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sicher vorgermanischen Alters, auch zu geringen Umfanges, um, neben dem Stoff und der Bereitungsart, noch Anderes, zumal Schnitt und Form des Gewandstückes, erkennen zu lassen.

 Wenn wir, solche Lücken der Ueberlieferung auszufüllen, nordgermanische Quellen heranziehen, dürfen wir nicht vergessen, einmal, daß das scandinavische Klima Anforderungen an die Kleidung machte, welche bei den Süd- und Westgermanen nicht hervortraten; ganz besonders aber, daß jene Quellen tausend und mehr Jahre jünger sind, als etwa Tacitus, daher einem viel höheren Grade der Cultur angehören. So mannigfaltig, so reich, so compliciert und verfeinert, wie die Tracht der Norwegerin im elften und zwölften Jahrhundert, dürfen wir uns keineswegs die Gewandung ihrer Ahnfrau oder des südgermanischen Weibes, zur Zeit des Tacitus oder selbst der Völkerwanderung vorstellen.

 Tacitus nun berichtet (98, 99 n. Chr., Germania, c. 17): „die Tracht der Frauen ist keine andere, als die der Männer, nur daß die Weiber häufiger sich in Linnenkleider hüllen und diese mit Purpur bunt färben; auch lassen sie nicht (wie die Männer) einen Theil des Obergewandes in Aermel auslaufen, sondern gehen mit unbekleideten Armen und Oberarmen (von der Schulter bis zum Ellbogen); aber auch der obere Theil der Brust ist sichtbar.“

 Gerade hieran knüpft Tacitus das Lob der Keuschheit der germanischen Frauen; in der Reinheit seines Sinnes und seiner Sitten findet das unverdorbene Naturvolk in jener Nacktheit keinerlei Anstoß und keinerlei Gefahr.

 Da nun also die Tracht der Frau im Wesentlichen der des Mannes gleich ist, eine Erscheinung, welche sich sehr häufig bei Völkern einfacher Cultur findet (– im Nordland traten erst spät stärkere Unterschiede ein, als man den Männern die ursprünglich gleich langen Gewänder kürzte –) so müssen wir des Tacitus Bericht über die männliche Bekleidung erörtern: Er sagt (c. 17): „Alle tragen als Hauptgewandstück das ‚sagum‘ – das ist ein langer Mantel aus dichtem, starkem Wolltuch – das mit einer Spange oder in deren Ermangelung mit einem Dorn zusammen gehalten wird.“ (Auf der linken Schulter, dürfen wir beifügen.) Solche Spangen (fibulae) aus Bronze, Silber, manchmal auch aus Gold gefertigt, sind in sehr großer Zahl gefunden worden; es ist etruskisches, keltisches oder römisches Fabrikat. „Im Uebrigen unverhüllt,“ fährt Tacitus fort, „verbringen sie ganze Tage neben dem Herd und dem Feuer.“ Die Reichsten zeichnen sich durch die Kleidung aus - nicht flatternde, wie Sarmaten und Parther, sondern eng anliegende, welche die Glieder deutlich erkennen läßt. Auch Pelze wilder Thiere tragen sie: die Völker zunächst dem Rhein ohne strengere Wahl; die entlegeneren mit sorgfältigerer Auswahl; diesen trägt ja nicht, wie den Rom Näheren, der Handel sonstige Stoffe höherer Culturländer zu. Sie wählen unter den wilden Thieren diejenigen aus, deren Felle sie verwenden, und besetzen dieselben hie und da mit Büscheln und Pelzstücken anderer Unthiere, welche der ferne Ocean (die Nord- und Ostsee) und ein uns unbekanntes Meer erzeugt.

Empfohlene Zitierweise:
Felix Dahn: Das Weib im altgermanischen Recht und Leben. Verlag des Deutschen Vereines zur Verbreitung gemeinnütziger Kentnisse in Prag, Prag 1881, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Felix_Dahn_-_Das_Weib_im_altgermanischen_Recht_und_Leben_-_07.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)