Seite:Dudler und Dulder 23.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Landschaft; die Kämme des fernen Gebirges glühten in Purpur eines orientalischen Sonnenunterganges; der Palmenhain rauschte im Abendwind, und „fromme Gazellen“ traten aus dem Dickicht hervor und schlürften die Wellen des heiligen Stromes…

Während ich ihnen so zuschaute und im Anblick der langsam dahinflutenden Gewässer ganz melancholisch wurde, fühlte ich plötzlich, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich kehrte mich um. Es war ein ernster, philosophischer Inder in langem, wallendem Gewande, etwas bleich, aber doch wohlgenährt und von augenscheinlicher Gutmütigkeit. Er wünschte mir in sanftklingendem Prakrit einen guten Abend und hieß mich willkommen im Reiche Buddha’s und seiner beschaulichen Diener. Ich wunderte mich anfänglich, daß mir die indische Conversationssprache so geläufig war, obgleich meine akademischen Sanskrit-Studien das Embryonen-Stadium nicht überschritten hatten: indeß, wo der Ganges flutet, sind alle Dinge möglich, und wenn Plato behauptet, das Lernen sei nur die Wiederbelebung von Reminiscenzen aus einem früheren Dasein, so konnte ich mir sehr wohl einreden, bereits vor mehreren Jahrhunderten als Pariah die hindostanische Luft geatmet zu haben.

„Mein Freund,“ sagte der Inder, „wie lange gedenkst Du hier am Ufer zu stehen und über die Geheimnisse des Daseins nachzugrübeln?“

„Ich? Hältst Du mich für einen Weltweisen?“

„Nun, ich meinte nur… weil Du so stumm und in Gedanken verloren…“

„Du irrst, Eingeborner!“

„Wohlan, gestatte mir denn die Frage: Was hast Du vor für heute?“

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Eckstein: Dudler und Dulder. Leipzig, 1893, Seite Seite: Dudler und Dulder 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dudler_und_Dulder_23.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)