Seite:Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front 26.png

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Die Feinde haben den Plan gefaßt, zu ermüden, wo Großzügigkeit und schneller Entschluß ihnen gebrach, durch lange vorbereitete ermüdende Kleinarbeit dem an beiden so reicheren Gegner den Atem zu benehmen, als ob nicht auch die Geduld ein kraftvoller Atem wäre, und durch fortgesetzte Anforderungen an die innersten Seelenkräfte, an Beharrlichkeit, Selbstlosigkeit, Zufriedenheit die Erreichung des Zieles in Frage zu stellen, das der Kraft und Gewalt des deutschen Ansturms winkte. Aber der Krieg, der nicht Neues schafft, sondern das Alte erneuert, und das in Volksseele und Einzelwesen ihnen selbst unbewußt Ruhende herausstellt, ganz wie es ist, weil Maske und Täuschung gefallen und hemmende Schranken verflogen sind, hat die beste Kraft des deutschen Charakters herausgerufen; „charaktervoll sein und deutsch sein ist doch gleichbedeutend,“ meint Fichte, ja hat gezeigt, daß das eigentliche Gepräge eines Volkes, besser noch die Volksgeprägtheit, die Persönlichkeit, die nicht aus Aggregaten von Personen, nicht einmal von Charakteren sich zusammensetzt, gerade aus den schwersten Proben, die das Temperament belasten, langsam, bedächtig, nicht ohne Schwankungen, aber sieghaft und stark heraustritt. Diese zähe Beharrlichkeit, die nichts von Erfolg zu schauen, nichts von Zufall zu genießen begehrt, diese Kraft, die in metaphysischem Sinne Glaube heißt, nicht fragt, ob das zu Tuende annehmlich, erträglich, ertragvoll, sondern nur, ob es zu tun sei, ist in dem harten Frondienst dieses Krieges hervorgetreten, nicht wie die gewappnete Kraft aus plötzlichen Entschlüssen, aufglänzend, blendend, berückend. Sondern aus schweren mächtigen Kämpfen tiefethischer Art mit einer Welt der Niedertracht, der Verkleinerungs- und Begeiferungssucht, der Schnödigkeit des Undanks und der feigen Art der Kondottiere, tiefstgetroffen von dem, was deutscher Ehrlichkeit unausdenkbar, deutscher Ernstlichkeit wie höhnender Spuk galt, verlassen, vergessen,

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_26.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)