Seite:Die preussischen Bürger des jüdischen Glaubensbekenntnisses 13.jpg

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Kann es dem Gesetzgeber unbekannt sein, wie sich die ersten Christen dagegen zu vertheidigen hatten, daß sie nicht Theil nähmen am heidnischen Leben, daß Tertullianus[1] unmuthig ausruft: „Was haben wir Euch beleidigt, wenn wir andere Annehmlichkeiten vorziehen; wenn wir Euer Vergnügen nicht kennen wollen, ist es unser Unrecht, nicht das Eure?“ „Was haben wir Euch beleidigt, Ihr Griechen,“ sagt Tatian[2] „warum hasset Ihr uns, da wir Gottes Wort befolgen … denn wir essen kein Menschenfleisch.“

Und unser Talmud, unsere Literatur! Aus ihnen sollen ja unsere Laster fließen, aus ihnen sollen wir die Absolution unserer Verbrechen schöpfen, in ihnen ja den ewigen Zündstoff für einen innerlichen Groll gegen das Staatsleben finden! Wahrlich, wir können die Urtheile über sie nur absichtlich böse nennen, denn so unhistorische und unkritische sind Männern von Geist und Gelehrsamkeit, die die Universitäten, die Schulen der Welt, zu ihren Jugendlehrern gehabt, nicht zuzutrauen. Über welchen Theil der Weltliteratur hat man sich Urtheile erlaubt, wenn man ihre Sprache und ihren Genius nicht gefaßt hatte; wo hat man trotz seiner Unkenntniß aus dieser praktische Folgen gezogen; wo hat man mehr daran vergessen, was der christliche Tertullianus den Heiden vorwirft „Was giebt es Unbilligeres, als daß die Menschen was sie nicht kennen hassen, auch wenn die Sache den Haß verdiente!“ wo hat man sich trotz der vollständigsten Unkenntniß noch unkritischer gegen irgend einen Inhalt zu benehmen erlaubt?

Man hat sich weder über Entstehungszeit und Art, über Geist und Charakter eines ungeheuren Werkes wie der Talmud ist, bekümmert; das geringste Fragment eines griechischen Comoeden hat mehr Aufmerksamkeit erfahren, aber Folgerungen für das praktische Leben hat man daraus gezogen. Es wird keinem mehr einfallen, den Homer mit vorwolfischen Augen anzusehen, ihn für seine Sentenzen verantwortlich zu machen, keinem in den Sinn kommen, die Bearbeitung deutscher Geschichte nach vor Mascowschem Muster zu behandeln, kurz, keiner sich erlauben, an irgend ein wissenschaftliches Urtheil ohne jene kritische Anschauung zu gehen, die jetzt über

Anmerkungen

  1. Apologet. pag. 66.
  2. Contra Graecos ed. St. Maur. p. 265.