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II. Rolf. 69

 Ihm folgte sein Sohn Rolf, ein Mann mit reichen Gaben des Körpers und des Geistes geschmückt, der seine grosse Gestalt durch gleich grosse Tüchtigkeit empfahl. Da zu seiner Zeit Schweden unter dänischer Oberherrschaft stand, so sah sich Atisl, der Sohn des Hothbrod, listig nach einem Wege um, sein Vaterland frei zu machen; er nahm deshalb die Ursa, die Mutter des Rolf zur Frau; denn durch Vermittlung der durch die Ehe begründeten Verwandtschaft meinte er mit seinem Verlangen nach Erlass des Tributes bei seinem Stiefsohne leichter durchzudringen. Das Glück war seinen Wünschen nicht ungünstig. Er war aber von Kindesbeinen an aller Freigebigkeit so abhold und hielt das Geld so fest, dass er es für einen Schimpf hielt, wenn man ihm eine milde Hand zuschrieb. Da nun Ursa seinen schmutzigen Geiz durchschaute und deshalb von ihm frei zu werden wünschte, jedoch mit List vorgehen zu müssen glaubte, so verbarg sie ihre trügerische Absicht unter einem bewundernswert schlau gewählten Deckmantel. Sie nahm den Schein der Lieblosigkeit an, mahnte ihren Mann, das Joch der Abhängigkeit abzuwerfen, stachelte ihn durch Mahnung zum Abfall an und hiess den Sohn durch das Versprechen grosser Geschenke nach Schweden berufen. Sie glaubte nämlich so am besten ihr Ziel zu erreichen, wenn sie es dahin bringe, dass der Sohn Gold vom Schwiegervater zum Geschenk bekomme, sie aber fliehend den andern königlichen Schatz mitnehme und ihren Mann nicht nur um die Frau, sondern auch um sein Geld bringe; denn durch nichts könne Geiz besser als durch Entziehung der Schätze bestraft werden. Ihre scharfsinnige List, die aus dem innersten Wesen der Schlauheit ihren Ausgang nahm, konnte nicht leicht durchschaut werden, deshalb, weil sie den Wunsch, ihre Ehe zu trennen, unter dem schönen Scheine des Strebens nach Unabhängigkeit verbarg. Blind war der Verstand des Mannes, der da glaubte, dass die Mutter entbrannt sei gegen das Leben ihres Sohnes und nicht begriff, dass nur an seinem Verderben gearbeitet werde; recht einfältig zeigte er sich, da er die beharrliche Thätigkeit der [54] 54Gemahlin nicht verstand, die unter dem Scheine des Hasses

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)