Seite:Die deutsche Art in Luther 03.png

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 Was seit alters unserem Volke vorgeworfen wird, daß es als ein Träumer herkomme voller unpraktischer Gedanken und bei der Aufteilung der Welt stets zu spät sich einstelle, unreifen Neigungen nachgehe und dabei sein bestes Interesse versäume – ich denke nur an die unglückliche Liebe unseres Volkscharakters zu Italien –, das hat Luther ins rechte und heilige Maß gesetzt. Wäre er nur der gemeinen Deutlichkeit der Dinge erschlossen gewesen, so wäre er nicht fähig gewesen, den Herzschlag seines Volkes zu erlauschen und das heiße Sehnen zu ergründen, das eben über Berg und Tal zu Höhen hinflüchtet, deren Ersteigung nicht praktisch erscheinen mag, aber vor Banausentum, Materialismus und Selbstverlorenheit mächtig bewahrt. Der Idealist schafft sich eine Welt nicht aus eigenen Gedanken, wie es der Phantast wohl tut, wohnt nicht in Utopien, die nimmer zur Wirklichkeit werden dürfen, sondern flüchtet in ein weites, lichtes Reich, das der Vater aller Geister geschenkt hat, eignet sich an und erlebt, was vor ihm und über ihm war und wird da heimisch, wo traurige Nüchternheit nur fata morgana erblickt. Indem Luther zu den Bergen ewiger Hilfe aufblicken und in das lichte Gottesreich einkehren lernte, das in Christi Lehre und Leben ihm sich erschloß, hat er nicht einer weltfremden Mystik, die nur Auserwählten zugute kommen, für die Lösung der Weltfragen aber nichts austragen kann, gehuldigt, sondern aus transzendenten, überweltlichen Tatsachen die Kraft sich geholt, die ihn der Welt und Zeit, denen er angehörte, und ihren Folgerscheinungen von solchem Segen werden ließ.

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 Durch und durch der Scholle zugewandt, der er entstammt, verband er in seinem Naturell mit der Zähigkeit des erdbeständigen Bauersmannes, der in selbstbewußter Beschränkung aus seiner scheinbar kleinen Welt das Ganze überblickt und in den engen Kreis seiner Vorstellungen weiteste Begriffe niederzwingt, die Beweglichkeit und Lebhaftigkeit des deutschen Bürgertumes. In der Treue, die den Deutschen mit einem Heimweh ausgerüstet sein läßt, das auch den verlorenen Sohn an die Rechte der Heimat mit unstillbarer Gewalt mahnt, hat Luther all die Verhältnisse, die ihn umgaben,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 03. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_03.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)