Seite:Die deutsche Art in Luther 02.png

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in sich aufnahm und von seinem Volke als der innerlichste und wesenhafte Ausdruck seines Sehnens, Denkens und Wollens begrüßt wurde und wird. Weil er mit dem Willen dachte und mit dem Verstande wollte, sich ganz dem ergab, wozu er sich berufen wußte und bekannte – ein ganz in sich geschlossener und auf sich geworfener Mann – darum hat der Volksgeist, so fern er der Ganzheit seiner Ausgestaltung an sich stehen mag – in ihm sich als in einer Verkörperung seines innersten Wesens wiedergefunden.

 Wenn ein Talent sich irgendwo zeigt, so wirkt es, wie es in der Stille sich ausgestaltet hat, auch nur im engen Kreise, vielleicht eine anmutig wärmende Flamme, ein gewinnender Anblick, aber weder ins Große ragend, noch auf das Große gerichtet – Stilleben, das sich vom Streit des Tages und dem großen Widerkampf der Meinungen in die Beschaulichkeit flüchtet, aus der heraus wohl ein am Waldessaum bescheiden hingelagertes Haus gebaut werden, nimmer aber eine Burg erstehen kann, welche trotzig ins Land hineinragt und treulich edelste Güter umschirmt und schützt. Wiederum hat das Genie, wo es sich weit über die Niederungen des Durchschnittsmaßes und die Forderungen des Tages erhebt, etwas Erkältendes und Fernendes: es hält sich für zu gut, alte Güter zu schützen und alte Wege zu gehen, bricht sich die Bahn, lediglich um sich in eigenem Glanz zu sonnen, sieht Andere darben und genießt sein selbst. Unser Volk ist seiner Genies nie froh geworden: sie haben es nicht verstanden, vielmehr mißkannt und verlassen. Wenn aber der Genius, der aus dem Volke geborene, aus der Fülle seiner Gedanken, seines Verlangens und seiner Sorge erwachsene Mann in die Erscheinung tritt, so zeigt er darin seine Größe, daß er nicht anstrebt, groß zu sein und weil er dem Volke in all seinen Schichten das zurückgibt, was diese ihm an Wunsch und Gabe, an Kraft und Erfahrung mitgaben, darum ist er mit ihm innig verbunden. Jahrhunderte gehen hin, bis wieder solch ein Mann, an dem die Nation ihre Kräfte ausgelebt hat, ersteht, Jahrhunderte aber reichen auch nicht hin, um die Vollart eines solchen Mannes auszubrauchen und zu erschöpfen.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 02. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_02.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)