Seite:Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 2 Bd. 35 (1891) 21.jpg

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999 sich ab und schwang zu dem reinen Licht des reinsten Aethers sich empor. Denn sie zeigte gegen ihre Hausgenossen ernste Freundlichkeit, gegen Fremde würdevollen Ernst, gegen Arme unermüdliche Barmherzigkeit, zur Verherrlichung der Gotteshäuser überströmende Freigebigkeit, gegen Gute ausdauerndes Wohlwollen, gegen Böse freimüthige Strenge, in ihren Begierden Vorsicht, im Besitze Stärke[1], im Glück wahre Demuth, im Unglück geduldige Langmuth, bei der täglichen Mahlzeit Nüchternheit, in ihrer Kleidung fast ärmliche Einfachheit, in Lesungen und Gebeten, in Nachtwachen und Fasten Unermüdlichkeit, im Almosengeben eine unwandelbare Geneigtheit. Nie überhob sie sich wegen des Adels ihres Blutes, nie verlangte sie von den Menschen gelobt zu werden wegen der Herzensgüte, mit welcher Gott sie ausgestattet. Nie ließ sie wegen der von Gott ihr verliehenen Tugenden zum Uebermuth, nie wegen ihrer Fehltritte zur Verzweiflung sich hinreißen, nie von der Sucht nach den Ehren, Reichthümern und Ergötzlichkeiten der Welt sich beherrschen, sondern in allen Stücken begleitete sie die Mutter aller Tugenden, die Mäßigung. Sie besaß im Glauben eine zuversichtliche Festigkeit, in der Hoffnung eine feste Zuversicht, und in der Hinneigung zu Gott und dem Nächsten die Wurzel alles Guten und die Urquelle der Tugenden, die Liebe. Doch um nichts zu verhehlen: wie groß und schön ihr Leben gewesen sei, das machte die Kraft Gottes kund durch Wunderzeichen, die an ihrem Grabe erglänzten. Sie der Reihe nach zu beschreiben, wäre ein eigenes Buch erforderlich; denn in dieser unserer Schrift können sie nicht dargestellt werden. Damit sie indessen nicht ganz mit Stillschweigen bedeckt bleiben, will ich sie ohne Weitschweifigkeit in einem kurzen Abschnitt zusammenfassen.


  1. In appetendis timor, in appetitis vigor, was schwer zu deuten ist.