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Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z

und der Feder, da sie neben ihren schriftstellerischen Arbeiten auch einen starken Briefwechsel unterhielt, gewidmet, und ungern sah sie sich darin von Fremden, denn Freunde waren ihr stets willkommen, unterbrochen. Die Nachmittage waren theils den Arbeiten der Nadel, theils der Lecture, theils der Annahme von Besuchen Fremder und Einheimischer, die sich zahlreich einfanden, bestimmt. Reisende von hohem und mittlerm Stande, aus Vaterland und Ausland, machten oft Umwege vieler Meilen, um die deutsche Aspasia kennen zu lernen oder wiederzusehen. Ihre Unterhaltung war angenehm und desto belehrender und unterhaltender, da sie in derselben so viele Gegenstände berührte, durch Abwechselung ergötzte und durch heitern Witz belebte, nach einer ihr ganz eigenthümlichen schnellen Beweglichkeit ihrer Ideen und Leichtigkeit des Uebergangs von einer Vorstellung zur andern, oft bei der größten Verschiedenartigkeit derselben. Diese individuelle Eigenschaft äußerte sich auch bisweilen zu sehr in ihren Schriften, und sie gab Lavatern selbst Recht, wenn er sie zwischen vier sehr ausgezeichneten Physiognomien mit dem ganz neuen Ausdruck, die Verschwebteste, charakterisirte, weil sie eben mit außerordentlicher Leichtigkeit von einem Gegenstand der Unterhaltung zum andern übergehe. Empfindungen der Freude und des Kummers wußte sie zu beherrschen und Gleichmuth der Seele zu bewahren. Ihre Seele war überhaupt in einem sehr hohen Grade moralisch, und alles Edle, Hohe, Schöne und Große der sittlichen Welt zog ihr Herz unwiderstehlich an.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z. F. A. Brockhaus, Leipzig 1825, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutschen_Schriftstellerinnen_(Schindel)_II_198.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)