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138 Viertes Buch.


herzuritt, fiel ihn der König noch unter dem Schutzdache des doppeltgeöffneten Thores an und hätte ihn mit dem Spiesse durchbohrt, wenn nicht das Eisen durch das feste Panzerhemd unter dem Rocke unschädlich gemacht worden wäre. Amleth erhielt nur eine leichte Wunde und entwich dahin, wo er die Schar der Schotten hatte warten heissen; zum Könige sandte er den erwischten Späher seiner neuen Gemahlin, damit dieser ihm bezeuge, dass er das für seine Herrin bestimmte Schreiben heimlich aus dem Verschlusse der Tasche genommen, so die Schuld auf die Hermuthruda wälze und ihn durch sorgfältige Entschuldigung von dem Vorwurfe des Verrats befreie. Als er aber rasch von dannen entwich, verfolgte ihn doch ungesäumt der König und erschlug ihm den grössten Teil seiner Leute, so dass Amleth am folgenden Tage, wo er sein Leben wieder im Kampfe verteidigen musste, seine Streitkräfte aber für einen Widerstand nicht zureichend fand, zur scheinbaren Vermehrung ihrer [105] 105Anzahl die Leichen der gefallenen Kameraden teils auf untergelegte Stangen gestützt, teils an nahe Steine gelehnt, noch andere wie lebend aufs Pferd gesetzt in voller Bewaffnung gleich wie mitkämpfend reihenweis in seinen Schlachtkeil verteilte; der Flügel der Toten war nicht minder zahlreich als die Schar der Lebendigen. Das war ein wunderlicher Anblick, wo die Gestorbenen in den Kampf getrieben, die Toten zur Schlacht aufgeboten wurden. Das war keine müssige Erfindung für ihren Erdenker, denn die blossen Bilder der Toten gewährten, als die Sonnenstrahlen auf die Waffen fielen, den Schein eines grossen Heeres: die wesenlosen Bilder der Toten liessen die Krieger in ihrer früheren Anzahl erscheinen, so dass man glauben konnte, dass durch den Verlust vom vorigen Tage ihr Haufe nicht kleiner geworden sei. Durch diesen Anblick erschreckt, liessen es die Briten gar nicht zum Kampfe kommen, sondern wandten sich zur Flucht, von denen nach dem Tode überwunden, die sie im Leben bezwungen hatten. Hat bei diesem Siege mehr die Klugheit oder das Glück gewirkt? Während der König seine Flucht etwas langsam betrieb, wurde er von den nachsetzenden

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)