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an den Seitenwänden der Unterstände, die zuweilen trotz der Primitivität wahre Kunstwerke waren, mußten auch dem Feinde, wenn und wo er sie sah, ein behagliches Lächeln ablocken: denn Schwächen sind nicht schonungslos ausgebeutet, sondern mit Witz getroffen. Mehr aber noch als der Humor erquickten die Anzeichen des tiefen Heimatssinnes, der die Schießscharten und Beobachtungsöffnungen und -luken mit den Pflanzen des heimatlichen altbayrischen, fränkischen Bauerngärtleins ausschmücken und die Unterstände mit Notizen aus dem Lokalblättlein des heimischen Städtchens, mit den farbenbunten Bildern der Lieben bedecken ließ. Ein Volk, das mitten im erschütternden Ernste der Heimat gedenkt, – wie oft habe ich das den Leuten in kirchlichen Ansprachen und seelsorgerlichen Einzelunterredungen sagen dürfen – und den Tod vor Augen das bewahrt, was Leben atmet und verbürgt, kann nicht untergehen. „Deutschland ist noch immer da, und seine unsichtbare Kraft ist ungeschwächt,“ hat Schleiermacher 1807 gesagt. Diese unsichtbare Kraft des deutschen Gemütes, das Napoleon I. ironisch und doch tiefblickend l’ésprit allemand hieß, rüstet durch die liebende Pflege der wenig beachteten Kleinheiten des Lebens, durch treues Ausruhen in einer von Sieg und Leid sich auf sich selbst zurückziehenden Welt der Innerlichkeit Mut und Willen für die größten Aufgaben, die beide beanspruchen.

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 Mochte man zu Zeiten einen müden, fast verdrossenen Zug gewahren, der am ehesten eintrat, wenn die Ruhe des Lazaretts an die herbe und harte Arbeit draußen nicht denken wollte, konnte auch manches schwere und rauhe Wort vernommen werden, das den Frieden um jeden Preis einem preiswürdigen Kampfe vorziehen zu wollen schien – sobald wieder ein frischer Luftzug über dieses starre, bleierne Meer der Alltäglichkeit hinzog, etwa die Glocken aus den deutschen Dörfern hinüber nach Frankreich klangen, um

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_28.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)