Seite:Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front 38.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mußte ich und ließ es auch nicht unausgesprochen, daß in den meisten Lazaretten so viele Diakonissen unter ein ander gemengt waren. Das scheint nur gut zu sein. Wer aber weiß, wie enge die einzelne Diakonisse dem Hausbrauche verbunden ist, nach dem ihr die Diakonie erstmals entgegentrat und immer wieder sich erbietet, und wer bedenkt, wie das weibliche Gemüt in der Pflege des Nebensächlichen und scheinbar Untergeordneten seine ganze Treue betätigt, weil es in und mit der Form die Sache bewahrt, wird meine Ausstellungen berechtigt finden müssen. Selbst in dem Lazarette, in dem ich mit wahrer Erquickung die höhere Einheit, die über Hausbrauch und Hausgrenze hinüber und hinan reicht, wahrnahm, spürte ich den tiefen seinen Antagonismus, der die eine Diakonisse die Treue gegen das Eigne hauptsächlich in Bekämpfung des Sondergutes der andern üben ließ. Das ist ja an sich weder zu verurteilen noch zu beklagen, aber es schafft Reibungsflächen und beansprucht Kräfte, die besser und zu Besserem verwendet werden könnten. Davon abgesehen kann ich nur mit Dank der treuen, verständnisvollen und nüchternen Arbeit gedenken, die an Kranken und Gesunden geleistet wurde, der feinen zarten Hilfe mich erinnern, die der verordneten Seelsorge ergänzend, oft auch vertiefend zur Seite trat. Die intuitive, weniger nach klar erkannten und zur inneren Selbstverantwortung gebrachten Kennzeichen geübte Beobachtung, die dem Manne abgeht, läßt die Frau ahnen, was jener kaum merkt und bewahren, was er bald vergißt. Das Warum des Urteils zu finden, oder auch nur finden zu wollen, liegt ihr ferne. Aber das Was steht ihr fest. Der wortlose Wandel dieses aus den Freiheitskriegen geborenen, in Zeiten der Dürre erstarkten und jetzt zu großer Blüte gelangten Diakonissendienstes hat in diesem Kriege wohl die schwerste Probe bestanden. Es wird in der Geschichte des deutschen Volkes der Wetteifer des Ernstes und der Liebe, die nicht das Ihre

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_38.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)