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Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1


Nr. 44
Stortebeker und Godeke Michel.

Unter den nordischen Kriegen hatte das Seeräuberwesen in Ost- und Nordsee sehr zugenommen. Als 1389 der schwedische König Albrecht von Mecklenburg von der Dänenkönigin Margarethe gefangen genommen war, ertheilten Rostock und Wismar Kaperbriefe (sog. Stehlbriefe) gegen Dänemark, mit denen ausgestattet sich die Gesellschaft der Vitalien- d. h. Victualienbrüder bildete, auch Likedeeler genannt, weil sie auf gleichen Beutetheil verbunden waren. Diese Piraten, welche ihren Hauptsitz zu Visby hatten, waren bald Herren des ganzen Meers, so daß aller Handel darniederlag. Seit 1394 werden unter den meist gefürchteten dieser Gesellen Godeke Michelsson und Klaus Stortebeker genannt. Daß 1395 mit der Freigebung König Albrechts die ursprüngliche Legitimation der Vitalienbrüder hinfällig ward, that ihrem furchtbaren Treiben keinen Einhalt. Die Seestaaten, vor Allem die schwerbedrückte Hanse, erkannten, daß man einen Kampf auf Leben und Tod mit ihnen führen müsse, und es entspann sich ein blutiger von Jahr zu Jahr fortgehender Krieg. Zwar aus ihren alten Schlupfwinkeln in der Ostsee mußten sie weichen, aber das ward nur die Veranlassung zu noch großartigeren Räuberfarten: ein Theil wandte sich nach Rußland, ein anderer bis nach Spanien hinab, ein dritter setzte sich an der ostfriesischen Küste fest, wo sie von den friesischen Häuptlingen gegen Antheil an der Beute geschützt und unterstützt wurden. Hier hausten vor Allem jene beiden genannten: Godeke Michel und Klaus Stortebeker. Beide waren Edelleute und im Verdenschen mit Burgen, d. h. wol mit befestigten Schlupfwinkeln angesessen. Ob sie aber von dort oder vielmehr ursprünglich aus Pommern stammten, ist nicht nachzuweisen. Es wird berichtet, daß der friesische Häuptling Keno then Broek, der ihnen besonderen Schutz gewährte, dem Stortebeker sogar seine Tochter zum Weib gab. Schon mehrfach geschlagen, verjagt und durch Gefangennehmungen geschwächt (1400 wurden in Hamburg nach den Stadtrechnungen ihrer 30 geköpft, 1401 starben daselbst an Wunden oder wurden geköpft 73), erschienen sie doch immer von Neuem. Da ward endlich 1402 in Hamburg eine Hauptunternehmung beschlossen. Es ward eine Flotille ausgerüstet, deren größtes Schiff die „bunte Kuh aus Flandern“ war, geführt von dem tapfern Simon von Utrecht. Am Abend erreichten sie das Geschwader der Seeräuber, welche in der letzten Zeit bei Helgoland gelegen hatten. Am nächsten Morgen begann die Schlacht, welche mit der Flucht der Seeräuber endete. Aber 40 von ihnen waren tot, 70 gefangen und unter den letzteren Klaus Stortebeker. Nach Hamburg geführt wurden sie sämmtlich ohne Gericht als Räuber auf dem Großbrook enthauptet. Ein zweites Treffen überlieferte dann auch den Godeke Michel mit 79 andern dem Gericht; sie hatten das gleiche Schicksal. Vgl. die Mittheilungen von Dr. Laurent und Dr. Lappenberg in der Zeitschr. des Ver. f. Hamb. Gesch. Bd. 2, 43 ff.

Das Lied, welches den Sieg über die berüchtigten Piraten feierte, ist uns leider in seiner ursprünglichen Form nicht erhalten. Es wurde aber eines der beliebtesten Volkslieder: in seinem Tone wurden wenigstens noch nach 200 Jahren andere Lieder gedichtet und gesungen, namentlich wieder solche von Seeräubern, wie das auf Martin Pechlin v. 1526 (Alse men scref dre und twentich und en) oder von Seeschlachten, wie ein Lied von 1569 auf eine Seeschlacht

Empfohlene Zitierweise:
Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1. Verlag von J. C. W. Vogel, Leipzig 1865, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_(Liliencron)_I_210.gif&oldid=- (Version vom 6.5.2018)