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V. Frotho III., Erik. 173


Als sie am Tische sassen, setzte Kraka ihrem Sohne und Erik, dem Stiefsohne, die zusammen essen sollten, eine Schüssel mit verschieden gefärbter Speise vor. Ein Teil nämlich war schwarz, aber von safranfarbigen Tupfen untersprengt, ein Teil erschien weiss; dem verschiedenen Aussehen der Schlangen entsprechend hatte eine doppelte Farbe den Brei gefärbt. Als jeder erst einen einzigen Bissen davon genossen hatte, drehte Erik, der die Speise nicht nach ihrer Farbe, sondern nur nach der Wirkung der inneren Kraft beurteilte, schnell die Schüssel um und brachte den schwarz aussehenden Teil des Mahles, der aber mit besserem Safte zugerichtet war, zu sich heran und drehte die weisse Hälfte, die zuerst vor ihm stand, dem Roller zu; so speiste er mit mehr Glück. Und damit man nicht die Absicht bei der Umwechselung merkte, sagte er, so drehe sich bei starkem Sturme ein Schiff um seine Achse. Das war ein sehr feiner Kunstgriff, dass er die Verhehlung der Absichtlichkeit seiner That von der gewöhnlichen Bewegung des Schiffs herholte.

Erik gelangte nun, als er durch das beglückende Mahl gestärkt war, durch dessen innere Wirkung zur höchsten Stufe menschlicher Weisheit. Denn die Kraft der Speise liess in ihm über alle Vorstellung hinaus einen Reichtum von allem Wissen erwachsen, so dass er auch die Stimmen der wilden und zahmen Tiere zu deuten verstand; nicht allein in menschlichen Dingen war er sehr erfahren, sondern er wusste auch die ausdrucksvollen Töne der Tiere auf das Verständnis bestimmter Affekte, zurückzuführen. [130] 130Ausserdem verstand er so fein und schmuckvoll zu reden, dass er alles, was er zu erörtern wünschte, fortgesetzt mit herrlichen Sprichwörtern schmücken konnte. Als aber Kraka hinzukam, die Schüssel umgedreht und den besseren Teil des Breis von Erik verzehrt sah, da schmerzte es sie tief, dass das Glück, das ihrem Sohne bereitet war, dem Stiefsohne zugefallen war. Sie bat ihn dann unter Seufzen, er solle seinen Bruder in der Not nie im Stiche lassen, da dessen Mutter so viele Schätze neuer beglückender Begabung auf ihn gehäuft habe. Denn durch das Verzehren der einen wohlschmeckenden Speise hatte er die volle Gnade

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_183.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2022)