswürdig gegen uns. Besonders auch die jungen Madchen thaten gleich freundlich und bekannt, wodurch sie mir diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0852.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)