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434 Neuntes Buch.


müssen, wie die schwache Tochter. So kam es, dass Thyra trotz ihrer Enterbung mit grosser Freude in ihren Söhnen die Erben des väterlichen Reiches sah; denn sie meinte, dass deren Bevorzugung für sie keinen Schimpf, sondern eine hohe Ehre bedeute. Die Söhne gewannen reiche Beute auf ihren wiederholten Seezügen und verstiegen sich endlich in ihrem grossen Selbstvertrauen dazu, ihre Hand an Irland zu legen. Als sie Dublin, die Hauptstadt des Landes, einschlossen, betrat der König von Irland [321] 321nur mit wenigen geübten Bogenschützen den Hain, der sich unmittelbar an die Stadt anschliesst, und liess auf Kanut, der von einer grossen Menge seiner Mannen umgeben mitten im Kampfe[1] war, heimtückisch aus dem Hinterhalte den verwundenden Pfeil von fern entsenden, der den Königssohn in die Brust traf und ihm eine tödliche Wunde beibrachte. Da Kanut befürchtete, dass seine Verwundung die Feinde mit grosser Freude erfüllen würde, und er deshalb sein Todesgeschick zu verheimlichen wünschte, so befahl er den Seinen mit schon brechender Stimme, den Kampf ohne Unterbrechung fortzusetzen. Durch diesen Kunstgriff verbarg er den Iren seinen Hingang, bis die Dänen in Irland Herr waren. Wer sollte aber den Tod des Mannes nicht beklagen, der in seiner straffen Zucht durch seine Weisung den Sieg seiner Mannen noch über sein Lebensziel hinaus förderte? Denn die Dänen waren in einer bösen Lage und gaben sich bereits verloren, als sie binnen kurzem über die triumphierten, die sie fürchteten, nur weil sie dem Befehle des sterbenden Führers gehorchten. Zu dieser Zeit war Gorm schon bis zur äussersten Grenze seines Lebens gelangt; die lange Reihe der Jahre hatte ihm Blindheit gebracht, und indem er als Greis der grössten Lebenslänge, die dem Menschen beschieden ist, zuwanderte, sorgte er mehr um das Leben und das Wachsen seiner Söhne, als um den Rest seiner Lebenszeit. So sehr aber liebte er seinen ältesten Sohn, dass er den zu töten schwur, der ihm dessen Tod zuerst verkündige. Als Thyra gewisse Nachricht von


  1. Kämpfe sind Spiele.
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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_444.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)